: Alles ist wahr
■ Wenn der Handwerksmeister halbnackt Hauptdarsteller wird. "Ein ehrenwertes Haus" mit verwirrend versteckten Kameras (22.05 Uhr, ARD)
Vielleicht sind wir nicht ganz normal. Vielleicht sind Talkshows, Daily Soaps und Sitcoms Abbilder des wirklichen Lebens, und nur unser eigenes Leben ist unwirklich, armselig und ereignisarm – ganz ohne Inzest und UFO, ohne Intrige und Silikonproblem. Es ist still bei uns, aber bei den Nachbarn geht garantiert die Post ab: der Ehemann krankhaft eifersüchtig. Die Frau nymphoman. Der Sohn bastelt an einer Atombombe. Und in der Garage, wir ahnen es schon lange, wohnt bei denen ein Außerirdischer. Es muß so sein. Es kommt ja jeden Tag im Fernsehen.
Als der Münchner Installateur M. vergangenen Winter halbnackt unter dem Couchtisch eines seiner Kunden kauerte, mögen ihn ähnliche Gedanken beschäftigt haben. Durch unerklärliches Mißgeschick völlig durchnäßt, will M. bei einer Tasse Kaffee nur abwarten, daß seine Kleider trocknen, und sich dann wieder an die Arbeit machen. Eingehüllt in den Hausmantel des abwesenden Hausherrn sitzt er da, und plötzlich ist er Hauptdarsteller in einer grotesken Komödie: Der Hausmantel, erzählt die Großmutter stolz, ist ein Boxmantel, der Mann ein jähzorniger Preisboxer, der seine Frau permanent des Ehebruchs verdächtigt und sich deshalb in psychotherapeutischer Behandlung befindet. Und jeden Moment zurückkehren kann.
Da klingelt es auch schon an der Tür – M. bleibt nur noch die Flucht unter den Couchtisch und damit die noch tiefere Verstrickung in die unglücklich verketteten, unglaublichen und unglaublich komischen Ereignisse.
Vier Monate lang stand die Falle weit offen: „Ein ehrenwertes Haus“ in einer Münchner Villengegend, außen bieder-bürgerlich, innen vollgestopft mit Kameras, Mikrophonen und teuflischen Drehbuchideen. Die Opfer: Versicherungsvertreter, Pizzaboten und Taxifahrer – 150 „Gäste“ aus 32 Berufsgruppen hatte das „ehrenwerte Haus“, alle getestet auf ihre psychische Stabilität, und diese wurden konfrontiert mit Haarwuchsmitteln, abgestürzten Spionagesatelliten, Geistern, Werwölfen und Roberto Blanco – kurz: mit dem kompletten Kabinett deutschen Irrsinns.
Die 22 Besten wurden ausgewählt, ab heute abend sind zunächst acht Folgen in der ARD zu sehen. Noch nie, erzählt Maurice Philip Remy, Produzent, Autor, Regisseur und Hauptdarsteller, noch nie sei es so einfach gewesen, von den Opfern der versteckten Kamera das Einverständnis zur Ausstrahlung zu bekommen – nur drei lehnten ab, und das, obwohl es für den Aufenthalt im Irrenhaus nur einen Ersatz der Arbeitszeit und einen dicken Blumenstrauß gab. Die unfreiwilligen Hauptdarsteller fühlten sich einfach geschmeichelt von dem bombastischen Aufwand, der um sie herum getrieben wurde. Und für einen kurzen Moment, am Höhepunkt der Eskalation, kurz bevor die Klappen aufgingen und die Kameras enthüllten, hatten sie vielleicht die selige Erkenntnis: Es stimmt doch alles. Das Fernsehen lügt nicht. Stefan Kuzmany
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen