: Schlagabtausch um die Rechtschreibung
Das Bundesverfassungsgericht verhandelte gestern über die Klage eines Ehepaares gegen die neuen Schreibregeln. Sie werden bereits in 93 Prozent der Schulen gelehrt. Das Urteil soll noch vor August fallen ■ Aus Karlsruhe Christian Rath
Alle wollen nur das Beste für „unsere Kinder“. Gegner und Befürworter der Rechtschreibreform lieferten sich gestern vor dem Bundesverfassungsgericht einen heftigen Schlagabtausch. Verhandelt wurde über die Klage eines Anwaltehepaares aus Lübeck. Thomas Elsner und Gunda Diercks- Elsner wollen verhindern, daß ihre beiden 9jährigen Söhne, die Zwillinge Hinrich und Christoph, nach den neuen Rechtschreibregeln unterrichtet werden.
„Die Schüler werden als Mittel zum Zweck mißbraucht, um die deutsche Rechtschreibung zu verändern“, kritisierte der Klägeranwalt Thomas Schüller. Zwar seien die neuen Regeln ab August nur in Schulen und Behörden verbindlich anzuwenden, doch hätten die Kultusminister den „Vorbildcharakter“ dieser Reform ausdrücklich betont. Früher, so Anwalt Schüller, habe die Schule versucht, die sprachlichen Entwicklungen der Gesellschaft nachzuvollziehen, jetzt müsse sich die Wirklichkeit der Schule anpassen, um nicht als „altmodisch“ zu gelten. Der Jenaer Rechtsprofessor Rolf Gröschner, der die Kläger vor Gericht unterstützte, sah deshalb auch die „Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung“ gefährdet, denn die Reform werde in der Bevölkerung keine Akzeptanz finden.
Juristisch wird vor allem mit dem Elternrecht argumentiert. Kritisiert wird, daß Eltern ihre Kinder beim Erlernen der deutschen Sprache „nicht mehr begleiten“ könnten. „Schon der Zwang, ständig im Wörterbuch nachsehen zu müssen, ob sich etwas geändert hat, ist unzumutbar“, so Anwalt Schüller. Im Grundsatz lehnen die Kläger eine staatliche Sprachkompetenz rundweg ab. „Der Staat darf Geldmünzen prägen, aber nicht die Schreibweise eines Volkes“, postulierte Professor Gröschner. Zumindest aber hätte die Neuerung nur per Gesetz eingeführt werden dürfen und nicht – wie in allen Bundesländern geschehen – als Verwaltungsvorschrift.
Dem Vorwurf der mangelnden Akzeptanz trat die schleswig-holsteinische Kultusministerin Gisela Böhrk (SPD) massiv entgegen. Die überwiegende Zahl der Schulen habe sogar von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Schreibreform vorzeitig einzuführen. Bereits jetzt werde in 93,5 Prozent der Schulklassen im Deutschunterricht die neue Schreibweise gelehrt, wie eine repräsentative Umfrage in ihrem Bundesland ergeben habe.
Auch Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) aus Nordrhein-Westfalen, die derzeitige Präsidentin der Kultusministerkonferenz, hat aus den Schulen fast nur Gutes gehört: „Im Unterricht spürt und würdigt man die Vorteile des Zugewinns an Regelhaftigkeit und Systematik.“ Ein Gesetz sei nicht notwendig gewesen, weil die Änderung der Schreibkonventionen nur sehr „maßvoll“ erfolgte. Ihre Kollegin Böhrk sah sogar einen Generationenkonflikt. „Radikale Erwachsene“ ignorierten das Interesse der „jungen Generation“ an einer einfacher zu lernenden Orthographie. Wie kompliziert die deutsche Sprache geworden sei, sehe sie schon am Schriftsatz des Klägerehepaares. „Auch Ihre Klage hat eine beeindruckende Reihe von Rechtschreibfehlern aufgewiesen“, hielt Gisela Böhrk den AnwältInnen vor.
Bereits zwei Verfassungsklagen gegen die Reform waren in Karlsruhe als verfrüht zurückgewiesen worden. Die gestrige mündliche Verhandlung kommt nun aber wahrscheinlich zu spät. So ist die Reform nicht nur bereits an den Schulen überwiegend vorweggenommen worden. Auch die Schulbuch-Verlage, die ursprünglich von der für sie aufwendigen Reform gar nicht begeistert waren, fordern jetzt mit Nachdruck, daß das neue Regelwerk nicht mehr geändert wird. „Für uns war im letzten Herbst der point of no return erreicht“, erklärte Andreas Baer, Geschäftsführer des Verbands deutscher Schulbuchverlage, „jetzt liegen alle umsatztragenden Schulbücher in neuer Rechtschreibung vor.“ Wenn die Reform jetzt noch gekippt würde, brächte das, so Baer im Vorfeld des Prozesses, den Verlagen eine halbe Milliarde Mark Verlust. Gleich zu Beginn der Verhandlung wies Hans-Jürgen Papier, der neue Vorsitzende des Ersten Senats, darauf hin, das Gericht werde nicht in „linguistische oder gar sprachästhetische Fachstreitigkeiten“ eingreifen, sondern sich vor allem auf Zuständigkeits- und Verfahrensfragen konzentrieren. Das Urteil wird noch vor dem offiziellen Reformstart am 1. August erwartet.
Im Rahmen der Reform werden die derzeit 212 Orthographie-Vorschriften auf nur noch 112 reduziert. Vor allem bei der Kommasetzung wurde abgespeckt. Von 52 Regeln bleiben ganze neun erhalten. Außerdem soll grundsätzlich mehr getrennt als zusammengeschrieben werden, mehr groß als klein. Von den rund 12.000 Wörtern des Grundwortschatzes werden 185 anders geschrieben als bislang. Meist geht es darum, den Wortstamm auch bei Abwandlungen zur Geltung zu bringen.
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