: "Wie im Fliegenglas"
■ In der Pankower LiteraturWerkstatt treffen sich dieser Tage die "Sisters in Crime". Ein Gespräch mit Sister Thea Dorn, Berliner Krimiautorin
taz: Sie waren 24, als Sie mit „Berliner Aufklärung“ ihr Romandebüt gaben. 1995 erhielten Sie den Raymond-Chandler- Preis. Wie gehen Sie mit dem frühen Erfolg und der nicht ausbleibenden Kritik um?
Thea Dorn: Der Ausdruck Kritik ist ein Euphemismus. Das waren derbe, überschäumende Verrisse. Am Anfang war ich natürlich entsetzt. Aber dann dachte ich mir, das kann nicht daran liegen, daß es ein schlechtgeschriebenes Buch ist. Das muß an anderen Sachen liegen.
Woran?
Diese Sorte von Verrissen kam fast ausschließlich von Männerseite, und zwar bevorzugt von vergrätzten Alt-68ern oder den neuen Berufspubertierenden à la Schlingensief. Inzwischen liebe ich die Verrisse.
Sie haben bisher zwei Krimis geschrieben, die „Berliner Aufklärung“, die im Akademikermilieu spielt, und den „Ringkampf“, der an der Frankfurter Oper spielt. Was ist reizvoll daran, Morde in diesem gesellschaftlichen Kontext anzusiedeln?
Zunächst war es der biographische Zufall, daß ich diese Milieus sehr gut kannte. Ich glaube nicht, daß man einen Krimi über ein Milieu schreiben kann, das man selbst nicht kennt. Ich könnte zum Beispiel nicht glaubhaft über ein Arbeiterkind in Neukölln schreiben.
Die tiefere Erklärung ist: Es sind relativ geschlossene Milieus, die etwas Inzestuöses haben. Jeder kennt jeden, sie haben so etwas von einem Fliegenglas, wo alle drinsitzen und nicht rauskommen. Es liegt auf der Hand, daß das geeignete Milieus für Intrigen und Kriminalfälle sind. Bei der Oper kommt hinzu, daß es sowieso ein Genre ist, das von Blut und Gewalt und großen Ausbrüchen lebt. Mich reizte es, zu versuchen, aus den großen Themen Tod, Liebe und Sterben eine schlichte Sex-and-Crime-Geschichte zu machen.
Was ist das Besondere am Krimi-Genre?
Ich schreibe ja keine „klassischen“ Krimis. Es gab auch nie die Ursprungsidee von mir, ich will jetzt Krimiautorin werden. Man kann bei einem Kriminalroman Wut und Aggression transportieren. Darum geht es auch bei meinen Büchern. Und das ist im Krimi-Genre leichter als im Liebesroman oder in der Gesellschaftskomödie. Mich reizt am Krimi der Forscherdrang, der dahintersteckt, also diese Sorte von tatsächlicher Enthüllung. Deshalb bin ich beim Krimi gelandet.
Als Leserin war ich allerdings nie ein Krimi-Fan. Ich begann Krimis erst zu lesen, nachdem ich welche geschrieben hatte. Ich habe Bernhard gelesen, habe Beckett geliebt, ich habe sehr viel gelesen, aber keine Kriminalromane.
Was unterscheidet Frauenkrimis von anderen? Was macht einen Frauen-Krimi zum Frauen- Krimi?
Kürzlich auf einer Tagung mit Ingrid Noll, Doris Gercke und anderen Autorinnen war das Fazit: Der Begriff Frauenkrimi wird abgeschafft. Es macht keinen Sinn, davon zu reden, weil es so unterschiedliche Autorinnen sind, so unterschiedliche Bücher, aus so unterschiedlichen Motivationen, Aggressionen heraus geschrieben. Es ist zum Beispiel ein gewaltiger Unterschied, ob man sich auf die Ermittlerin konzentriert, die männliche Täter jagt, oder ob einen die Täterinnen mehr interessieren. Das sind unterschiedliche Perspektiven. Frauenkrimi war ein Label, das sich verdammt gut verkauft hat, ein marktstrategisches Schlagwort, aber der Sache nach macht es wenig Sinn, unsere Bücher alle in einen Topf zu werfen.
War es früher mal sinnvoll? War es nicht notwendig, den Krimi von Frauenleichen zu befreien?
Sicher war das ein wichtiger Schritt. Vor allem, wenn man sich den amerikanischen Krimi anschaut, ein stark männlich geprägtes Genre, und wenn man sich überlegt, was passiert, wenn nicht die Leiche, sondern the private eye eine Frau ist.
Das ist die eine Traditionslinie, die ihr Augenmerk auf die Ermittlerin richtet. Daneben gibt es aber den zweiten großen Strang: die Geschichte von Täterinnen zu schreiben. In gewisser Weise ist dies das schwierigere Projekt, weil die weibliche Täterin eine wunderbare Männerphantasie ist, die über viele Jahrzehnte, Jahrhunderte hinweg etabliert wurde. Ich habe ja bislang auch männliche Täter gehabt, die von Frauen ermittelt werden. Mich interessiert jetzt, ob es gelingt, eine Täterin jenseits der Männerphantasie zu entwerfen.
Sie arbeiten derzeit an Ihrem dritten Buch?
Ich bin jetzt gerade in der Phase, wo ich plotte. Da möchte ich noch nicht soviel verraten, außer: Es spielt wieder in Berlin, es wird viele Leichen geben, es wird kein Milieuroman wie die ersten beiden, es steht also nicht die Demaskierung des Milieus im Zentrum, und es wird zwar wieder eine Ermittlerin geben, aber das Hauptaugenmerk liegt, wie gesagt, auf einer Täterin.
Sie haben gerade ein Theaterstück gemacht. Sind Sie froh, sich jetzt wieder mit Morden befassen zu können?
Es ist eher wieder eine Freude an der Prosa, ich habe das Theaterstück, die Dialogarbeit wahnsinnig gerne gemacht, aber dieser ganze Prozeß, der mit der Manuskriptabgabe nicht zu Ende ist, sondern erst richtig losgeht, das ist schon ein Prozeß, wo ich nicht weiß, ob ich meine Arbeit nur darauf setzen möchte.
Deshalb bin ich froh, jetzt wieder an einen Text gehen zu können, von dem ich weiß, der ist lektoriert, wird gedruckt, es kommen zwei Buchdeckel drumherum, und das war's. Interview: Heike Gläser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen