: Nicht hinter den Kulissen verschwinden
■ Jörn Merkert, Direktor der Berlinischen Galerie, fordert nach dem Auszug aus dem Martin-Gropius-Bau von Kultursenator Radunski eine Entscheidung für ein eigenes innovatives Haus. Das Land darf die St
taz: Herr Professor Merkert, läßt der Senat die Berlinische Galerie seit ihrem Auszug aus dem Martin-Gropius-Bau 1997 im Regen stehen? Bis jetzt hat er keine Standortentscheidung getroffen.
Jörn Merkert: Es ist in der Tat einiges ungeregelt. Wir reden seit sechs Jahren über einen eigenen Standort. Eine Antwort auf dieses Problem gibt es nicht, die Landespolitik scheint dieser Verpflichtung aus dem Weg zu gehen. Es ist vielleicht noch nicht in allen Köpfen, daß die Berlinische Galerie das Landesmuseum ist. Längst hätte die Kulturverwaltung die Standortfrage entscheiden müssen.
Was fordern Sie von Kultursenator Radunski?
Der Kultursenator muß der Verpflichtung durch das Parlament nachkommen, bis Ende Mai zu sagen, was er mit der Berlinischen Galerie vorhat.
Bezweifeln Sie, daß Radunski dieser Verpflichtung nachkommt?
Es herrscht seit langem Entscheidungsnot. Der Senator hat mehrfach gesagt, bald werde über unsere Zukunft entschieden. Wir haben das schon so oft gehört, daß ich fast nicht mehr daran glaube.
Schiebt der Kultursenator diese Entscheidung auf die lange Bank, weil er die Berlinische Galerie zurück in den Martin-Gropius-Bau stecken möchte?
Das Parlament und der Hauptausschuß gehen davon aus, daß wir nach der Renovierung nicht in den Gropius-Bau zurückziehen. Der Senator hält uns diese Option zwar offen. Aber man kann sich an zwei Fingern abzählen, daß das sowohl für die geplante Dauernutzung des Gropius-Baus als Grand Palais als auch für die Berlinische Galerie kontraproduktiv ist.
Was spricht gegen dieses Szenario? Der Gropius-Bau ist ein großes Haus, mit nicht wenig Renommee.
Der Gropius-Bau ist ein fabelhaftes Haus. Es eignet sich aber mehr für finanziell gut ausgestattete Wechselausstellungen. Über all die Jahre war der politische Konflikt da, daß wir für bedeutende Großprojekte unsere Sammlung wegräumen mußten. Das tut keinem Museum gut. Unser Profil ist hinter dem Profil Gropius-Bau verschwunden. Wenn heute jemand fragt, wer hat die Ausstellung „Moskau–Berlin“ gemacht, dann waren das der Gropius-Bau oder die Zeitgeistgesellschaft oder die Festwochen. Aber es war die Berlinische Galerie. Selbst wenn wir dorthin zurückzögen, ist nach meiner Kenntnis das Haus bis zum Jahr 2001 an Großprojekte vergeben. So verschwänden wir hinter den Kulissen: für das Land, die Besucher, Künstler, Galeristen, Sponsoren, Mäzene. Außerdem halte ich diese Idee nicht für gut: Nach dem Umbau hätten wir weniger Ausstellungsfläche. Und Büros verloren. Wir hätten noch weniger Platz als Dauernutzer als vorher.
Der Investor Realprojekt samt Partner entwickelt das Gelände der ehemaligen Schultheiss- Brauerei am Kreuzberg und hat es dem Land als festes Museumsquartier für die Berlinische Galerie angeboten. Er droht, sich im Sommer nach anderen Partnern umzusehen, wenn keine Entscheidung fällt. Fürchten Sie, daß der Senat diese verschläft?
Der Investor braucht Planungssicherheit – ob mit oder ohne Berlinische Galerie. Wenn für den Investor hier entschieden würde, bedeutete dies für alle eine größere Handlungsfähigkeit und auch eingespartes bares Geld.
Ihnen ist doch auch klar, daß Realprojekt mit der Haltung, bis zum Sommer auf Termine und vertragliche Regelungen zu drängen, das Land unter Druck setzt. Ist das nicht kontraproduktiv?
Wenn sich absehen ließe, daß es zu einer Entscheidung im August oder September kommt, kann ich mir nicht vorstellen, daß der Investor da nicht mitspielte. Wenn bis zum Frühjahr 1999 – da läuft der Vertrag über unsere derzeitge provisorische Nutzung des Schultheiss-Geländes aus – dagegen nichts entschieden ist, sind wir als politisches Problem wieder auf der Tagesordnung. Der Investor könnte dann sagen, das Museum blockiert ein privates Investment von einer Viertelmilliarde Mark und mehr, nur weil der Senat nicht weiß, wo die Berlinische Galerie hinsoll. Das ist ein Druck, den ich als Museum gar nicht ausüben kann. Das ist produktiv.
Zugleich steht die Ansicht im Raum, daß Realprojekt die Berlinische Galerie für das eigene Bauvorhaben mit Wohnen/Arbeiten/ Kultur instrumentalisiert.
Natürlich sieht der Investor die Berlinische Galerie als Lokomotive. Aber er hat viel mehr gebracht, als es seine Bringschuld wäre. Er hat für das Gelände einen internationalen Bauwettbewerb ausgeschrieben mit konkreten Ideen, wie man die sagenhaften Brauereigewölbe in ein Museum umwandeln könnte. Es steht das Wort des Investors, dieses für 50 Millionen Mark zu realisieren und dem Land zu überlassen. Entscheidend aber ist, daß sich der Investor dies mit Austauschgrundstücken bezahlen lassen will.
Welche Probleme bringt diese Unsicherheit derzeit dem Museum?
Wir geraten da in eine Zwickmühle. Weil wir ein Museum sind, das gerade auch durch mäzenatische Unterstützung lebt, gibt es nicht wenige Mäzene und Stifter, die sagen: Wenn ihr über Jahre hinweg geschlossen seid, wollen wir unsere Sachen zurückhaben.
Sie haben oft betont, daß der Standort Postfuhramt in Mitte viele Vorteile bietet: zwischen Museumsinsel, Hamburger Bahnhof und den Galerien für junge Kunst. Was hat den Ausschlag für den Rückzieher gegeben?
Unsere Präferenz lag ganz eindeutig beim Postfuhramt. Fünf Jahre lang haben sich die Verhandlungen mit der Post hingezogen, zuletzt mit dem Erfolg, daß der Preis von 55 Millionen Mark, den die Post haben wollte, auf 25 Millionen heruntergehandelt wurde. Doch das Land Berlin signalisierte der Post, daß selbst diese Summe nicht vorhanden ist. Zugleich stand unser Angebot und das des Fördervereins, den Bau so zu nehmen, wie er ist, und mit bescheidenen Mitteln selbst herzurichten. Aber der Senat ließ sich darauf nicht ein. Die Post hat nun die Geduld verloren und gesagt, daß sie das Postfuhramt nicht mehr verkauft, weil sie es selbst nutzen oder vermieten will. Da dies nun gescheitert ist, sehen wir in der Schultheiss-Brauerei eine andere hervorragende Möglichkeit.
Aber Sie bedauern, daß Sie nicht in dieses Umfeld können. Kreuzberg ist ja ganz schön weit vom Schuß.
Das denkt man nur, wenn man noch die Mauer im Kopf hat. Vier U-Bahn-Stationen von hier kommt „Stadtmitte“, kurz darauf „Friedrichstraße“, das sind keine großen Entfernungen. In Paris liegt das Centre Pompidou auch im Marais und das städtische Kunstmuseum neben dem Eiffelturm – das sind riesige Distanzen und doch in einem Organismus. In vier Jahren redet man darüber hier auch nicht mehr. Der andere Aspekt ist: Hier entsteht eine eigene Stadt, mit Gewerbe, Handel und Wohnen für vielleicht fünftausend Menschen, eine echte Kreuzberger Mischung. Die bildet das Umfeld des Museums.
Kreuzberger Mischung? Nach den Plänen des Investors soll hier ein Quartier für Menschen mit viel Geld gebaut werden.
Ich habe kein Problem damit, wenn ohnehin teure Eigentumswohnungen noch ein bißchen teurer werden – unsretwegen. Denn schließlich kommt das Museum der Öffentlichkeit zugute – es geht nicht um ein Luxusbüro für mich. Betrachtet man das von den Aufgaben der Stadtreparatur her, dann könnte es für Kreuzberg von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit sein, wenn hier ein neues Quartier entsteht, mit „Wohnen im Grünen“ und Freizeit im Park, die sich in die Kultur öffnen. Schaut man sich die städtebaulichen Pläne an, dann wird das hier wie Klein-Venedig: Es wird kein Auto hier reinfahren. Der Verkehr wird unten durchgeführt. Nicht nur eine Fußgängerzone, sondern ein ganzes Quartier als autofreie Zone zu haben, ist das nicht ein utopischer Entwurf?
Reden Sie damit diesen Standort nicht auch ein bißchen schön? Sie haben Paris erwähnt, dort werden Museen als Ereignisse inszeniert – hier geht die Berlinische Galerie in den Keller.
Langsam, jetzt kommt die Ereignisinszenierung Berlinische Galerie. Drüben, vor dem ehemaligen Flaschenkeller, soll eine Piazza mit Cafés, Restaurants und einem gläsernen Museumseingang entstehen. Der Trick ist, ein Stück des Kreuzbergs abzutragen.
Sie wollen den Kreuzberg abbuddeln? Gibt das nicht Krach mit der Denkmalpflege?
Nein, nicht hier, wo alles betoniert ist. Der häßliche Neubau wird weggerissen. Das erste Kellergeschoß wird zum Erdgeschoß. Diese Gewölbe haben etwas Spektakuläres in ihrer klaren, großen Struktur. Diese ungewöhnliche Lösung, Kellergewölbe in ein Museum mit Tageslicht umzubauen, kann einen eigenen Drive entwickeln.
Viele Galerien, die es hier gab, haben Kreuzberg in Richtung Mitte verlassen, Institutionen klagen über das Ausbleiben des Publikums.
Aber das neu entstehende Quartier kann zur Stabilisierung des Bezirks beitragen; warum sollten in unsere Nachbarschaft nicht wieder Galerien ziehen?
Sind derzeit Ihre Bestände überhaupt nicht zu sehen?
Zur Zeit bereiten wir eine Gastausstellung in der Kunsthalle Bonn vor, die auf immerhin 2.000 Quadratmetern das Profil des Museums vorstellt. Als ich diese Ausstellung in andere europäische Städte bringen wollte, wurde ich mit offenen Armen empfangen, weil die Museumsleute dort schneller als die Berliner selbst verstanden haben, daß die Sammlung der in Berlin entstandenen Kunst das Drama der Kunst im 20. Jahrhundert bündelt: mit allen utopischen Entwürfen der zwanziger Jahre, mit allen Einbrüchen, Katastrophen und Neuanfängen. Die Fokussierung auf Berlin bedeutet, auch wenn das nicht in allen Köpfen drin ist, per se Internationalität. Wir haben eine bedeutendere Sammlung zu den Russen in Berlin als die Nationalgalerie; wir haben Werke von amerikanischen, türkischen und polnischen Künstlern, die den Metropol- oder auch den künstlichen Charakter der Stadt zu bestimmten Epochen deutlich machen. Selbst das Kapitel der Nachkriegskunst, wo es mit der Qualität erst einmal runtergeht, ist ein Moment der historischen Wahrheit.
Im Gropius-Bau hielt der Wechsel zwischen fest eingerichteten Räumen und Sonderausstellungen die Sammlung auch lebendig. In der Schultheiss-Brauerei wären die Raumkapazitäten sehr viel größer: 40 Räume, 400 Quadratmeter, eine lange Galerie mit 900 Quadratmetern. Das ist gigantisch. Da kann man doch das bisherige Programm des Museums nicht einfach nur fortsetzen. Was kommt neu hinzu?
Die Gründung der Galerie als Landesmuseum für Bildende Kunst, Photographie und Architektur beinhaltet die Idee des Interdiziplinären, und wir haben nie die Chance gehabt, das interdisziplinäre Museum wirklich aufzubauen. Wir wären hier zum erstenmal in der Lage, die Sammlung nicht wegräumen zu müssen für die aktuellen Ausstellungen. Hier könnten wir zu einer beruhigteren Museumssammlung kommen; daß man nicht jedesmal suchen muß, wo hängt denn nun der Dix – wenn er denn hängt. Wir werden als Anbindung an den Park auf zwei Seiten einen Skulpturengarten haben. Wir können in ganz anderem Maße Installationen von Künstlern für längere Zeit aufbauen. Wir werden einen Vortragssaal haben, Konzerte, Filme, Kino.
Worin wird sich eine zukünftige Berlinische Galerie noch von der bestehenden Museumslandschaft unterscheiden?
Ich will kein Museum mit der Ausstrahlung des Hamburger Bahnhofs, sondern den Werkstattcharakter betonen. Ich bin sehr froh, daß Fred Fisher den städtebaulichen Wettbewerb der Investoren gewonnen hat; denn der bringt viel Erfahrung mit, wie man ein Museumskonzept mit diesem Werkstattcharakter und der Öffnung des Hauses in Architektur umsetzen kann. Er hat vom schnieken Moca [Museum of Contemporary Art] in Los Angeles bis zur Arbeitsatmosphäre vom PS1 in New York schon viele Museen umgebaut. Der gläserne Vorbau, den Fisher im Moment angedacht hat, ließe sich nicht nur für Diners von 250 Leuten vermieten, die im Museum ihren Geburtstag feiern wollen, sondern auch als Bühne für spezielle Ereignisse. Wir denken auch über einen Raum der Gegenwart nach, in dem man schnell, ohne großen finanziellen Aufwand reagieren kann, experimentelle Befragungspositionen vorstellen, Vorträge, Diskussionen veranstalten kann. Aber das ist Musik von Übermorgen. Interview: Katrin Bettina Müller
Rolf Lautenschläger
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