: Pieroth von Gillette eiskalt rasiert
■ Fünfhundert-Millionen-Mark-Investition von Gillette ist ein Nullsummenspiel: Neue Arbeitsplätze werden durch den Abbau bei anderen Produktionen ausgeglichen. Der Senat fördert das Projekt mit mindesten
Fünfhundert Millionen Mark will Gillette in Berlin investieren, um einhundert neue Arbeitsplätze zu schaffen, gab Wirtschaftssenator Pieroth (CDU) am Dienstag bekannt. Das Projekt habe er letztes Jahr in Boston „eingetütet“, rühmt sich Pieroth. Offenbar aber wurde der Senator vom Naßrasierer-Produzenten eingeseift. Wenn Gillette im Herbst die Produktion der neuen Rasierer-Generation „Mach 3“ im Werk Tempelhof startet, sind nämlich an anderer Stelle deutlich über einhundert Mitarbeiter abgebaut worden.
Der in den USA für 1,2 Milliarden Mark entwickelte neuartige Drei-Klingen-Rasierer soll künftig der Verkaufshit von Gillette sein. Versprochen wird von dem amerikanischen Konzern „die gründlichste Rasur aller Zeiten“. Jährlich sollen in Tempelhof eine Milliarde Rasierer gebaut werden.
„Ein tolles Produkt“, ist die Betriebsratsvorsitzende Jutta Schneider überzeugt. „Es ist positiv, daß die neue Technik den Standort sichert“, urteilt auch Walter Mayer von der IG Metall. Zugleich aber rät er Senator Pieroth, die „Welt nicht zu rosarot darzustellen“. Von einhundert neuen Arbeitsplätzen zu sprechen sei jedenfalls eine „Milchmädchenrechnung“.
Tatsächlich nämlich werden im Tempelhofer Werk derzeit zwei andere Produktionslinien abgebaut und nach England verlagert. Betroffen sind die Produktion der Rasierer „GII“ und „Contur“. Zusätzlich wird der gesamte Bereich Verpackung geschlossen. Über einen Sozialplan und Aufhebungsverträge haben in den letzten Monaten über einhundert Mitarbeiter den Betrieb verlassen. Bedroht sind von der Verlagerung der Verpackungsabteilung auch Subunternehmer, die bislang für Gillette arbeiteten. Unter dem Strich werde es bei Gillette durch die neue Produktion nur einen „minimalen Zuwachs an Arbeitskräften“ geben, bestätigt die Betriebsratsvorsitzende Jutta Schneider. Der Pressesprecher des Unternehmens wollte dazu gestern keine Stellungnahme abgeben.
Betriebsrätin Schneider befürchtet außerdem, daß sich die Zahl der gegenwärtig rund 1.300 Beschäftigten weiter verringern wird. Schließlich soll auch in der Verwaltung rationalisiert werden. Von Mitarbeitern ist auch zu erfahren, daß bis 1999 im Bereich der Produktprüfung noch einmal 80 Plätze abgebaut werden. Jutta Schneider fürchtet, daß die „Zahl der Beschäftigten nicht mehr lange vierstellig sein wird“.
Gewerkschaftssekretär Walter Mayer erinnert daran, daß Gillette außerdem Ende der achtziger Jahre die Produktivität deutlich gesteigert hat. Damals mußte der Betriebsrat der Sechstagewoche mit jeweils drei Schichten rund um die Uhr zustimmen.
Gillette hat für die neue Produktion außerdem staatliche Fördergelder kassiert. Die „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ fördert Unternehmen bis zu 43 Prozent der Investitionssumme. Als normal gilt bei Großunternehmen eine Förderungsquote von 15 bis 20 Prozent – dies wären 50 bis 100 Millionen Mark Staatsknete für Gillette. Die Höchstförderung könnte im Falle Gillette sogar 28 Prozent betragen, weiß Vollrad Kuhn, der wirtschaftspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, von anderen Großprojekten. Das Land Berlin muß die Hälfte der Förderungssumme übernehmen. Der Rest kommt vom Bund und der EG.
Bei der Wirtschaftsverwaltung will man zu der Gillette-Investition und den Förderungskriterien keine Einzelheiten mitteilen. Man wolle den Mitteilungen des Unternehmens nicht vorgreifen, begründet Sprecher Michael Wehran die Zurückhaltung. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob es mit Gillette eine Vereinbarung zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen gegeben hat. Allgemein aber, so versichert Pieroth-Sprecher Wehran, „sind das Punkte, die bei Investitionen berücksichtigt werden“. Gerd Nowakowski
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