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Die tödliche Wohlstandsquelle

Milliardeneinnahmen aus dem Ölexport sollen den bitterarmen Wüstenstaat Tschad reich machen. Die Bevölkerung des Fördergebietes im Südwesten hat davon wenig  ■ Aus Moundou Martin Zint

Im Takt ihres Gesanges stampfen zwanzig junge Männer rhythmisch auf der Stelle. Sie stehen in einem orangeroten Container auf dem Dorfplatz von Bekia, einem kleinen Dorf im Süden des Tschad. Unter ihren Füßen verdichtet sich frisch gepflückte Baumwolle. Erst nach tagelangem Stampfen füllen die federleichten Baumwollfasern den dann tonnenschweren Container. Die Staatsfirma Coton-Tschad holt ihn ab. Was man den Dorfbewohnern dafür bezahlt, stellt in etwa ihr Jahreseinkommen dar. Andere Verdienstmöglichkeiten gibt es in dieser bitterarmen Region nicht.

Aber das soll sich ändern. Unter den Baumwollfeldern wurde Erdöl entdeckt. Ein Konsortium aus Esso, Shell und Elf rechnet mit einer Milliarde Fässern Rohöl, das ab dem Jahr 2002 aus 300 Bohrlöchern gefördert werden soll. In der dichten Staubwolke, aus der ihre Köpfe in die brennende Sonne ragen, träumen die jungen Männer jetzt davon, bald in einem schattigen Pförtnerhäuschen Einrichtungen der Firma Esso zu bewachen. Für regelmäßigen Lohn.

Der Baubeginn ist für Mitte 1998 vorgesehen. Dann sollen die 300 Bohrlöcher niedergebracht werden und soll ein über hundert Kilometer langes Sammelsystem für den Transport des Rohöls innerhalb des Fördergebiets entstehen. Eine zentrale Aufbereitungsanlage wird das Öl auf Exportqualität bringen, bevor es in einer 1.050 Kilometer langen Pipeline durch das westliche Nachbarland Kamerun an die Atlantikküste transportiert wird. In Kribi soll das Öl dann in einer Off-shore-Anlage auf Tanker verladen werden.

Umweltverbände Kameruns protestieren heftig gegen die Pipeline, die durch tropischen Regenwald und Pygmäengebiet an einen bisher unberührten Strand führen soll. Sie wird ausgerechnet dort münden, wo der Lobé-Fluß über einen Wasserfall in den Atlantik stürzt. Die ganz besonderen Fauna und Flora in der Bucht bei Kribi wäre durch die Ölverladung extrem bedroht. Etwa 200 Kilometer entfernt gibt es bereits den Ölhafen Limbé – der hat allerdings den Fehler, im englischsprachigen Teil Kameruns zu liegen. Den Memoiren des ehemaligen Chefs der französischen Ölfirma Elf, Loik le Floch-Prigent, ist zu entnehmen, daß das französische Außenministerium darauf gedrungen hat, die Pipeline ausschließlich durch frankophones Gebiet zu führen.

Das tschadische Doba-Becken, in dem die Ölfelder liegen, gehört zu den fruchtbarsten Regionen des Wüstenlandes Tschad. Hirse- und Baumwollfelder liegen in einer von zahlreichen Wasserläufen durchzogenen Buschlandschaft, verstreut zwischen großen Brachflächen. Sobald es im Norden des Tschads zu trocken wird, ziehen auch nomadisierende Viehzüchter mit ihren riesigen Herden durch die zukünftige Ölregion. Die daraus entstehenden Landkonflikte werden sich erheblich verschärfen, wenn auch noch 300 Bohrlöcher eingezäunt sind. Auch das verbliebene Ackerland muß viel intensiver genutzt werden, wenn die bisherigen Erträge auf kleinerer Fläche erwirtschaftet werden sollen. In einer Studie stellt Esso fest, daß sich Düngemittel wegen fehlender Straßen nicht in den notwendigen Mengen in das Projektgebiet transportieren lasse. Aber die Menschen in der Region hätten sowieso kein Geld für Düngemittel.

Entschädigung? Lächerliche zehn Mark

Die zunächst vorgesehenen Entschädigungszahlungen für die Nutzung landwirtschaftlicher Flächen waren lächerlich niedrig. Zehn Mark sollte es für einen Mangobaum geben. „So ein Baum muß viele Jahre gepflegt werden, bevor er trägt“, sagt der Parlamentsabgeordnete Yorongar Ngarlejy. „Dann bringt er über Jahrzehnte Ernten, von denen auch im bettelarmen Tschad jede einzelne an die hundert Mark erbringt.“ Als Abgeordneter der Ölregion machte er dies in einer Parlamentsrede öffentlich. Seitdem will Esso, das die skandalösen Entschädigungssätze während der Probebohrungen angewandt hatte, neu verhandeln. Und selbst Regierungsvertreter sagen, die Entschädigungssätze müßten auf das Hundertfache erhöht werden. Ngarlejy mußte nach seinem Erfolg einige Monate in Europa verbringen, da die Regierung versuchte, seine parlamentarische Immunität aufzuheben und ihn zu verhaften. Mit Unterstützung des Europäischen Parlaments konnte diese Bedrohung abgewendet werden.

Im Schatten eines Baumes erzählen die Alten des Dorfes Bekia von ihren Sorgen. In ihrer Region berühren sich die Grenzen der zentralafrikanischen Republik, Kameruns und des Tschads. Das Dreiländereck ist Operationsgebiet der „Bewaffneten Kräfte für eine Föderale Republik“ (FARF), die unter der Fürung von Laokein Bardé einen Guerillakrieg gegen die Regierung des Tschads führt. Die Kämpfer treiben eigene Steuern auf die Baumwollproduktion ein und plündern in den Dörfern für ihren Lebensunterhalt. Wer sich ihnen in den Weg stellt, wird ermordet.

Die Militärs sind nicht besser. Vor einigen Wochen fand in einem Nachbarort eine große Beerdigung statt. Auf dem Rückweg wurde Louis Sable Mianmardé, Mitglied des Kirchenchores von Bekia, von Soldaten festgehalten und mitgenommen, weil er keine Papiere bei sich hatte. Sein Freund N'Garndoloum Leandre Bitoloum, der sich für ihn einsetzen wollte, wurde ebenso festgenommen wie sein Onkel, der inzwischen die Papiere seines Neffen besorgt hatte. Obwohl der Dorfälteste und zahlreiche andere bezeugten, daß es sich um seßhafte Dorfbewohner handelte, die mit der Rebellion nichts zu tun hatten, und dafür auch Beweise vorlegten, nahmen die Militärs die Jungen mit. Ihre grausam zugerichteten Leichen wurden am nächsten Tag etwa zehn Kilometer entfernt gefunden.

„Auch ich bin schon eine wandelnde Leiche“, sagt Ortsvorsteher Esaya N'Dilmbang. „Mich wird man bei nächster Gelegenheit holen. Dabei bin ich doch der Vertreter der Obrigkeit. Die Leute hier verlieren jeden Glauben an die Zukunft“.

Nur wenige Kilometer entfernt, in Dangdilli, versammelt sich neben frischen Gräbern fast das ganze Dorf im Kreis. In der Mitte erzählt der neue Ortsvorsteher, was seinem Vorgänger zustieß. Militärs waren gekommen und hatten den Dorfbewohnern vorgeworfen, den Rebellen Vieh gegeben zu haben. Der Ortsvorsteher stellte sich schützend vor seine Leute und wurde mitgenommen. „Und dann müssen sie ihm Säure eingeflößt haben. Wir haben ihn ein Stück entfernt gefunden, tot und mit aufgeblähtem Bauch. Dabei war er kerngesund.“

Noch einige Kilometer weiter, am Rande der Ölregion, liegt der Marktflecken Donia. Im Bildungszentrum neben der katholischen Kirche findet das erste Informationsseminar über die Ölförderung statt. Etwa 100 Menschen sind gekommen – Vertreter von Bauernorganisationen, Mitarbeiter der Hilfsorganisationen, Ortsvorsteher, der katholische Bischof und der Imam, Vertreter von Regierung und Weltbank und nicht zuletzt fünf Mitarbeiter der Exxon- Konzernzentrale im US-amerikanischen Houston. Das deutsche Hilfswerk Brot für die Welt hat dem Dachverband der tschadischen regierungsunabhängigen Organisationen für das Seminar Geld zur Verfügung gestellt.

Im Oktober 1997 hatte Esso eine Umweltverträglichkeitsstudie vorgelegt. Die Weltbank, die einen Teil des Ölprojekts finanzieren soll, verlangt solche Studien, und die tschadischen Organisationen nutzten ihre Chance, die Studie durchzuarbeiten. Als jetzt die Esso-Mitarbeiter versuchen, das Ölprojekt mit bunten Bildern und schönen Worten im besten Licht darzustellen, stoßen sie auf ein sachkundiges Publikum. Der Umweltbeauftragte des Projekts bei Esso, Mel Benson, rühmt die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung, wie er es sicher schon auf vielen PR-Veranstaltungen getan hat – dann steht hier ein Dorfvorsteher auf und erklärt, wie die Befragung abgelaufen war: Eine US-amerikanische Soziologin kam in Begleitung von Soldaten in den Ort. Wer konnte, floh, wer zurückblieb, wußte, was er zu sagen hatte.

Djeralar Miankeol, Mitarbeiter einer lokalen Bauernorganisation, sagt über die Studie: „Was da drinsteht, kenne ich aus der Literatur. Mit der Realität meiner Region hat das wenig zu tun.“ In einer Erklärung zum Abschluß des Seminars verlangen die tschadischen Teilnehmer weitere Studien und konkrete Maßnahmen zur Absicherung der Bevölkerung und der Umwelt. „Esso muß seine Hausaufgaben neu machen“ betitelt die größte Zeitung Tschads, N'Djamena Hebdo, ihren Bericht darüber.

Gewaltfrei? Die Armee massakriert trotzdem

Der Moderator des Seminars von Donia, Julien Beassemda, ist eine Zeitlang später zwischen Zementsäcken, Sandhaufen und Lehmziegeln im Hof seines Hauses in der Bezirkshauptstadt Moundou anzutreffen. Beassemda ist Vorsitzender des Tschadischen Vereins für Gewaltfreiheit (ATNV) und bemüht sich seit langem auch um eine Verständigung zwischen Regierung und Rebellion. Am 26. April 1997 war ein Friedensvertrag geschlossen worden. Die FARF-Rebellen gaben ihre Waffen ab und konstituierten sich als politische Partei. Beassemda stellte dem neuentstandenen „Forum der Kräfte für eine föderale Republik“ – praktischerweise mit derselben Abkürzung FARF – ein Haus auf seinem Grundstück zur Verfügung. Am 30. Oktober 1997, als er gerade auf einer Informationsreise durch Europa war, überfielen Militärs das Anwesen.

Die meisten der demobilisierten Rebellen, denen der Angriff galt, konnten fliehen. Unter ihnen ihr Chef Laokein Bardé. Aus Wut, aber möglicherweise auch, um den Vorgesetzten einen Erfolg vorzutäuschen, verübten die Militärs ein Massaker an den Nachbarn. In dem Hof von Beassemdas Anwesen wurden 40 Leute aus dem Viertel wahllos zusammengetrieben und ermordet. Deren Leichen auf dem Grundstück gaben die Soldaten als getötete Rebellen aus. Die waren aber in den Busch geflohen und nahmen den Kampf wieder auf. Die Regierung schickte Spezialeinheiten in die Region. Unter dem Vorwand der Bekämpfung der neuen Rebellion begingen die Sicherheitskräfte nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen allein im März 1998 über 200 Morde an Zivilisten. Ein neues Friedensabkommen, das vergangene Woche von der Regierung verkündet wurde, ist bisher von der FARF nicht bestätigt worden.

Für Jean-Pierre Petit, den in der Hauptstadt N'Djamena residierenden Generaldirektor von Esso- Tschad, sind diese Auseinandersetzungen interne Angelegenheiten eines souveränen Staates, die die Aktivitäten von Esso nicht berühren. Einrichtungen der Firma sind bisher tatsächlich nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. „Man muß den Leuten Zeit lassen, nach dreißig Jahren Krieg im Land“, sagt Petit. Aber im Sommer 1998 will er mit den Förderarbeiten beginnen.

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