Bonner SPD leistet bei Höppner Abbitte

Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering räumt ein, die Situation in Sachsen-Anhalt tagelang nicht beherrscht zu haben. Über Nacht ändert die SPD ihr Verhältnis zur PDS. Wahlkampftaktik oder Umdenken?  ■ Aus Bonn Markus Franz

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner darf sich immer mehr als Gewinner der innerparteilichen Auseinandersetzung mit der Bonner SPD fühlen. Kanzlerkandidat Gerhard Schröder und Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering leisten inzwischen Abbitte dafür, die Situation in Sachsen-Anhalt falsch eingeschätzt zu haben. Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker springt Höppner bei, und bei der CDU mehren sich die Stimmen, besser auf eine Rote-Socken- Kampagne zu verzichten.

Dennoch steckt die SPD in einem Dilemma. Sie kann zum Thema PDS sagen oder entscheiden, was sie will: Es wird ihr so oder so angekreidet. Ungeschickt war, so heißt es, daß Gerhard Schröder anfangs so kompromißlos für eine Große Koalition eingetreten ist. Gleichzeitig hat er dadurch Schwäche bewiesen, daß er Reinhard Höppner zu eben dieser Großen Koalition nicht bewegen konnte. Solch entgegengesetzte Vorwürfe lassen sich inzwischen in ein und demselben Zeitungsartikel finden. Außerdem wird der SPD vorgeworfen, nicht zuzugeben, daß ihr Krisenmanagement versagt hat. Als Müntefering am Donnerstag schließlich doch zugibt, daß die SPD die Situation „tagelang nicht beherrscht“ habe, fragt ein Journalist: „Ist es nicht ein Zeichen von Schwäche, daß Sie das zugeben?“

Und selbst diejenigen, die das Tolerierungsmodell in Sachsen- Anhalt an sich begrüßen, müssen einräumen, daß nun der Verdacht aufgekommen ist, die SPD werde sich auch im Bund von der PDS tolerieren lassen. Dabei weiß jeder, der Kohls Vorwurf kolportiert, Schröder wolle nun „auch mit Hilfe der PDS die Bundestagswahl gewinnen“, daß es sich dabei um eine wahltaktische Lüge handelt.

Dennoch stellen sich im Zusammenhang mit der PDS Fragen an die SPD, die nicht beantwortet sind: Hat die SPD in den letzten Tagen tatsächlich mehr Verständnis für die besondere Situation in Ostdeutschland entwickelt? Hat sich das Verhältnis der SPD zur PDS entspannt? Folgt die SPD ihrem Bundesgeschäftsführer, der weitere Tolerierungsmodelle für Ostdeutschland empfohlen hat? Ist in den neuen Bundesländern nun sogar eine Koalition zwischen SPD und PDS denkbar?

Die Frage der Koalitionsbereitschaft der SPD mit der PDS auf Landesebene stellt sich ernsthafter, als Gerhard Schröder das am Donnerstag abend im ZDF wahrhaben wollte. Schröder selbst hatte 1994 Koalitionen auf Landesebene nicht ausgeschlossen. Und der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Thierse hatte im Dezember 1996 in einem Strategiepapier festgestellt: „Die SPD muß sich der Tatsache bewußt sein, daß ihr eine offenere, gar koalitionsbereite Haltung gegenüber der PDS im Osten möglicherweise nützen könnte.“ Inzwischen lehnen sowohl Schröder als auch Thierse Koalitionen mit der PDS vehement ab. Aber hat es nicht etwas Unehrliches, sich von der PDS tolerieren zu lassen, eine Koalition mit ihr aber völlig auszuschließen?

Die Unterschiede in Sprache und Denken zwischen den Genossen im Osten und im Westen sind jedenfalls trotz der beigelegten Krise zwischen Sachsen-Anhalt und Bonn riesengroß. Sowohl Schröder als auch Müntefering beherrschen zwar inzwischen die von Höppner vorgegebene Sprachregelung, daß die „Uhren in Ostdeutschland anders ticken“, und daß dies zu akzeptieren sei. Aber aus den Äußerungen der Bonner spricht immer noch große Ratlosigkeit über „die da drüben“. „Es schien uns klar“, sagt Müntefering, „daß man in Sachsen-Anhalt eine Große Koalition macht.“ Dann habe sich aber herausgestellt, daß die Gefühlslage in Ostdeutschland anders sei als eingeschätzt. Und das acht Jahre nach der Wiedervereinigung? Schröder stellt zwar fest, daß Tradition und Mentalität eben unterschiedlich seien. Aber versucht er das auch zu verstehen?

Vielleicht ist Franz Müntefering zumindest auf dem Weg dahin. Es mag nach reiner Wahlkampfrethorik klingen, wenn er sagt: „Der Hochmut im Westen, den Wählern einerseits Rechts- und andererseits Linksradikalismus anzuhängen, macht die Menschen im Osten betroffen.“ Vielleicht ist es ja nur Anbiederei, wenn er feststellt: „Mir ist die Souveränität von Sachsen-Anhalt wert, daß man aushält, was jetzt kommt.“ Möglicherweise riecht es nach Opportunismus, wenn er behauptet, beim Umgang mit der PDS gehe es weniger um wahltaktisches Kalkül als darum, Osten und Westen nicht weiter zu spalten. Aber wie sollte er es anders sagen, wenn er es tatsächlich ehrlich meint? Nachdem er noch einmal das Für und Wider von Großer Koalition und Tolerierungsmodell abgeklopft hat, sagt Müntefering schließlich nachdenklich: „Ich weiß gar nicht, wer recht hat.“ Auch das kann Augenwischerei sein, aber muß es das?

Die SPD weiß selbst, daß sie noch viel Diskussionsbedarf in bezug auf die PDS hat. Dennoch bleiben die Reihen bislang erstaunlich geschlossen. Niemand schießt öffentlich quer, wie es noch vor nicht allzu langer Zeit Usus bei der SPD war. Dies sei aber kein Zeichen dafür, daß alle dem neuen Kurs der SPD hinsichtlich der PDS folgten, heißt es. Eher dafür, daß diesmal alle die Wahl gewinnen wollen.