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■ Wenn die Ungarn am Sonntag ihr Parlament wählen, entscheiden sie sich zwischen linken Marktwirtschaftlern und rechten EtatistenDer Postkommunist als Thatcherist

Dem deutschen Zeitungsleser muß die ungarische Politik unverständlich erscheinen. Da hat man ihm eingebleut, daß die Postkommunisten und die rechtsradikalen Parteien gleichermaßen extremistisch wären. Dennoch bekommt der postkommunistische Führer Ungarns, Gyula Horn, regelmäßig deutsche Orden an die Brust geheftet. Von Kohl bis Genscher werden er und seine Partei mit einer Anerkennung überschüttet, von der nicht nur die PDS, sondern auch Sozialdemokraten und Grüne nur träumen können.

Die augenfälligste Eigenheit der ungarischen Parteienstruktur ist, daß sie nach links hin geschlossen, nach rechts hin unendlich offen ist. Es stimmt zwar, daß sich „links“ von Gyula Horns Sozialisten noch die Partei der János- Kádar-Getreuen tummelt. Nur: diese hetzt gegen niemanden. Sie setzt auf die Nostalgie derer, die der gnadenlose Übergang zur Marktwirtschaft nach dem Bankrott des fürsorglichen Parteistaates ruinierte. Dieselbe Nostalgie verhalf der Sozialistischen Partei 1994 zur absoluten Mehrheit. Im Besitz der Macht baute sie den Kapitalismus mit demselben Eifer auf wie seinerzeit den sogenannten Sozialismus. Dabei stahl ihre ererbte Klientel alles, was nicht niet- und nagelfest war. Die Verlotterung erfaßte zu einem geringen Teil auch ihren Koalitionspartner, den links- liberalen Bund Freier Demokraten (dem auch ich als politisierendes Mitglied angehöre). Weil diese Partei aus der demokratischen Opposition hervorging, die damals als einzige offen gegen das Kádar-System aufgetreten war, sah ihr ihr Anhang auch ein bißchen Korruption nicht nach – wohl ein Grund dafür, daß die Freidemokraten 60 Prozent ihrer Wähler einbüßten. Im widerstrebenden Beischlaf der einstigen Gegner erblickten sie mehrheitlich sowieso eine Perversion. Diese wurde jedoch durch die urbane Werteordnung beider Parteien ermöglicht und erschien wegen des drohenden Staatsbankrotts als vernünftig. Die zur Konsolidierung der maroden Volkswirtschaft nötigen, unpopulären Maßnahmen erforderten stabile Mehrheitsverhältnisse. Deren Odium wälzten die Sozialisten später auf die steinherzigen Liberalen ab, den alles rechtfertigenden Erfolg führten sie jedoch auf das Geschick ihrer eigenen Wirtschaftspolitiker zurück.

Die Rechte organisierte sich gegen diesen Konsolidierungsprozeß. Sie mobilisierte das sozialistische Wunschbild vom fürsorglichen Staat gegen die quasi thatcheristische Marktdisziplin der Linksparteien. An die Spitze dieses Lagers stellten sich die Jungdemokraten, die ihrem Parteinamen, um aus dem Generationsgetto auszubrechen, die Wortschöpfung „Ungarische Bürgerpartei“ hinzustoppelten. Um sich von den Freidemokraten zu unterscheiden, begannen sie 1994, nach rechts auszuscheren, wo sie dann binnen kürzester Zeit die dort vegetierenden, von der vernichtenden Wahlniederlage der Rechtsregierung übriggebliebenen Parteien aufrieben. Für ihren Erfolg zahlten sie einen hohen Preis: Sie übernahmen die nationalistische Demagogie ihrer früheren Gegner. Der Vorsitzende der Jungdemokraten nannte die Regierung „fremdartig“: in Ungarn ein Universalwort für milde Judenbeschimpfung oder antiwestliches Ressentiment. Die Freidemokraten bezichtigten sie der vorsätzlichen und niederträchtigen Volkszersetzung, das Wort „multikulturell“ verwenden sie als Haßwort, als Synonym für Nationsfeindlichkeit. Sie hetzten gegen die Grundlagenverträge, durch die Ungarn erstmals seit 1920 das vergiftete Verhältnis zu jenen Nachbarstaaten zu ordnen versuchte, in denen eine bedeutende ungarische Minderheit lebt. Vor den Wahlen ließen sie sich zu haarsträubenden Versprechungen hinreißen, die, würden sie wahrgemacht, die Ergebnisse des Konsolidierungsprogramms mit einem Schlag zunichte machen würden.

Die Jagd der Jungdemokraten auf das rechte Stimmpotential verwischte die Grenze zwischen der salonfähigen Rechten und der salonunfähigen. Besonders alarmierend ist das deshalb, weil der effizienteste Vertreter der ungarischen nationalsozialistischen Tradition, István Csurka, und seine Organisation mit dem atavistischen Namen „Ungarische Wahrheits- und Lebenspartei“ in der ersten Runde dieser Wahlen ins Parlament einzogen. In seiner ersten Rundfunkerklärung gab er der Welt kund, daß der gemeinsame Konfident von Mossad und KGB zum neuen Fernsehintendanten gekürt werde. Außerdem erklärte er, daß in den Medien und in der Bankenwelt der Anteil von Menschen jüdischer Herkunft zu senken wäre. Die auf etwas dezentere Weise extreme Kleinlandwirte- Partei kam auf 15 Prozent der Stimmen. Ihr derzeitiger Führer vertrieb aus ihr die Mehrheit der demokratisch gesonnenen Politiker. Er predigt Populismus, Kulturkampf und antiurbane Demagogie. Den Import von Fleisch betrachtet er als Verrat an der Nation. Vor zwei Jahren bestimmte er die „Ausrottung des liberalen Ungeziefers“ zur Hauptaufgabe seiner Partei. Jetzt charmiert er wie der böse Wolf aus dem Märchen, der nach der Großmutter gern auch noch Rotkäppchen verspeisen würde, aber seine gebleckten Zähne hinter den Lippen nicht verbergen kann. Trotzdem zogen die Jungdemokraten nach der ersten Wahlrunde zahlreiche ihrer Kandidaten zurück, die schlechter lagen als ihre Kleinlandwirte-Rivalen. (Und umgekehrt.) Sie behaupten zwar, daß sie in der zweiten Runde die absolute Mehrheit auch ohne die Ungeziefervernichter schaffen, doch das glaubt ihnen nicht einmal der Polizist an der Ecke.

Wahlverbündeter und erhoffter Koalitionspartner der Jungdemokraten ist das von ihnen verschluckte, aber noch nicht verdaute Ungarische Demokratische Forum. Dessen Führer Sándor Lezsák versteht nicht, warum er sich von Csurka distanzieren soll. Die Jungdemokraten, unbeugsame Gegner des Nationalismus der ersten frei gewählten, rechtsgerichteten Regierung, wünschen sich nun, mit dem Forum zu regieren. Zu diesem Zweck ernannten sie es schon früher zur „bürgerlichen Kraft“. Über die Vermittlung des Forum wird nun auch Csurka zur bürgerlichen Kraft werden, ebenso wie die Kleinlandwirte, sobald sie für die Parlamentsmehrheit benötigt werden. Mit diesen „Bürgern“ am Hals (Csurka wiegt 150 Kilo, der Kleinlandwirte-Chef Torgyán 120) planen die Jungdemokraten, nach Westen zu marschieren. Wenn sie am Sonntag Erfolg haben, werden wir viel zu lachen haben. Viel, doch wie ich fürchte, in nicht allzu guter Laune. István Eörsi

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