piwik no script img

Wes Geistes Kind

Fünfzehn Jahre hat der Bundestag gebraucht, um sich auf ein neues Kindschaftsrecht zu einigen. Geschiedene Eltern können nun ab 1. Juli gemeinsam das Sorgerecht ausüben, und auch Unverheiratete dürfen gleichberechtigt für ihre Kinder sorgen. Wenn die Mutter es will  ■ Von Christian Gampert

Prima Sache, das neue Kindschaftsrecht. Nur – das Gesetz, das zum 1. Juli in Kraft treten soll, hat einen klitzekleinen Fehler: es ist verfassungswidrig. Und was noch schöner ist: Alle Beteiligten wissen das. Es stört aber keinen. Denn das neue Gesetz schreibt lediglich einen Zustand fort, der seit Bestehen der Bundesrepublik als normal gilt, und die Betroffenen haben keine große Lobby.

Benachteiligt sind die Kinder, deren Eltern ihre Liebesdinge ohne Beteiligung des Staates regeln wollen und folglich nicht heiraten – und benachteiligt sind deren Väter. Die müssen ihre Kinder zwar ernähren, haben aber nichts zu sagen. Selbst wenn die „uneheliche“ Familie seit Jahren zusammenlebt, besteht keinerlei Rechtsbeziehung zwischen Vater und Kind – sorgeberechtigt ist nur die Mutter. Das soll sich nun ändern: Nach Abgabe einer entsprechenden Erklärung können die Eltern ein gemeinsames Sorgerecht erhalten. Sagt die Mutter nein, bleibt das Sorgerecht allein bei ihr.

Das klingt banal, stellt aber das von der Verfassung Gewünschte auf den Kopf. Denn dort steht eindeutig: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse...“ und so weiter. Es steht dort auch: „Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.“ Das heißt: Auch uneheliche Kinder haben einen Anspruch auf Vater und Mutter.

Das neue Sorgerecht nun erkennt diesen Anspruch grundsätzlich an – und nimmt ihn gleich wieder zurück. Mutter darf gnadenhalber dem Kind einen sorgenden Vater und dem Vater Sorgerecht gewähren – wenn sie will. Wohin soll das führen? Daß der Vater das Kind nur anerkennt, wenn die Mutter ihm ein Sorgerecht zubilligt? Daß die Mutter fürs Sorgerecht Forderungen stellt?

Rückblick: In den fünfziger Jahren galt ein uneheliches Kind als etwas Unerwünschtes, als Unfall. Vermieter, die ihren Mieterinnen Herrenbesuche gestatteten, wurden wegen Kuppelei angeklagt. Der uneheliche Vater kam in der Imagination des Gesetzgebers nur als Lüstling vor, der lediglich am Beischlaf interessiert war und dann verschwand. Oft war das tatsächlich so. Der Gesetzgeber tat also gut daran, die Mutter zu schützen und ihr via Amtsvormund die rechtliche Verantwortung für das Kind zuzusprechen. Einerseits.

Andererseits: Daß das Kind in einer wirklichen Liebesbeziehung entstanden sein könnte, daß wirtschaftliche Not und gesellschaftliche Vorurteile ein Zusammenleben verhinderten – das kam dem Gesetzgeber nicht in den Sinn. Mit der einseitigen Sorgerechtszuweisung an die Mutter betrieb er auch deren Isolation.

Inzwischen hat sich die Situation gründlich geändert. Rund fünf Millionen Deutsche leben in „Beziehungen“ zusammen, Tendenz zunehmend. Und wenn heute im Kindergarten jemand sagte, Melanie oder Alexander seien bedauernswerte „uneheliche Kinder“, er würde Gelächter ernten. „Unehelich“ ist im Alltag kein diskriminierendes Merkmal mehr. 1996 wurden in der Bundesrepublik etwa 135.000 Kinder „unehelich“ geboren; das sind 17 Prozent aller Geburten. Uneheliche Kinder, so sagen die Sozialwissenschaftler, haben Väter, die sich weitaus mehr mit ihnen beschäftigen als verheiratete Väter mit ihren „ehelichen“. Keine Lehrerin in der Grundschule käme auf die Idee, ein Kind nach seiner „Ehelichkeit“ zu fragen. Kein Arzt wird dem begleitenden Vater die Erziehungsberechtigung absprechen, selbst wenn das Kind ganz anders heißt als er. Nur das Jugendamt fragt nach: Der Staat möchte – mit Recht – wissen, wo das Kind hingehört und wer es betreut. Und für den Staat gehört das Kind – auf offenbar mythologische Weise – zur Mutter: Die hat es geboren, da wird es schon bleiben.

Inzwischen hat sich aber auch die Lage der Frauen geändert. Sie haben meist eine qualifizierte Ausbildung und wollen arbeiten. Dazu brauchen sie, wenn sie auch noch ein Kind wollen, zumindest einen Kindergartenplatz, den es oft nicht gibt – oder einen Mann, der sich neben dem Job auch um die Kinder kümmert. Seltsamerweise findet sich diese neue Arbeitsteilung in den „freien“ Beziehungen weitaus häufiger als in den Ehen alten Zuschnitts. Warum? Die Unverheirateten haben kapiert, daß die Liebe nur qua Gleichberechtigung funktioniert – und daß sie oft trotzdem nicht ein Leben lang dauert. Sie leben im Bewußtsein der Vorläufigkeit bestehender Liebes- und auch Arbeitsverhältnisse.

Man mag diesen Realismus gut christdemokratisch als „Tendenz zur Unverbindlichkeit“ einer „neuen Spaßgeneration“ brandmarken – die moralischen Mahner übersehen da etwas Wesentliches: daß nämlich die Beziehung dieser Erwachsenen zu ihren Kindern oft stabiler, von weitaus mehr Verantwortung geprägt ist als die (sexuellen) Beziehungen der Erwachsenen untereinander. Die Frau, den Mann kann man vielleicht wechseln, das Kind nicht.

Ganz tief im Unbewußten müssen das auch die Verfasser des Grundgesetzes geahnt haben: Sie stellen „Ehe und Familie“ unter den „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ – was man auch so lesen kann, daß diese beiden Dinge nicht unbedingt zusammengehören. Familie besteht auch jenseits der Ehe – während nicht jede Ehe auch gleich eine Familie ist. Es bleibt einigermaßen mysteriös, warum kinderlose Doppelverdiener unbedingt gefördert werden müssen, sobald sie als Ehepaar auftreten.

Soziologisch ist unübersehbar, daß „das Institut der Ehe“ seine sinnstiftende Funktion immer mehr verliert: Jede dritte Ehe in der Bundesrepublik wird geschieden; 1996 kamen auf 427.000 Heiraten 17.600 Scheidungen – das ist eine Scheidungsquote von 41 Prozent. Wer geht angesichts solcher Zahlen noch zum Standesamt? Es ist immer noch schmerzvoll, aber weitaus einfacher, sich ohne staatliches Brimborium und teure Anwaltskriege zu trennen.

Die Trennung der Eltern ist der Ernstfall für die Kinder, ein Trauma, ein Verlust – und in diesem Konflikt macht das Kindschaftsrecht die Vorgaben. Derzeit bleiben uneheliche Kinder automatisch bei der Mutter – einfach so, das reduziert den Verwaltungsaufwand. Im Grunde nimmt das bei Geburt des Kindes einseitig der Mutter zugesprochene Sorgerecht die Trennung vorweg, es nimmt sie als Normalfall an. Und es bringt von Anfang an eine Schieflage auch in funktionierende Beziehungen: Es ist wenig erfreulich, wenn der Vater bei Konflikten ständig mit dem Totschlagargument „Du hast sowieso nichts zu sagen“ konfrontiert wird.

Nach dem neuen Gesetz dürfen uneheliche Kinder nun bei einer Trennung beide Eltern behalten – wenn nicht ein Elternteil widerspricht. In diesem Fall, das lehrt die Rechtspraxis, wird in der Regel die Frau das Sorgerecht erhalten. Mutti ist die Beste, und als Gebärerin hat sie offenbar höhere Weihen. Also alles beim alten?

Das Sorgerecht ist immer noch ein Instrument im Geschlechterkampf. Es ist eines der wenigen gesellschaftlichen Felder, wo Frauen tatsächlich einmal im Vorteil sind. Sie haben das Recht. Sie können dem Mann davon abgeben – wenn sie denn wollen. Auf Privilegien verzichten, das war noch nie einfach. Deshalb wird von vielen Frauenbewegten der Verstoß gegen das Gleichheitsgebot fanatisch verteidigt – so schnell gehen bei mancher die Prinzipien der Aufklärung über Bord, wenn es nur zum eigenen Nutzen ist. Ein Zahlvater ist unter Umständen angenehmer als einer, der sich um das Kind kümmert – mit dem frau aber sprechen muß.

Allerdings: Die alleinerziehende Mutter darf nicht nur sorgen, sie muß auch sorgen. Sie führt ein sehr eingeschränktes Leben. Der Vater dagegen, der sein Interesse am Kind bekundet und abblitzt, ist zunächst deprimiert – und wendet sich nach einer Zeit der Trauer anderen Dingen zu. 50 Prozent der Scheidungsväter haben nach einem Jahr keinen Kontakt mehr zu ihren Kinder, bei unehelichen Vätern ist es ähnlich. Natürlich ist es schwieriger, um des Kindes willen mit der alten, vielleicht „unehelichen“ Familie Kontakt zu halten. Es ist ein Balanceakt, sich zu trennen – und nicht trennen zu können. Die Frau muß eventuell die neuen Geliebten, der Mann die neuen Liebhaber der alten Beziehung ertragen. „Patchwork-Familien“ nennen das die Soziologen. Ob die Kinder sich in solchen Konstruktionen wohl fühlen, steht dahin. Sicher ist: Die meisten von ihnen wollen Vater und Mutter. Sie brauchen Verbindlichkeit – und Eltern, die gleichberechtigt miteinander umgehen.

Genau diese Perspektive des Kindes wird in der Neufassung des Kindschaftsrechts verlassen. Um entscheiden zu können, wo es dem Kind am besten geht, muß erst einmal Rechtsgleichheit zwischen den Eltern hergestellt sein. Aber auch in der Neufassung wird dem unehelichen Kind der Vater de jure vorenthalten, es wird gegenüber dem ehelichen Kind kraß benachteiligt. Daß die Mutter entscheiden darf, ob dem Kind ein Vater zusteht oder nicht, ist juristisch ein Unding. Grundgesetz Art. 6 Abs. 2: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern...“ – wohlgemerkt, der Eltern, nicht der Mutter.

Übrigens: In der ehemaligen Tschechoslowakei, in Ungarn, Polen und Spanien haben unverheiratete Eltern per se das gemeinsame Sorgerecht. In Belgien gilt es uneingeschränkt, auch nach der Trennung; bei Uneinigkeit entscheidet das Jugendgericht. In Norwegen, Schweden, England tritt die gemeinsame Sorge auf Antrag eines Elternteils ein. In Italien und Frankreich muß das Kind für das gemeinsame Sorgerecht von beiden Eltern lediglich anerkannt sein.

Wie die deutsche Regierung ihre Sonderbehandlung von unehelichen Kindern und Vätern mit einem künftigen europäischen Recht harmonisieren will, ist das Geheimnis von Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig. Mit dem Grundgesetz ist diese Ausgrenzung jedenfalls nicht vereinbar. Das wird auch das Bundesverfassungsgericht so sehen, wenn die ersten Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen einlaufen – Fälle, in denen Amtsrichter wegen der abstrusen Gesetzeslage an der Entscheidung gehindert sind, Männern das (geteilte) Sorgerecht zuzusprechen. Die unehelichen Väter sind gut beraten, zwecks Prozeßbeschleunigung gegen die Bundesrepublik auch auf Schadenersatz zu klagen – sie sind in ihrer Freizügigkeit stark eingeschränkt. Wer aus Berufsgründen in eine andere Stadt zieht, wird automatisch sein Kind verlieren. Denn Mutti hat das Sagen.

Besonders absurd: Kinder bereits getrennter Eltern werden von dem Gesetz nichts mehr haben, da deren Eltern wohl kaum eine gemeinsame Sorgeerklärung abgeben werden – was sie bei Geburt des Kindes vielleicht noch getan hätten. Diese Kinder haben kein Recht auf ihren Vater. Man kann vielleicht die Mehrwertsteuer zum 1. Juli erhöhen – aber man kann nicht aufgrund des Geburtsdatums die Grundrechte verweigern.

Das „Kindeswohl“, um das es allen angeblich geht, ist in der Neufassung des Gesetzes jedenfalls bedrohter denn je: Die Kinder haben bei Trennung der Eltern juristisch keine Stimme. Oder nur über einen sogenannten Verfahrenspfleger, den das Gericht einsetzen kann und der die Interessen der Kinder erkunden soll. „Verfahrenspfleger“ ist ein Berufsstand, den es noch gar nicht gibt. Geben wird es aber den altbekannten Deal der Mütter: Umgang nur gegen immer mehr Alimente. Ob die Kinder Papa sehen wollen, ist dabei wurscht.

Es wäre an der Zeit, Gleichberechtigung herzustellen zwischen Müttern und Vätern, zwischen ehelichen und unehelichen Kindern. Vielleicht sollte man unterstellen, daß der Vater, der sein Kind anerkennt, nicht nur zahlen, sondern auch Verantwortung übernehmen will. Wenn's zwischen den Eltern schiefgeht, kann immer noch das Familiengericht sich ein Urteil bilden, wo die Kinder am besten aufgehoben sind, ob gemeinsam oder getrennt gesorgt wird. Was not tut, ist die Einzelfallentscheidung. Und zwar – da müssen die Familienrichter dann auch ein wenig Psychologie studieren – aus der Perspektive der Schwächsten: aus der der Kinder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen