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„Nachhaltig geschädigtes Vertrauen“

■ Verstrahlte Castoren: Umweltsenator kritisiert atomares Aufsichtssystem

Umweltsenator Alexander Porschke (GAL) sieht „das gesamte Aufsichtssystem der Atomtransporte in Frage gestellt“. Der Skandal um die verstrahlten Castor-Behälter sei „ein Grund mehr, den Ausstieg aus der Atomenergie mit Hochdruck zu betreiben“, forderte er gestern. Vertreter der Atomwirtschaft hatten am Mittwoch zugegeben, daß sie seit den 80er Jahren Informationen aus Frankreich über überhöhte Grenzwerte an Castoren erhalten haben. Diese hätten sie nicht an die Bundesbehörden weitergegeben. Porschke sieht das „Vertrauen in die Aufrichtigkeit“ der Betreiber „nachhaltig geschädigt“: „Noch heute werde ich die Hamburgischen Electricitätswerke fragen, wer wann was gewußt hat“, drohte er. Etwaige „Pflichtverletzungen“ hätten „Konsequenzen“.

„Wir haben uns nichts vorzuwerfen“, wies HEW-Sprecher Ulrich Kresse die Kritik zurück. Nur einer der elf beanstandeten Castoren stamme aus einem HEW-Atommeiler: Brunsbüttel. Beim Check durch den TÜV im Juli 1997 seien „alle Grenzwerte unterschritten“ gewesen. Warum dennoch eine münzgroße strahlende Stelle unbemerkt blieb oder während des Transports neu entstand, sei zu klären. Für die Bevölkerung habe zu keiner Zeit Gefahr bestanden.

Auch Bürgermeister und HEW-Aufsichtsratschef Ortwin Runde (SPD) will sich nun von den HEW informieren lassen: Es gehe „um eine Abschätzung der Risiken“. Den kritischen HEW-Aktionären (AIDA) geht das nicht weit genug: Sie forderten Runde auf, den HEW-Vorstandsvorsitzenden Manfred Timm zu entlassen, denn: „Er hat es zugelassen, daß die verstrahlten Castorbehälter durch den Hauptbahnhof und dichtbesiedelte Hamburger Wohngebiete fahren konnten.“ Auch der Aktionskreis „Stillegen sofort“ warf den Aufsichtsbehörden Nachlässigkeit vor.

Damit nicht genug des atomaren Ärgers: Umweltsenator Porschke kündigte an, daß Hamburg beim Bundesverfassungsgericht gegen das Bundes-Atomgesetz klagen wird. Die Novelle vom November 1997 erleichtere die Verlängerung von AKW-Betriebsgenehmigungen, ermögliche standortunabhängige Prüfverfahren für Reaktoren und beschneide damit die Länderkompetenz bei der Atomaufsicht. Hamburg wird nicht allein klagen, sondern zusammen mit Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. „Wir arbeiten an einer Kabinettsvorlage“, bestätigte das Kieler Energieministerium. Das SPD-geführte Niedersachsen dagegen will sich in „Zurückhaltung üben“. Mitte der 90er Jahre, als Hannover erstmals gegen das Atomgesetz klagte, so ein Regierungssprecher nachtragend, „standen wir ziemlich allein da“.

Formal begründen die Länder ihre Klage damit, daß das Atomgesetz ohne Zustimmung des Bundesrats verabschiedet wurde. Tatsächlich aber sei es „zustimmungspflichtig“. Inhaltlich kritisiert wird, daß künftig AKW-Nachrüstungen genehmigt werden können, ohne daß sich diese am Stand der Wissenschaft orientieren müssen. Ferner seien die Sicherheitsstandards für Altanlagen zu lasch formuliert. Die „umfangreichen Vorschriften zur Enteignung“ dienten dazu, das Atommüll-Grab in Salzstöcken in Gorleben zu sichern.

Heike Haarhoff

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