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Literarische Schnapsfinanzierung

■ Unter Berufung auf William Burroughs lesen sich die Trash-Dichter und Slam-Lyriker des 3. Social-Beat-Festivals ihre Männlichkeit schön

Die Losung lautet: „Kotzen!“ Wer es mit „Saufen!“, „Fressen!“ oder „Ficken!“ probiert, hat ebenfalls gute Karten, eingelassen zu werden. Die Pforten öffnen sich, und man ist drin in der Welt der abgründigsten Untergrundliteraten der Nation. Sie nennen sich Social Beatniks, Trash-Dichter, Pop-Poeten und Slam-Lyriker. Sie schreiben meist auf, was ihnen gerade durch den Kopf geht, und keiner von ihnen würde die Anstrengung auf sich nehmen, einen Text zu verfassen, um damit einen Preis zu gewinnen oder in die Literaturgeschichte einzugehen. Um sich den täglichen Schnaps zu finanzieren, arbeiten sie lieber auf dem Bau. Zumindest tun sie so, als ob.

Philip Schiemann würde nicht auf dem Bau arbeiten. Er zieht es vor, Tankstellen zu überfallen. Fiktiv, versteht sich. Mit nasal in die Länge gezogenen Silben liest der tätowierte Ekelbatzen so leise, daß das Publikum ganz still und andächtig wird. Es steht, gedrängt wie in einer Sardinenbüchse, in der lustigen Schankwirtschaft mit Höhlenmalereien in einem Keller in Prenzlauer Berg. Dort findet „Affenterror!“ statt, ein Abend des dritten bundesweiten Festivals für Social-Beat-Literatur.

Man ist geduldig hier. Peter Wawerzinek, wie üblich blau, versucht Lieder zu singen und derer zu gedenken, die sich zum erstenmal in ihrem Leben zu Hause ihre Ausweisnummer vorlesen. Er darf zu Ende singen. Der nächste, bitte!

Die Dichter werden an diesem Abend eingeführt vom Übervater der Social-Beat-Szene, Jörg André Dahlmeyer, der oft selbst Texte liest, die man nicht mal im vorgetragenen Zustand ertragen kann. Sein von Jack Kerouac geklautes Motto „Versuche dich nie außerhalb deiner eigenen vier Wände zu betrinken!“ sollte er umformulieren in „Versuche nie, außerhalb deiner eigenen vier Wände zu lesen.“ Aber das kann man nicht zu allen sagen, die bei diesem Festival lesen.

Jan Offs immer wieder vorgetragene Geschichte von der „Treppenhausparty“ ist nett anzuhören: „Ich saß mit meiner alten Schrotflinte am Fenster und zielte durch die Ritzen der verstaubten Jalousie auf zwei meiner Nachbarinnen, die auf dem Gehweg standen und Gift versprühten.“ Doch wie die meisten seiner Kollegen redet Off seine Männlichkeit schön, als säße er mit hessischen Ureinwohnern im Kirmeszelt. Was diese Geschichten allerdings mit der exzessiven Literatur eines William S. Burroughs zu tun haben sollen, auf den man sich einhellig beruft, na ja.

Selten ist in diesen Kreisen Humor im Spiel. Der trocken humorvolle Ahne ist also eine Ausnahmeerscheinung. Ihm gehe es „doch mehr oder weniger um die Revolution“. Seine Geschichte über den Tag nach der Revolution handelt von den Mühen, die man hat, um zu einer Tasse Kaffee zu kommen. Er habe die Geschichte in seinem Telefonbuch gefunden. Zu lesen ist sie in einer Berliner Zeitschrift, die eigentlich mit Social Beat nichts am Hut hat. Im Salbader schreiben Autoren, die wöchentlich in der Reformbühne Heim & Welt lesen und singen und ohne „Saufen!“, „Fressen!“ und „Ficken!“ auskommen. Wer dies nette Heftchen kaufen will, kann dies auf einer kleinen Buchmesse im „Sportlertreff“ tun, wo bis morgen zahlreiche Druck-Erzeugnisse rund um den Social Beat angeboten werden. Susanne Messmer

Heute ab 23 Uhr, Roter Salon/ Volksbühne, mit Nadine Barth, Enno Stahl u.a.; morgen ab 21 Uhr, Open Stage im „Sportlertreff“, Schönhauser Allee 21

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