: In der Gesellschaft von Papier
■ Warum müssen manche Leute unbedingt Bücher schreiben? Auch Annie Dillard weiß es nicht
Die amerikanische Schriftstellerin Annie Dillard hat ein Buch über ihr Schreiben, das Schreiben im allgemeinen, das Schreiben von guter Literatur im besonderen geschrieben; und wie es einer amerikanischen Schriftstellerin geziemt, ist es dichtes, nüchternes, packendes Buch geworden, das den Gefahren, die in einem solchen Sujet lauern, Gefahren der Selbstheroisierung, der Überhebung und Bemitleidung, aus dem Weg geht.
„Ein Buch zu schreiben ist interessant und macht Spaß. Es ist ausreichend schwierig und vielschichtig, um deinen ganzen Verstand einzuspannen. Es ist das Leben in seiner größten Freiheit.“ So heißt es in diesem Text, der doch etwas ratlos vor der Aufgabe bleibt, zu erklären, warum gewisse Leute es sich in den Kopf gesetzt haben, unbedingt Bücher, und zwar solche mit künstlerischem Anspruch, zu schreiben und nicht einfach einer überschaubaren, um nicht zu sagen anständigen Arbeit nachzugehen, deren Verdienstchancen außerdem weniger im Immateriellen des (oft kärglichen) Lobes oder gar des Nachruhms liegen, sondern im Diesseits eines geregelten Einkommens.
Als Schriftsteller liest man selbstredend gerne darüber, wie ein Kollege mit den Zumutungen fertig wird, die man als den „kreativen Prozeß“ bezeichnet, was nicht viel über die Erstaunlichkeit aussagt, daß, wo vorher nichts oder jedenfalls nur ein amorphes Wollen war, nachher ein Buch existiert, womöglich ein gelungenes. Daß es, nach Mühen und Jahren wenigstens, gelingen wird, wie steinig immer der Weg dorthin gewesen sein mag, daran besteht für die Amerikanerin Annie Dillard, bei ansonst solide zelebriertem alt-europäischem Ästhetizismus, kein Zweifel. Doch bis es soweit ist, muß der Autor mit der täglich schwankenden Fähigkeit und Bereitschaft umzugehen lernen wie ein Dompteur mit seinem Viehzeug. „Das Gefühl, daß das Werk großartig ist, und das Gefühl, daß es grauenhaft ist, sind zwei Moskitos, die abgewehrt, ignoriert oder getötet werden müssen, nicht aber gehegt.“
Ein Buch über das Schreiben ist eine spezielle Sache. Wie es bei Julian Barnes (einem der vielen Kronzeugen, die Annie Dillard heranzieht) heißt: „Im Grunde ist es einfach, kein Schriftsteller zu sein. Die meisten Menschen sind keine Schriftsteller, und es stößt ihnen selten etwas zu.“ Selbst im Zeitalter der Kreatives-Schreiben- Kurse dürfte das weiterhin zutreffen. So ist schwer zu sagen, wie diese Lektüre auf Nichtschriftsteller wirken mag; doch könnte man immerhin annehmen, daß das Schreiben, wie jede künstlerische Tätigkeit, in ihrem Streben nach Vollendung etwas essentiell Menschliches zum Vorschein bringt.
Im übrigen tendieren die heutigen Berufe immer mehr dazu, dem des Schriftstellers zu ähneln. „Schriftsteller lesen Schriftstellerbiographien und umgeben sich mit anderen Schriftstellern, um bewußt die absurde Vorstellung in sich zu kultivieren, daß eine vernünftige Möglichkeit, sich auf diesem Planeten zu beschäftigen, bis die Lebensspanne abgelaufen ist, darin besteht, in der Gesellschaft von Papier in einem kleinen Zimmer zu sitzen.“ Walter Klier
Annie Dillard: „Ich schreibe“. Deutsch von Henning Ahrends. Residenz Verlag, Salzburg und Wien 1998, 128 Seiten, 36,80 DM
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