: „Ich saß da halt in der Fraktion“
Gesichter der Großstadt: Bürgermeisterin Christine Bergmann soll einen Ministerinnenposten im Schattenkabinett von SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder bekommen ■ Von Barbara Junge
„Wir waren ja alle gleich nicht qualifiziert“ – meint die Frau, die heute von ihrem nüchternen Büro im Berliner Roten Rathaus aus die Geschicke der Vier-Millionen- Stadt lenkt. Hinter dem Parlamentspräsidenten und dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen ist Christine Bergmann in den dritten Rang im Stadtstaat Berlin aufgestiegen. Als ob es ein Zufall gewesen wäre, daß man sie damals, 1990, zur Vorsteherin der Ostberliner Stadtverordnetenversammlung gewählt hat. „Ich saß da halt in der Fraktion, als man in der SPD nach einer Frau gesucht hat, die das machen könnte.“
Heute sitzt Christine Bergmann halt im Roten Rathaus – während Gerhard Schröder eine Frau sucht, die in seinem Team Jugendministerin oder Ostbeauftragte werden könnte. Und da ist die Wahl des niedersächsischen Ministerpräsidenten, der im September Kanzler der Bundesrepublik werden will, eben auf die 58jährige Bürgermeisterin gefallen. Und die kleine Frau aus Dresden, die 1989 der Ost-SPD beitrat, findet schließlich: „Wer A sagt, muß auch B sagen.“
Deshalb ist sie 1963 eben nach Berlin gezogen – aus „Heiratsgründen“. Deshalb ist sie aus dem politischen Nichts in die Rolle der Stadtverordnetenvorsteherin gesprungen. Deshalb ist sie im vereinten Berlin eben Senatorin für Arbeit und Frauen geworden. Und deshalb hat sie der ehemaligen Berliner SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer das Amt der Bürgermeisterin weggeschnappt – mit Parteiauftrag selbstverständlich. „Inzwischen bin ich durch das Alphabet ein gutes Stück durch“, gibt sie immerhin lächelnd zu.
„Hallo, Egon“, begrüßt Christine Bergmann, die ja praktisch ganz zufällig zu ihren Posten gekommen sein will, einen alten Freund auf dem roten Teppich im Roten Rathaus. Zur Ernennung von Edzard Reuter – dem ehemaligen Daimler-Chef und Sohn des früheren Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter – zum Ehrenbürger der Hauptstadt strömt die Prominenz in die ehrwürdigen Gemäuer am Alexanderplatz.
Der alte Freund, mit dem sie da so beiläufig plauscht, ist Egon Bahr – ein Urgestein der West-SPD. Die gelernte Pharmazeutin, gebürtige Sächsin, überzeugte Politikerin und nach Bevölkerungsumfragen vor allem beliebteste Politikerin der Hauptstadt hat einen steilen Weg durch die zähe Hierarchie der Sozialdemokratie zurückgelegt. Sie sitzt im Bundesvorstand, repräsentiert Berlin im Bundesrat und drückt über das „Forum Ost“ ostdeutsche Themen in die Bundespartei.
Zwar wird Gerhard Schröder, der Kanzlerkandidat der SPD, sein Regierungsteam noch nicht so schnell vorstellen – der Fahrplan des Wahljahrs sieht vor, erst noch ein bißchen Generationswechsel zu zelebrieren –, doch Christine Bergmann gilt in SPD-Kreisen als feste Bank im Team. Ost, Frau, beliebt, qualifiziert – was kann sich Schröder mehr wünschen? Und schließlich hatte sie schon 1994 beim damaligen Kandidaten Rudolf Scharping einen Platz auf der Liste gebucht.
„Mit engagierten Frauen aus Ostdeutschland sind wir in der SPD ja auch nicht so üppig bestückt“, weiß Christine Bergmann in ihrer gewohnten Mischung aus Offenheit und Pragmatismus, aus realistischer Selbsteinschätzung und Selbstbewußtsein.
Die Mischung muß es sein, die sie für die Partei ebenso interessant macht wie für die meisten WählerInnen sympathisch. In ihrer inzwischen siebenjährigen Amtszeit als Arbeits- und Frauensenatorin hat Bergmann es geschafft, keine größeren Skandale oder Peinlichkeiten zu produzieren. In der Großen Koalition, in deren Zerrissenheit Stolpersteine und Fettnäpfchen zum Tagesgeschäft gehören, eine beachtliche Leistung.
Zudem sammelt die Senatorin Punkte mit ihren klaren Worten zum Mangel an Ausbildungsplätzen und der Misere auf dem Arbeitsmarkt, zur Notwendigkeit der 35-Stunden-Woche und der neuen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen. Als Landesministerin ist sie für die Situation auf dem Arbeitsmarkt ohnehin nicht direkt verantwortlich, da Arbeitsmarktpolitik im wesentlichen in Bonn entschieden wird. Die Bewährungsprobe steht also noch aus. Neben ihren Worten zum Arbeitsmarkt, die sie gerade in Ostdeutschland beliebt machen, läßt Bergmann durch einzelne Initiativen zur Förderung von Ausbildungsplätzen und von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aber auch Taten folgen. Die stets korrekte, manchmal fast unsicher wirkende Frau mit dem roten Lippenstift vermittelt den Leuten Glaubwürdigkeit.
Sei es, wenn sich sonst niemand traut, dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng bei seinem Berlinbesuch 1994 mal ein paar offene Worte zu sagen: „Jedes System, das seine Kritiker ausgrenzt und einsperrt, ist zum Scheitern verurteilt“, hatte sie Li Peng beim Festessen im Schloß Charlottenburg auf den Teller gelegt. Sei es, gegen sexuelle Belästigung den Mund aufzumachen: Vor allem im Osten herrsche „großer Nachholbedarf an Diskussionen“, weil das Thema „in der sauberen sozialistischen Gesellschaft“ tabuisiert worden sei.
Und auch zu einem Gelöbnistermin am Tag des Mauerbaus, dem 13. August, war es Christine Bergmann, die dem Regierenden Bürgermeister ihre Meinung gesagt hat. „Ich habe mir in der DDR schließlich auch meine innere Unabhängigkeit bewahrt“, erklärt Bergmann ihre manchmal überraschende Direktheit, „und ich bin auch nicht der geduldigste Mensch. Wenn etwas in der Luft liegt und mich nervt, dann muß ich auch was sagen.“
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