: Das Signal beflügelt Optimisten
■ Erleichterung und Freude in Nordirland und Irland: Eine überwältigende Mehrheit votierte für das historische Friedensabkommen für Nordirland. Aus Dublin Ralf Sotscheck
Das Signal beflügelt Optimisten
Zum ersten Mal seit 24 Jahren ist Frank Massey zufrieden. „Vielleicht kann ich jetzt endlich Frieden finden“, sagt der 74jährige. „Jedesmal, wenn ich den Fernseher eingeschaltet habe und neue Bombenanschläge in Nordirland gemeldet wurden, bin ich an den schrecklichen Tag im Jahr 1974 erinnert worden.“ Damals wurde die älteste seiner sieben Töchter in der Dubliner Innenstadt von einer Bombe zerrissen. Sechs Wochen später wollte sie heiraten. Das Kleid war schon fertig, der Kuchen bestellt, und die 120 Einladungskarten hatte sie am Abend vor ihrem Tod geschrieben.
33 Menschen starben bei den vier Anschlägen in Dublin und Monaghan. „Niemand will sich daran erinnern, daß es auch in der Republik Irland im Laufe des Nordirland-Konflikts Tote gegeben hat. Es sind die vergessenen Opfer“, sagt Massey. „Die Akten sind weggeschlossen, die Täter unbehelligt geblieben.“ Verantwortlich für die Bomben war der britische Geheimdienst, der eine Einheit der Ulster Volunteer Force (UVF) ausgerüstet und in die Republik Irland geschickt hatte. „Ich will nicht, daß andere Familien so etwas durchmachen müssen“, sagt Massey. „Deshalb bin ich so froh, daß das Belfaster Abkommen mit solch deutlicher Mehrheit angenommen worden ist. Es war unsere letzte Chance auf Frieden.“
71,12 Prozent in Nordirland und 94,39 in der Republik Irland stimmten am vergangenen Freitag für das Abkommen, das der britischen Krisenprovinz einen dauerhaften Frieden bringen soll. Noch ist es freilich nicht so weit. Kaum war das nordirische Ergebnis bekannt, da setzte der Streit unter den protestantischen Unionisten erneut ein. Der rechtsradikale Pfarrer Ian Paisley, der die Friedensverhandlungen boykottiert und für ein Nein im Referendum geworben hatte, reklamierte den Sieg für sich: 56 Prozent der Unionisten hätten gegen das britisch-irische Abkommen vom Karfreitag gestimmt, behauptete er.
Nachweisen läßt sich das nicht, weil bei der Auszählung nicht nach Katholiken und Protestanten getrennt wurde. Paisleys Stellvertreter Peter Robinson prophezeite, die Beteiligung an den Wahlen zum nordirischen Regionalparlament am 25. Juni werde weit niedriger liegen und davon würden die Gegner des Abkommens profitieren. „Die ,Peaceniks‘ werden am Wahltag zu Hause bleiben“, sagte Robinson.
Die meisten Politiker auf der Ja- Seite räumten ein, daß die Plebiszite vom Freitag vorerst nur einen Rahmen für weitere schwierige Verhandlungen geschaffen haben. Aber am Wochenende wurde erst mal gefeiert. Der Herausgeber des unionistischen Belfast Newsletter, Geoff Martin, sagte: „Ich glaube, Peter Robinson fühlt sich wie ein Fisch auf dem Trockenen, weil die Sache für ihn nicht so gelaufen ist, wie er wollte.“ Liz O'Donnell, Staatssekretärin im irischen Außenministerium, meinte: „Nach dem komplizierten Friedensprozeß ist das eine wunderschön simple Botschaft des Volkes.“
Der irische Premierminister Bertie Ahern, der bei der Verkündung des Ergebnisses im Dubliner Schloß einen kleinen Luftsprung gemacht hatte, sagte: „Frieden ist ab heute nicht mehr länger nur ein Traum, sondern Realität.“ Und er warnte diejenigen, die weiterhin auf Gewalt setzen: „Vergeßt es.“ Am Samstag nachmittag, kurz vor Verkündung des südirischen Wahlergebnisses, sind zwei Männer festgenommen worden, die ein Auto voller Sprengstoff über die Grenze nach Nordirland schmuggeln wollten. Sie sollen einer Absplitterung der IRA angehören, gab die Polizei bekannt.
Der Sinn-Féin-Vorsitzende Mitchell McLoughlin vom politischen IRA-Flügel sagte: „Ich denke, das ist ein sehr positiver Tag. Die Südafrikaner würden es wohl einen goldenen Tag nennen.“ Monica McWilliams von der nordirischen Frauenkoalition, die ebenfalls an den Friedensverhandlungen beteiligt war, meinte: „Das Wahlergebnis bedeutet, daß es jetzt mehr gibt, was uns vereint, als was uns trennt.“
Ein kleiner Wermutstropfen war die geringe Wahlbeteiligung im Süden. Während in Nordirland 81 Prozent – mehr als bei jeder anderen Wahl in der nordirischen Geschichte – ihre Stimme abgaben, waren es in der Republik Irland nur 56 Prozent. „Die Leute im Süden interessieren sich eben nur am Rande für das, was in Nordirland passiert“, sagte ein nordirischer Dublin-Tourist zur taz. „Solange sie nicht selbst davon betroffen sind, könnte Nordirland genausogut in Asien liegen.“
Rita Restorick ist wie Frank Massey aus Dublin selbst betroffen. Die Britin freut sich über das Wahlergebnis: „Das ist genau das, was wir uns erhofft haben.“ Ihr Sohn Stephen war der letzte britische Soldat, der im nordirischen Konflikt umgebracht wurde. Pessimisten mögen „bisher“ hinzufügen. Aber das Wochenende gehörte angesichts des klaren Votums Optimisten wie Frank Massey und Rita Restorick.
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