piwik no script img

Nur der Fußball wird noch rollen

Pünktlich zur Weltmeisterschaft haben in Frankreich alle möglichen Gewerkschaften Streiks angekündigt – von den Air-France-Piloten bis zu den Zugführern. Sie freuen sich über die große Aufmerksamkeit  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Wer sich nicht im geringsten für Fußball, dafür aber für soziale Bewegungen interessiert, sollte trotz der Weltmeisterschaft eine Frankreichreise ab dem 10. Juni in Betracht ziehen. Am besten mit dem Fahrrad. Denn es wird immer wahrscheinlicher, daß in den viereinhalb Wochen, in denen eigentlich der Ball rollen soll, Verkehrsstreiks das Land zwischen den zehn Stadien stillegen werden.

Die Pilotengewerkschaften haben bereits einen Streik bei Air France ab dem 1. Juni angemeldet. Die größte Lokführergewerkschaft droht mit Arbeitsniederlegungen bei der nationalen Bahn SNCF. Und ob die Pariser Metro und S-Bahn zwischen dem 10. Juni und dem 12. Juli normal verkehren werden, wagt niemand vorherzusagen. Bloß die Lkw-Fahrer, die bereits am Dienstag dieser Woche landesweit 18 Straßenblockaden für höhere Löhne errichtet hatten, zeigten sich gestern fußballfreundlich und vertagten alle weiteren Kampfmaßnahmen auf den September. „Wir werden Arbeiter, die ein kleines Vermögen für Eintrittskarten bezahlt haben, nicht daran hindern, zu ihren Spielen zu kommen“, erklärte der Generalsekretär der Lkw-Fahrer in der Gewerkschaft FO, Roger Poletti.

Dergleichen populistische Skrupel haben die autonomen Pilotengewerkschaften nicht. Ab dem 1. Juni wollen sie die aus Werbezwecken mit überdimensionierten Männerbeinen bemalten Maschinen der Air France, „offizielle Fluggesellschaft der WM“, am Boden stehenlassen, wenn das Unternehmen bei seiner radikalen Lohnsparpolitik bleibt. Die noch staatliche Air France, die im September 20 Prozent ihres Kapitals an der Börse verhökern möchte, will vorher die Pilotengehälter um 15 Prozent reduzieren und „als Ausgleich“ Mitarbeiteraktien verteilen. Nachdem Air-France-Chef Jean-Cyril Spinetta gestern ein Rekordergebnis des Unternehmens mit 1,9 Milliarden Franc (rund 0,5 Milliarden Mark) Profit für das letzte Geschäftsjahr bekanntgab, zeigten die Piloten noch weniger Verständnis für seinen Deal.

Bei den Pariser Verkehrsbetrieben RATP, deren Arbeiter gewerkschaftlich hoch organisiert und kampferprobt sind, waren bereits die Warnstreiks im Vorfeld der WM recht erfolgreich. Unter anderem sagte die RATP zu, weitere 250 Personen fest sowie 500 aushilfsweise anzustellen.

Der Mann, auf dessen Schultern gegenwärtig die Hauptverantwortung für die Streikverhinderung lastet, ist selbst ehemaliger Eisenbahner, Gewerkschafter und immer noch Kommunist. Verkehrsminister Jean-Claude Gayssot verhandelt gegenwärtig fieberhaft und nach allen Gewerkschaftsseiten, um eine blockierte WM zu verhindern.

Wenn er scheitert, werden die Fußballer per Hubschrauber zu ihren Auftritten geflogen werden. Die Zuschauer freilich müssen zu Fuß gehen. Frankreichs Kopräsident des WM-Komitees und Ex- Starfußballer Michel Platini hat im taz-Interview erklärt: „Die Spiele finden statt. Auch wenn nur zwei Zuschauer im Stadion sind.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen