: Hegel gegen die Verdrossenheit
■ Mit einer Ausstellung über deutsche Philosophie in Neapel nimmt das Italienzentrum an der FU seine Arbeit auf. Zur offiziellen Eröffnung im November bemüht sich Umberto Eco persönlich nach Dahlem
Daß Gerardo Marotta aus dem Süden kommt, ist nicht zu übersehen. Bei Temperaturen, die hierzulande zumindest als frühlingshaft gelten, erschien er mit Wintermantel und Schal, um an der Freien Universität (FU) eine Ausstellung über sein Neapolitaner Istituto Italiano per gli Studi Filosofici zu eröffnen.
In blumigen Worten erklärte der frühere Rechtsanwalt, warum er vor 20 Jahren seinen Beruf an den Nagel hängte und sein Privatvermögen in die Institutsgründung steckte. Im Berufsleben sah Marotta damals nur „Korrumpierte und Verbrecher“, die an nichts anderes dachten als an die Ausbeutung des Gemeinwesens für ihre privaten Zwecke. Helfen konnte da nur die Philosophie. Besonders die Staatsphilosophie Hegels galt Marotta als Gegengift zur süditalienischen Staatsverdrossenheit.
„Wenn die moderne Philosophie überhaupt noch eine Zukunft zu erwarten hat“, prophezeite der Berliner Italienreisende Theodor Sträter schon 1864 in der Zeitschrift der „Philosophischen Gesellschaft zu Berlin“, dann „namentlich an diesen wunderbaren Küsten des Südens, an welchen einst die griechischen Philosophen schon ihre unsterblichen Gedanken gedacht haben.“
In Wahrheit machten handfestere Faktoren die Neapolitaner Philosophen für deutsches Gedankengut empfänglicher als ihre Kollegen an norditalienischen Universitäten. Anders als Lombarden oder Venetier lebten die Süditaliener nie unter dem vermeintlichen Joch der Österreicher, und in diesem Jahrhundert blieb ihnen die ungleich größere Last des deutschen Besatzungsregimes erspart.
Nicht anders als in Deutschland selbst war es höchst unterschiedlich, was die Epigonen aus den Werken des schwäbischen Wahlpreußen herauslasen. Vom revolutionären Syndikalisten Antonio Labriola über den Liberalen Benedetto Croce bis zum faschistischen Vordenker Giovanni Gentile – die philosophischen Köpfe der widerstreitenden Ideologien im Italien der ersten Jahrhunderthälfte entstammten allesamt jener Neapolitaner Tradition, die auf den Hegel- Interpreten Bertrando Spaventa (1817–1883) zurückging.
Die Faschisten hätten freilich übersehen, meint Marotta, „daß der Staat Spaventas auch der Staat des freien Parlaments war“. Die süditalienischen Erfahrungen der letzten 50 Jahre haben den Anwalt aber gelehrt, daß es ganz ohne Staat auch nicht geht. Die „geistige Erneuerung Europas“, die nach Marottas Ansicht über den materiellen Wiederaufbau nach dem Krieg in Vergessenheit geraten war, hat das Institut inzwischen mit rund 1.000 Publikationen gefördert. Sie alle sind bis zum 17. Juni im Henry-Ford-Bau ausgestellt.
Mit dieser Schau, die fast so unsinnlich ist wie Hegels Philosophie, tritt auch das neue Italienzentrum der FU erstmals an die Öffentlichkeit. Anders als das Frankreichzentrum, das die Technische Universität nahezu frei von einschlägigen Forschungsbezügen aus dem Boden stampfte, bündelt das Italienzentrum bereits bestehende Aktivitäten. Einzig die Stelle einer Geschäftsführerin wurde neu geschaffen. Eröffnen will die FU ihr neues Zentrum am 16. November, indem sie Umberto Ecos vielen Ehrendoktorwürden eine weitere hinzufügt und damit mehr sich selbst als den Bologneser Semiotiker ehrt. Ralph Bollmann
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