"Mein Programm ist zu 99 Prozent Basis"

■ Michel Platini (42), früher Mittelfeldgenie der französischen Fußball-Nationalmannschaft, heute Präsident des Organisationskomitees der WM in Frankreich, spricht über das Turnier, die Fifa, seine De

taz: Wenn man die Kunst beherrscht, einen angeschnittenen Freistoß ins Dreieck zu plazieren, ist es da nicht ein wenig banal, eine WM zu organisieren?

Michel Platini: Banal? Nein! Das ist eine Frage des Alters. Wenn ich zwanzig Jahre jünger wäre, würde ich Fußball spielen. Ich habe Trainer Aimé Jacquet gebeten, mich in die Auswahl zu nehmen. Aber er will nicht. So muß ich halt Leitungsfunktionen wahrnehmen.

Das klingt nostalgisch.

Nicht im geringsten. Ich war nie nostalgisch, was meine frühere Karriere betrifft.

Was macht die Aufgabe, eine Fußball-WM zu organisieren, interessant?

Das kann man nur einmal im Leben tun. Das nächste Mal ist in frühestens 60 Jahren. Da werde ich nicht mehr ganz frisch sein. Man ist am größten Ereignis der Welt beteiligt. Es ist ein schönes Projekt. Interessant. Intellektuell bereichernd. Man lernt Leute kennen.

Sie machen einen ziemlich entspannten Eindruck trotz des Drucks, der auf Ihnen lastet.

Ich spüre keinen Druck. Wir haben gut gearbeitet. Und es läuft ja auch gut.

Wirklich?

Was zählt, was von der WM bleiben wird, sind nur zwei Dinge. Die politisch-wirtschaftliche Welt in Frankreich will wissen, ob sie ein Plus oder ein Minus macht. Und dann bleiben die Emotionen der Spieler. Die Tore. Die Spiele. Erinnern Sie sich etwa noch an das Organisationskomitee der WM von 78 oder 82? Nein! Man erinnert sich an das Spiel.

Je näher die WM rückt, desto lauter werden die Streikdrohungen in Frankreich. Haben Sie Angst davor?

Streiks wird es nicht geben.

Was macht Sie da so sicher?

Am Ende wird es eine intelligente Entscheidung geben. Der Fußball ist schließlich populär. Und wenn sie streiken wollen, dann tun sie es eben.

Was passiert im Streikfall mit der WM?

Die findet trotzdem statt. Auch wenn nur zwei Leute im Stadion sind.

Wollen Sie die Leute in Hubschraubern transportieren?

Die Fußballer. Die Zuschauer gehen halt zu Fuß. Wir werden doch nicht wegen eines Streiks die WM verschieben. Was machen Sie denn, wenn bei Ihnen ein Streik ist. Der Fußball findet doch trotzdem statt.

In Deutschland streiken die Leute kaum.

Das ist eben la France. Ich bin nicht der Premierminister.

Haben Sie selbst schon mal gestreikt?

Ich? Nein! Aber ich würde gerne mal einen Hungerstreik machen, um ein paar Kilos zu verlieren.

Nach dem Abschluß des Ticketverkaufs heißt es mancherorten, die Nachfrage sei zu groß, Ihre Tickets seien zu billig.

Endlich sagen Sie mal was Positives! Wir wollten eine populäre WM machen, eine WM für alle, für die Jungen. Daran habe ich gedacht, als ich den Preis bei 350 Francs festgelegt habe. Jeder Franzose sollte sich das leisten können.

In Deutschland schimpfen Fußballfans, daß Sie zu wenige Tickets ans Ausland verkauft haben.

Das ist mir total egal. Im Namen Europas will man, daß die Tickets für alle erhältlich sind. Hat es etwa für das Pokalendspiel Bayern- Duisburg in Berlin einen Ticket- Verkauf in Frankreich gegeben?

Das war kein internationales Spiel.

Da gilt aber dasselbe Gesetz. Das Fifa-Reglement ist von der Organisationskommission gemacht worden. Darin sitzt auch der Präsident des DFB. Der hätte bloß „nein“ zu sagen brauchen, „wir brauchen mehr Tickets für Deutsche“. Aber als wir vor fünf Jahren das Ticket-System gemacht haben, hatte sich Deutschland noch nicht qualifiziert. Es wäre unmöglich gewesen zu warten, bis alle qualifiziert sind. Wir haben 37 Prozent für die Franzosen gemacht. Also 63 Prozent für die Ausländer. Das ist enorm! Das Problem ist, daß es 25 Millionen Nachfragen und bloß 2,5 Millionen Tickets gibt.

Auch das Rotationssystem zwischen den Austragungsorten der WM ist umstritten.

(lacht) Wenn das jemandem nicht gefällt, soll er halt nicht kommen. Nein, im Ernst: Ich habe das so gewollt und durchgesetzt.

Warum?

Erstens aus ethischen Gründen: Wenn Deutschland drei Spiele in Mexiko am selben Ort spielt, reden alle davon, aber wenn es andere Länder sind, nicht unbedingt. Bei uns müssen alle rotieren. Zweitens haben die Städte sehr viel Geld investiert, um die WM auszurichten. Dank der Rotation sehen die Leute zwölf Mannschaften statt bloß drei oder vier. Drittens war ich ja Fußballer, und da kann ich Ihnen sagen, daß die Spieler froh sind, wenn sie den Ort wechseln können. In Mexiko habe ich 1986 dreimal in León gespielt. Wenn ich ausgeschieden wäre, hätte ich nicht an der WM in Mexiko teilgenommen, sondern an der WM von León.

Der Fußball ist in den vergangenen Jahren immer uniformer geworden. Immer mehr auf Sicherheit orientiert. Erwarten Sie bei der WM trotzdem große Spiele?

Das Spiel ist immer uniform. Die Trainer folgen demselben Denken. Aber dann gibt es die créateurs, die Spieler. Und alle Spieler in der Welt sind verschieden. Ich glaube, daß bei der WM 98 der Fußball interessanter als je zuvor sein wird. Es wird zum ersten Mal in der ersten Runde nur zwei statt drei Qualifizierte geben. Zweitens dominieren Deutschland, Italien, Brasilien und Argentinien in diesem Jahr den Weltfußball nicht. Es gibt viele Mannschaften, die auf ihr Niveau kommen und Überraschungen bringen können. Frankreich, Holland, Nigeria, Spanien, Jugoslawien, England und andere.

Wer ist Ihr persönlicher Favorit unter den Fußballern?

Vor 20 Jahren kannte man die Spieler bei einer WM nicht vorher. Heute sind es diejenigen, die man ständig sieht. Es gibt keine Überraschungen mehr. Die Nigerianer sind alle in Europa. Ein Spieler, den ich sehr mag, ist Zidane. Das ist ein Franzose. Zum Glück.

Alle reden vom Zusammenhang zwischen Fußball und Geld...

Hören Sie. Wenn Ihre Zeitung kein Geld hat, macht sie zu. Also arbeiten Sie, damit Ihre Zeitung Geld verdient. Ich glaube, das gilt auch für das Organisationskomitee. Wenn man kein Geld hat, kann man keine WM organisieren. Wenn das den französischen Staat 2,5 Milliarden Francs kosten würde, würde niemand so was machen. Auch Deutschland würde dann nicht für die WM 2006 kandidieren.

Finden Sie es in Ordnung, daß Nike die brasilianische Nationalmannschaft finanziert?

Das ist ein Problem des brasilianischen Verbandes. Ich glaube, heute müßten die Fifa, die Verbände der Kontinente, Generalstände des Fußball organisieren, eine Art großes Symposium, um die Frage zu klären: Wohin geht der Fußball? Im Augenblick weiß niemand die Antwort. Vor einem knappen Jahrzehnt hat man die sportlichen Spielregeln des Fußballs verändert. Aber über den geschäftlichen Aspekt gibt es nichts. Das muß mit Politikern, Geschäftsleuten und mit den Klubs geklärt werden.

Was sollen die Generalstände des Fußballs tun?

Sich der Probleme bewußt werden, Verhaltensregeln aufstellen. Zum Beispiel muß die Fifa sagen, es ist gut oder nicht gut, an die Börse zu gehen. Oder: Die Spieleragenten sind gut oder nicht. Ganz egal, ob Blatter oder Johansson Fifa-Präsident wird. Das sind politische Fragen.

Johansson spricht von Fußball als „Produkt“. Sie auch?

Ich bin gegen Monsieur Johansson (lacht). Ich habe nie von Fußball als Produkt gesprochen. Ich rede von den Spielern. Die machen den Fußball.

Sie wollen viel bei der Fifa ändern, aber bei den Wahlen zu ihrem Präsidenten unterstützen Sie den Kandidaten Joseph Blatter, einen langjährigen Repräsentanten der Fifa.

Der Generalsekretär ist nicht Entscheidungsträger. Der Generalsekretär tut, was man ihm sagt. Ich glaube, nach 25 Jahren Havelange muß man den Fußball in eine andere Richtung entwickeln. Das heißt, man muß die Leute des Fußballs in die Instanzen holen. Warum sollen die 300 Millionen Leute, die jeden Sonntag Fußball spielen, immer am Rand bleiben?

Johansson könnte sich auch vorstellen, mit Ihnen als Sportdirektor zusammenzuarbeiten. Würden Sie das tun?

Nein. Ich mache lieber ein Programm und gewinne mit dem Programm, als mich nachher einem Programm anzuschließen, das ich nicht gewollt habe. Das ist keine Frage von Posten. Auch keine Frage von Geld. Ich habe die Fifa nicht nötig. Meine kleine Macht habe ich schon.

Hatten Sie Einfluß auf Blatters Programm?

Wir haben es zusammen gemacht. Ich will meine Ideen einbringen, ich will sie verteidigen. Und wenn sie durchkommen, dann weil sie gut sind.

Werden Sie, wenn Sie gewinnen, die Machenschaften der Ära Havelange durchleuchten?

Wer sündigt, schmeißt den ersten Stein. Gibt es etwa Aufklärung darüber, daß die Wahlkampagne von Monsieur Johansson die Fußballverbände Millionen kostet? Warum erteilen die Verbände Lektionen, wenn es darum geht, Politik zu machen?

Wen meinen Sie, wenn Sie von „Lektionen erteilen“ reden?

Es ist einfach, jemanden zu attackieren. Ich weiß nicht, was in den letzten 30 Jahren bei der Fifa passiert ist. Das ist mir egal. Was zählt, ist das Programm.

Wo würden Sie die WM im Jahr 2006 organisieren?

Zum Glück stimme ich nicht darüber ab. Aber ich denke, es wäre logisch, daß die WM in Afrika stattfindet. Auf allen Kontinenten gab es Weltmeisterschaften außer in Ozeanien, und die wollen eine im Jahr 2010 ausrichten. Bloß Afrika soll keine WM bekommen. Dabei ist Afrika das stärkste Reservoir des Fußballs.

Monsieur Blatter braucht die Stimmen Afrikas.

Und Afrikas Fußballpräsident Hayatou ist gegen Südafrika und für Deutschland mit Monsieur Johansson. Die erteilen alle Lektionen (lacht).

Was ist Ihre Rolle, wenn Blatter Fifa-Präsident wird?

Die sportlichen Fragen. Wenn Blatter gewählt wird, werde ich ihn sportlich beraten. Mein Anliegen ist, daß die Repräsentanten des Fußballs im Exekutivkomitee und in den Kommissionen vertreten sind. Die Fifa muß Fußballer, Trainer und Schiedsrichter an den Entscheidungen beteiligen. Damit die Fifa die Stimme von 300 Millionen von Fußballspielern ist und nicht nur von zwei, drei Leuten. Es gibt viele Dinge. Mein Programm ist zu 99 Prozent Basis und zu einem Prozent Elite.

Und wenn Blatter nicht Präsident wird?

Ja?

Sie sprechen deutsch?

Ich verstehe ein bißchen. Ich bin Lothringer. Ich kann sogar ein paar Flüche.

Zum Beispiel?

Oooh. Großes Schwein!

Und sonst?

Nein, das kann ich nicht vor einer Dame sagen.

Ah ja. Also, was tun Sie, wenn Ihr Kandidat nicht Präsident wird?

Ich weiß es nicht. Wenn wir in die Fifa gewählt werden, bleibe ich im Fußball. Sonst hätte ich zuviel Bitterkeit und würde was anderes tun.

Könnten Sie Sich vorstellen, Politik zu machen?

Nein. Oder, vielleicht doch. Ich wäre gerne Botschafter. Auf Mauritius.

Das Klima?

Sie haben verstanden. Ich wäre gerne Botschafter in einem kleinen Land mit Stränden. Aber keine Verantwortung. Interview: Dorothea Hahn