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Ein Ghetto für die Roma von Aussig

In der tschechischen Stadt Aussig sollen Roma künftig durch eine Mauer von der übrigen Bevölkerung getrennt werden. Der Oberbürgermeister lobt das Projekt als Chance für ein besseres Zusammenleben  ■ Aus Prag Jaroslav Šonka

In der nordwesttschechischen Stadt Aussig (Usti nad Labem) soll eine Mauer ganz besonderer Art gebaut werden. Sie soll zwei Siedlungen trennen. In der einen wohnen „Weiße“, wie sich manche Tschechen manchmal gerne nennen. Und in der zweiten, fein säuberlich abgetrennt, Roma. In den Zeitungen ist das geplante Bauwerk seit Tagen das bestimmende Thema. Der Oberbürgermeister von Aussig, Ladislav Hruška, versteht die Aufregung nicht.

Die Mauer würde zum Ausgleich des schwelenden Konflikts beitragen, sagte er unlängst in einem Interview mit der Tageszeitung Lidové noviny. Sie „führt eine gewisse Ordnung ein und verbindet die Gruppen derart, daß sie eine gemeinsame Sprache finden können“. Deswegen will die Stadt auch die Baukosten in Höhe von 350.000 Kronen (rund 18.000 Mark) übernehmen.

Hilda Pašová, Sprecherin der Roma-Bürgerinitiative, sieht das etwas anders. „So wird ein Ghetto entstehen“, sagt sie und beschreibt damit nur das, was in Tschechien ohnehin seit längerem Alltag ist. Daß vor Roma-Häusern in Aussig Abfall abgeladen wird und Roma- Siedlungen von Sanierungsprogrammen ausgenommen sind, gehört dabei noch zu den gemäßigteren Formen des Fremdenhasses, mit dem besonders Roma konfrontiert sind. In den vergangenen Jahren wurden in Tschechien rund 40 Roma bei Übergriffen Rechtsradikaler ermordet.

Die rechten „Republikaner“ fachen diese Apartheidstimmung weiter an. Während andere Parteien auf große Plakataktionen im Vorfeld der für Juni angesetzten Parlamentswahlen übereinstimmend verzichten, bringen die „Republikaner“ ihren Chef Miloslav Sládek mit rassistischen Sprüchen auf die Billboard-Flächen.

Das kommt an. In einer Prager Vorstadt, unweit von Hradschin, wo auch zahlreiche Roma-Familien leben, sagt ein Mann in einer Kneipe, was hier viele denken: „Die Politiker sollen selbst in die Nähe der Zigeuner ziehen, es wird ihnen bald vergehen, zum Zusammenleben aufzurufen. Die Zigeuner könnten sich doch anpassen. Aber sie wollen nicht. Da kann nur die Mauer helfen.“ Und ein anderer fügt hinzu: „Es wurde den Zigeunern schon genug in den Rachen gestopft. Die Kommunisten haben damit angefangen. Jetzt sollte endlich Schluß sein.“

Derweil bemüht sich der Sprecher der Regierung, Minister Vladimir Mlynář, um Schadensbegrenzung. Seine Aufrufe zu mehr Toleranz werden jedoch mehrheitlich nicht akzeptiert, wohl nicht zuletzt deshalb, weil Mlynář jüdischer Herkunft ist.

Seit einigen Tagen jedoch werden verstärkt kritische Stimmen laut. In seinem neuesten Buch spricht der Psychologe Pavel Řičan klar aus, daß es die Mehrheit sei, die dafür die Verantwortung trägt, daß sich etwas zum Besseren ändere. Zudem sorgen sich zahlreiche Kommentatoren um Tschechiens Image im Ausland. Es werde sich wohl negativ auswirken, wenn sowohl Kanada als auch Großbritannien aus Tschechien emigrierten Roma Asyl gewährten und dabei von rassistisch motivierter Verfolgung sprächen.

Auch geht die Angst um, daß unrühmliche Episoden der tschechischen Geschichte an die Oberfläche kommen. In Tschechien, wo die Aufarbeitung der Geschichte der letzten 60 Jahre klein geschrieben wird, steht auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers für Sinti und Roma in Lety bei Písek immer noch ein Schweinestall. Und der überlieferte Satz des „Republikaner“-Führers Sládek, es seien „zuwenig“ Roma im Krieg umgebracht worden, hatte bislang noch immer keine ernsten Konsequenzen.

Daß es anders geht, beweist der Inder Sri Kumar Vishwanathan in Ostrava. Im letzten Jahr stellte der Pädagoge prompt seine Solidarität mit Roma unter Beweis. Als in Ostrava infolge einer Hochwasserkatastrophe Roma in Notunterkünfte in der Nähe der „Weißen“ gebracht wurden und es daraufhin zu rassistischen Übergriffen kam, zog der Inder in die kleine Stadt. Seither lebt Vishwanathan in Ostrava und kümmert sich in verschiedenen Projekten besonders um Roma-Kinder. Sogar die Medien berichten ausführlich darüber. Und Vishwanathan antwortet bereitwillig: in reinstem Tschechisch.

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