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Millionarios im Regen

Ohne das große Geld der Drogenkartelle dümpelt Kolumbiens Fußball verschuldet und qualitätsarm gen WM  ■ Aus Bogotá Ingo Malcher

Ein seltenes Bild aus dem kolumbianischen Ligafußball: Es ist kühl und regnet, was die Wolken hergeben, die Straßen Bogotás haben sich in Flüsse verwandelt, vorbeifahrende Autos spritzen das Dreckwasser der Pfützen mehrere Meter hoch. Und doch, vor dem Stadion des Traditionsklubs Millionarios stehen die Fans geduldig in der Schlange und trotzen dem Regen, um auf die Tribüne zu kommen. So etwas geschieht nicht mehr alle Tage in Kolumbien. Doch an diesem Donnerstag abend steht ein classico auf dem Programm: Santa Fe de Bogotá gegen Milloonarios.

Wenn nichts Besonderes geboten wird, füllen sich die Stadien längst nicht mehr. Im Schnitt pilgern etwa 9.000 Fans in die Stadien, früher kamen um die 20.000. Der kolumbianische Profifußball steckt in einer Krise. Denn es fehlt an Geld. Santa Fe de Bogotá schuldete seinen Spielern sogar von Februar bis April die Gehälter, und bei América de Cali, einst der stärkste Klub des amerikanischen Kontinents, ging der Trainer, weil kein Geld mehr da war, ihn weiterzubeschäftigen. Wo früher Stars aus ganz Südamerika zauberten, laufen nur Jungspunde auf. Nicht nur bei América de Cali fehlen heute die großen Namen, die Zuschauer ins Stadion ziehen.

Blick zurück: ein normales Fußballwochenende in Bogotá im Jahr 1988. Ein Mann mit verspiegelter Sonnenbrille und Aktenkoffer klopft vor dem Spiel an die Tür der Kabine des Schiedsrichters. Er bietet dem Mann mit den schwarzen Stulpen ein Geschäft an. Entweder er nimmt diesen Koffer mit nach Hause und sorgt dafür, daß ein bestimmter Verein gewinnt, oder er wird keine Gelegenheit mehr haben, den Nachhauseweg überhaupt anzutreten. In dem Koffer lagen bisweilen schon mal 50.000 Dollar – kein schlechter Zusatzverdienst für einen Schiedsrichter.

In den Jahren 1985 bis '90 gaben die Drogenbarone Kolumbiens Unsummen für den Fußball aus. Sie kauften Vereine, züchteten sie hoch. So besaß das Cali-Kartell der Brüder Gilberto und Miguel Rudriguez, die beide derzeit im Gefängnis sitzen, die Klubs América de Cali, Santa Fe de Bogotá und Deportive Preira. Carlos Escobar hatte mit seinem Medellin-Kartell die Millionarios (Bogotá) und Nacional de Medellin fest in der Hand.

Die Drogenbarone wetteten dann gegeneinander, wer wohl die Meisterschaft machen würde. „Das Wetten war schlicht ein Hobby von ihnen“, sagt José Ramos, kolumbianischer Journalist und Autor des Buches „Kolumbien vs. Kolumbien“, das den Profifußball und die politische Gewalt im Land untersucht. Dieses Hobby nahmen sie so ernst, daß sie dafür Menschen umbrachten.

Im November 1989 wurde der Schiedsrichter Alvaro Ortega auf dem Nachhauseweg ermordet, weil er die Falschen hatte gewinnen lassen. Daraufhin wurde der Ligabetrieb abgesagt. „So wie die Drogenkartelle gegen Politker und Journalisten vorgingen, so gingen sie auch gegen die Schiedsrichter vor“, befindet Ramos. Die Klubs dienten den Kartellen nicht nur als Hobby für Wochenendwetten, sondern auch als Geldwaschanlagen. Wenn ein Spieler für einen Preis von 500.000 Dollar aus dem Ausland gekauft wurde, so mußte der Klub bei keiner Behörde anzeigen, woher er die 500.000 Dollar hatte. Nach einer Saison wurde der Spieler wieder für die gleiche Summe oder teurer verkauft, und so war wieder etwas mehr Geld sauber.

Gonzalo Rodriguez Gacha, ein enger Freund von Carlos Escobar, kontrollierte die Millionarios. In der Meisterschaft 1988 setzte er eine Torprämie von 1.500 Dollar für den Schützen aus. Es war ein offenes Geheimnis, woher die Gelder für den kolumbianischen Profifußball kamen. Bei der WM in Italien tauchte auf einmal ein Trupp der US-amerikanischen Drug Enforcement Agency (DEA) im Trainingslager der kolumbianischen Nationalmannschaft auf und suchte Carlos Escobar, der natürlich nicht da war.

Als die dicken Drogenbosse aufflogen, war es auch mit dem Fußballschlaraffenland Kolumbien zu Ende. Die Rodriguez-Brüder wurden 1985 gefaßt. Gonzalo Rodriguez Gancha wurde 1989 erschossen, und Carlos Escobar wurde 1993 ermordet. Die Polizei durchforstete die Fußballvereine, und als der Geldhahn zugedreht war, waren die fetten Jahre für die kolumbianischen Vereine vorbei. Die Stars mußten verkauft werden, andere Geldgeber wurden in der privaten Wirtschaft gesucht, die allerdings andere Gehaltsvorstellungen hatte als die Drogenbarone.

Heute laufen die kolumbianischen Spieler für Bierbrauer und transnationale Multis Werbung. Den Vereinen fehlt es dennoch an allen Ecken und Enden an Geld. „In der kolumbianischen Liga fehlen einfach Figuren, es fehlt an tollen Spielern“, beklagt sich Ramos.

Grund zur Sorge wegen der Nationalmannschaft hat Kolumbien deshalb allerdings nicht. Trainer Hernan Dario Gómez setzt bei der WM, und so auch beim heutigen Testspiel in Frankfurt gegen das DFB-Team, vor allem auf erfahrene Spieler, die schon bei der WM in den USA mit von der Partie waren. An der Mannschaft wird kritisiert, daß sie nur langsam in Schwung kommt, ihre Chancen nicht besonders clever auswertet und in der Abwehr schludert.

Bei der Weltmeisterschaft wird auch die Gewalt wieder in den kolumbianischen Fußball zurückkehren. Der beim FC São Paulo in Brasilien unter Vertrag stehende Mittelstürmer Victor Aristizabal bekam eine Morddrohung, sollte er mit nach Frankreich fahren. „Sonst wirst du der zweite Escobar“, ließ ihn ein anonymer Anrufer wissen. Libero Escobar hatte bei der WM in den USA 1994 ein Eigentor geschossen und war daraufhin bei seiner Rückkehr ermordet worden.

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