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Shakespeare statt Cervantes

Kalifornien stimmt in einem Referendum über den zweisprachigen Unterricht für Immigrantenkinder ab. Ist die Mehrsprachigkeit eine Chance oder ein Stigma?  ■ Aus Los Angeles Peter Tautfest

„Heute ist Dienstag. Die Sonne scheint, und Jung Hyun Kim ist Klassensprecher des Tages.“ Die Lehrerin steht mit Zeigestock an der Tafel und weist erst auf die englische, dann auf die Zeile mit den koreanischen Schriftzeichen. Die Kinder der ersten Klasse lesen im Chor, erst auf englisch, dann auf koreanisch. Sadiya Hashem ist sechs und kann noch ganz anderes lesen, zum Beispiel die Geschichte der Regenbogenforelle, die vom Weißfisch um eine ihrer bunten Schuppen gebeten wird. Sie liest auf koreanisch und erzählt auf englisch nach – oder umgekehrt. Auch Andy Jin und Jung-Huyon Kim können ihre Namen auf englisch und koreanisch schreiben. Sadiya aber kann ihren auch auf bengalisch schreiben, was sie nicht in der Schule, sondern zu Hause gelernt hat. „Ein biiiiißchen Spanisch kann ich“, sagt die Kleine stolz. Lloyd Houske, Direktor der Cahuenga Elementary School, wird nachher sagen, daß sie untertreibt. Sie spreche so gut wie fließend Spanisch. „Das hat sie auf dem Schulhof beim Spielen mit den spanischsprachigen Kindern gelernt.“

Was macht ein Kind aus Bengalen in einer zweisprachigen koreanisch-englischen Klasse in einer vorwiegend von spanischsprachigen Kindern besuchten Schule im Herzen von Los Angeles? Sie spricht englisch, erklärt Houske, und englischsprechende Kinder sind hier eine Rarität. Die aber braucht er für die zweisprachigen Klassen. Wirklich zweisprachige – oder besser doppelsprachige – Klassen nämlich setzen voraus, daß wenigstens die Hälfte der Kinder eine der beiden Sprachen sprechen, in denen unterrichtet wird.

Die Cahuenga-Grundschule liegt im Bezirk Hobart von Los Angeles. Sie hat 2.600 Schüler, von denen aber nur 1.200 in den vielen Containern untergebracht sind, die im Laufe der letzten Jahre aufgestellt wurden, um des Andrangs Herr zu werden. Die anderen werden mit Bussen in umliegende Schulen gebracht. 90 Prozent der Kinder kommen aus Familien, die dicht an der Armutsgrenze leben. Zwei Drittel der Kinder kommen aus spanisch-, ein Drittel aus koreanischsprechenden Elternhäusern. Mithin wäre Cahuenga eine ganz normale Schule im Los Angeles Unified School District (LAUSD), dem zweitgrößten Schulbezirk Amerikas mit 650.000 Schülern, von denen fast die Hälfte nur unzureichend Englisch sprechen. Hier wird wie an den meisten LAUSD-Schulen zweisprachig unterrichtet. Jetzt ist um den zweisprachigen Unterricht eine leidenschaftliche Kontroverse entbrannt. Heute entscheiden Kaliforniens Wähler über einen Volksentscheid, der, falls er angenommen wird – und zur Zeit sieht alles danach aus –, zweisprachigen Unterricht abschaffen wird. Das wäre der dritte Volksentscheid in vier Jahren, der gravierende Auswirkungen auf Kaliforniens Minderheiten, vor allem auf seine hispanische Bevölkerung hätte.

„School hase tich me hou to spic inglish and be god esport.“ Das hat Rodrigo, ein Fünftkläßler, geschrieben. Was Alice Callaghan daran beunruhigt, ist nicht so sehr, die Rechtschreibung – auch viele englischsprachige Schulabgänger können hier nicht richtig lesen und schreiben –, sondern daß die Fehler spanische Sprach- und Denkmuster verraten. „Worte wie ,esport‘ statt ,sport‘ zeigen, daß das Kind spanisch denkt. „Der wird nie richtig Englisch sprechen“, sagt sie, „und das ist das Ergebnis zweisprachigen Unterrichts.“ Callaghan betreibt seit 1981 einen Schülerladen in der 7. Straße von Downtown Los Angeles. Hierher kommen nach Unterrichtsschluß Kinder aus der 9th Street School, bis ihre Eltern aus den umliegenden Billiglohn- Klitschen sie abholen. Inmitten eines quirligen Haufens von Kindern aller Altersstufen schwingt ihr blauweiß gestreifter Kattunrock ebenso wie ihr halblanges Haar unausgesetzt linksherum und rechtsherum. Sie scheint fünferlei gleichzeitig zu tun, ohne dabei die freundliche Ruhe zu verlieren: Rat bei Schulaufgaben erteilen und Trost spenden, Streit schlichten und Erlaubnis zum Eisholen erteilen, das Telefon beantworten und dafür sorgen, daß der Englischunterricht für Erwachsene hinter der hölzernen Stellwand ungestört vonstatten gehen kann.

„Ich gehöre von jeher zum linken Flügel der Demokraten. Ich habe mich gegen den Vietnamkrieg und für Immigranten eingesetzt, ich weiß nicht mehr, wie oft ich bei Aktionen für Obdachlose und gegen Sozialabbau festgenommen worden bin. Auch ich war zunächst für zweisprachigen Unterricht – bis ich sah, wie die Kinder Tag für Tag und über Jahre Hausaufgaben in Spanisch herbrachten und nicht den geringsten Fortschritt im Englischen machten.“ Der zweisprachige Unterricht sei eigentlich gar nicht zweisprachig. Statt dessen würden spanisch-, chinesisch- oder koreanischsprachige Kinder (80 Sprachen werden eigentlich im LAUSD gesprochen) in ihrer Muttersprache lesen und schreiben lernen und muttersprachlichen Fachunterricht haben. Nur bestimmte Fächer wie Sport und Musik haben sie zusammen mit englischsprachigen Kindern. Eine Stunde am Tag haben sie Englisch für Ausländer. Idealerweise nimmt über die Jahre der Anteil des muttersprachlichen Unterrichts zugunsten von Unterricht in englischer Sprache ab. Die Kinder werden also nicht wirklich zweisprachig erzogen, vielmehr wird ihre Muttersprache als Sprungbrett für den Erwerb der neuen Sprache benutzt. „Welch ein Quatsch, das ist, als bringe man ihnen Fußballspielen bei, damit sie besser American Football lernen können“, schimpft die Lehrerin.

Alice Callaghan und die 9th Street School machten vor zwei Jahren im April Schlagzeilen. Neunzig Eltern hatten sich zusammengetan und wollten ihre Kinder aus dem zweisprachigen Unterricht nehmen. „Diese Eltern sind arm, aber nicht dumm“, erklärt Alice. „Sie wollen, daß ihre Kinder es mal besser haben als sie, und wissen, daß sie dazu Englisch können müssen.“ Als Forderungen nach mehr Englischunterricht bei der Schulleitung kein Gehör fanden, tat Alice, was sie am besten kann, sie organisierte den Protest. Die Eltern kamen mit Spruchbändern auf den Schulhof und boykottierten über Wochen den Unterricht. Erst durch die Intervention des Bürgermeisters von Los Angeles wurde ihnen gestattet, ihre Kinder in reine Englischklassen zu tun. Von dieser Geschichte las Ron Unz, ein Software-Hersteller in Palo Alto. Er tat sich mit Alice Callaghan zusammen und eröffnete das Hauptquartier seiner Kampagne in der 7th Street, einen Steinwurf von Alices Schülerladen entfernt. Es war die perfekte Verbindung, der Mann mit dem großen Geld und die Aktivistin mit dem Finger am Puls der Latinos. Zusammen wurde daraus die Initiative „Inglés para los niños“ – Englisch für die Kinder. Schnell war ein Vielfaches der für eine Volksabstimmung notwendigen Unterschriften zusammen.

Ellen Page, Direktorin der 9th Street School, erzählt alles ganz anders. Die Eltern seien aufgewiegelt worden. Viele hätten Petitionen abgegeben, die einen gekritzelten Vermerk enthielten, die Kinder sollten im Spanischunterricht bleiben. Anders aber als Lloyd Houske will Ellen Page in der 9th Street School keinen Besuch von Journalisten. Sie ans Telefon zu kriegen war schwer genug. Ron Unz ist derweil der Darling der Medien, die die Allianz von Silicon Valley und Ghetto, von Graswurzeln und großem Geld, von Wirtschaft und Widerstand feiern – alles zum Wohle der Immigranten.

Zweisprachiger Unterricht geht auf einen Prozeß zurück, den ein Vater chinesischer Herkunft 1974 in San Francisco anstrengte. Das Grundrecht seines Sohns auf Bildung sei berührt, wenn er dem Unterricht mangels Sprachkenntnissen nicht folgen könne. Der Vater gewann, und Amerikas Kongreß verabschiedete das Gesetz über zweisprachigen Unterricht. Seitdem bekommen Kinder so lange Fachunterricht in ihrer Muttersprache, bis sie durch besondere Englischkurse den Anschluß an reguläre Englischklassen gefunden haben. In der Cahuenga Elementary School dauert das drei bis vier Jahre, an der 9th Street Elementary School offenbar viel länger. Sinn und Erfolg dieser Methode sind umstritten. „Frühere Einwanderer sind auch einfach ins Wasser geworfen worden“, ereifert sich Ron Unz, „und lernten Englisch“ – „Was die lernten, war umgangssprachliches Englisch“, sagt Houske. „Für niedere Arbeiten reichte das. Doch solche Jobs gibt's heute kaum noch.“ Manchmal reduziert sich der Streit darauf, ob es wichtiger ist, den Fachunterricht zugunsten von Sprachunterricht zu vernachlässigen, oder umgekehrt. Gegner des zweisprachigen Unterrichts verweisen auf die wachsende Zahl von Schulabgängern in Kalifornien, die nicht richtig Englisch und auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden können – ein Viertel der hispanischen Bevölkerung spricht kein Englisch. Für Ron Unz ist die Rechnung ganz einfach. Vier Fünftel der Schüler in zweisprachigen Klassen sind Latinos; die Mehrheit derer, die in Kalifornien den Schulabschluß verfehlen, sind Latinos; ergo müssen die Schule und vor allem der bilinguale Unterricht schuld sein. Die Befürworter halten dagegen, daß nur 30 Prozent der Kids mit unzureichenden Englischkenntnissen überhaupt bilingualen Unterricht haben, es fehlen 20.000 Lehrer. Und natürlich entscheidet nicht nur die Unterrichtssprache über den Schulerfolg.

Die renommierte National Academy of Science hat eine Studie erarbeitet, die zeigt, daß Kinder aus zweisprachigem Unterricht in den wichtigen Fächern Mathematik, Physik und Biologie besser abschneiden. Der National Research Council hingegen stellt in der bisher umfangreichsten Untersuchung fest, daß alle bisherigen Studien zu dieser Frage wertlos sind, weil sie nicht auf die Unterrichtsmethoden eingehen. Alle Methoden können erfolgreich sein, wenn sie pädagogisch richtig umgesetzt werden. Aber um Pädagogik geht es in diesem Streit nicht in erster Linie.

Mit der Paranoia der Anglos gegenüber steigenden Immigrantenzahlen will Ron Unz nichts zu tun haben. Er ist eher peinlich davon berührt, daß der scheidende Gouverneur Kaliforniens seine Initiative unterstützt. Dessen Volksentscheid Nummer 187 gegen Sozialhilfe für Immigranten hat er 1996 in seinem eigenen Vorwahlkampf um den Posten des Gouverneurs bekämpft, darauf ist er stolz. Die diesjährigen Gouverneurskandidaten haben sich von Ron Unz' Initiative distanziert. Sie fürchten um die hispanischen Stimmen. Und was denkt die spanischsprachige Bevölkerung? 80 Prozent sind damit einverstanden, daß ihre Kinder möglichst schnell Englisch lernen sollen. Fragt man, ob Eltern damit zufrieden sind, daß ihre Kinder auch Spanisch lernen, zeigt sich eine ebenso große Unterstützung für den zweisprachigen Unterricht. Aber die Eltern entscheiden diese Frage sowieso nicht. Nur 20 Prozent der Wähler Kaliforniens haben überhaupt schulpflichtige Kinder, und just jene Latinos, um deren Kinder der Streit geht, wählen nicht.

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