: Ungelöster Grundkonflikt
■ Der Mord an Christina N. ist dank Gen-Test aufgeklärt. Und nun?
Ein Täter wie bestellt. Gäbe es ihn nicht in der Realität, die Verfechter einer Gen- Datei hätten ihn nicht besser erfinden können. Der mutmaßliche Mörder der elfjährigen Christina Nietsch wird künftig all denen als Kronzeuge dienen, die eine genetische Rasterfahndung als segensreichen Fortschritt der Verbrechensbekämpfung preisen. Der Kronzeuge liefert überzeugende Fakten. Der geständige Täter, ein dreißigjähriger Familienvater aus dem Nachbardorf, wurde anhand der Speichelproben im Zuge der bisher größten genetischen Massenuntersuchung überführt. Christinas mutmaßlicher Mörder war entweder grenzenlos naiv, oder er stand dermaßen unter psychologischem Offenbarungsdruck, daß er die Fahnder selbst auf seine Spuren lockte. Hätte er wie Tausende andere auch den Speicheltest verweigert, wäre er durch das Netz gerutscht. Für die Fahnder also mehr Glück als Methode.
Doch dieses Faktum entkräftet nicht ein anderes Argument. Christinas Mörder war bereits einschlägig vorbestraft. Hätte es schon damals eine Gen-Datei für Sexualstraftäter gegeben, argumentieren jetzt Kriminalisten, wäre dieser Mord zu verhindern gewesen. Der Glaube an die GenDatei als Allheilmittel mag manchmal überzogen sein. Doch richtig ist: Schnelle Aufklärung kann Schutz bedeuten. Und auch eine Entlastung für Opfer. Das ist nicht zu unterschätzen.
Aber rechtfertigt dieser Schutz im Einzelfall die Gefahren einer Methode, deren gesellschaftliche Folgen wir heute noch gar nicht abschätzen können? Dieser Grundkonflikt bleibt weiterhin ungelöst – ebenso wie das andere große Dilemma: Was tun mit den Tätern? Der mutmaßliche Mörder Christinas ist auch dafür ein beredter Kronzeuge. Nachbarn schildern ihn als liebevollen Vater dreier Kinder. Doch mit 21 Jahren hat er ein junges Mädchen vergewaltigt. Hätte man ihn Zeit seines Lebens einsperren sollen? Oder mit dem Stempel aus der Gen-Datei markieren sollen: „Vorsicht, vergewaltigt“? Im Fall des Mörders von Christina ist man im nachhinein klüger. Aber wollen wir auch Zustände wie in den USA? Dort haben Sexualstraftäter in einigen Bundesstaaten nach Verbüßung ihrer Haft keine Chance, im normalen Leben wieder Fuß zu fassen, weil, wo immer sie hinziehen, empörte Nachbarn mit Protestschildern vor ihren Wohnungen aufmarschieren.
Vera Gaserow Bericht Seite 6
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