Gebrauchte Großillusionen, auch zu Aktionspreisen

■ Europas größter Vertrieb für Zauberutensilien heißt „Star Magic“ und residiert in der norddeutschen Pampa. Dort gibt es viel zu erfahren über die Mechanismen der Sinnestäuschungen und Lügen, also über das Leben schlechthin

Hude liegt exakt DM 7,80 Bundesbahntarif, 2. Klasse, ohne Ermäßigung, von Bremen entfernt. Wenig Nennenswertes gibt es über den Ort zu berichten, auch nicht nach einem 15-Minuten-Marsch auf Hudes Hauptstraße. Zwanghaft Sensible könnten vielleicht auf den Kontrast zwischen Wir-veschönern-unser-Dorf-Neofachwerk und Wir-sind-im-Global-village-angekommen-Punkplakat-Decollagen hinweisen. Aber wer will schon zwanghaft oder sensibel sein.

Nur gut, daß wenigstens die freundlichen Menschen in einer wochenendoffenen Tankstelle, einem wochendoffenen Kiosk und einem bemerkenswerterweise ebensolchen Imbiß etwas zu berichten wissen. Zum Beispiel, wo die Firma „Star Magic“ ihren Tag der offenen Tür feiert.

Obwohl nur mit drei festen Angestellten und einer Handvoll losen Mitarbeitern bestückt, soll es sich bei diesem Unternehmen um Europas größten Fachhandel für „Großillusionen“ handeln. Auch in epochaler Zeitenwende, kurz vor der Invasion des Euro, gibt es offensichtlich noch Wirtschaftsbiotope, in denen die Marktführung schnell und kostengünstig errungen werden kann: Kaum fünf Jahre alt – und nun schon erste Adresse für alle „Illusionsinteressierten aus ganz Deutschland und angrenzenden Ländern“, so verprechen es 67 Seiten Kataloghochglanz. „Auf dem Gebiet der Zauberei ist das aber nicht weiter bemerkenswert“, meint der junge Firmenchef Sascha Freudlich mit gebührender Bescheidenheit. Dabei ist die Zahl der Zauberer erstaunlich groß. Etwa 2.500 von ihnen haben sich in Deutschland in die Obhut eines Vereins begeben – und die Dunkelziffer der Naturgesetzesbrecher dürfte ebenso hoch sein. Doch noch immer basteln sich viele Hobby- und Semiprofizauberer ihre Gerätschaften selber. Riesig ist der Markt also nicht.

Etwa 50 Zauberer haben sich bei „Star Magic“ eingefunden. Ganz nebenbei erfährt man von ihnen einiges über die Regeln des Betrugs. Hauptsächlich aber geht es um pragmatische Fragen. Zum Beispiel eben diese: Bauen oder bauen lassen? „Spätestens wenn das Bein dreimal zu Bruch geht (?), fragst du dich, ob du nicht lieber zum Fachmann gehst“, gibt Tom Voss gastgeberfreundlich zu bedenken. Und Tom Voss war 1991 immerhin Vizeweltmeister der „Illusionisten“. „Manche glauben, mit dem Kauf einer Kreissäge ist es getan, und die Illusion steht. Aber das geht oft schief, die Illusion geht kaputt – und das ist meist peinlich“, so wirbt ein Star-Magic-Mitarbeiter mit den immer und überall gleichen Urängsten des Versagens.

Auch von platzsparenden Illusionen wird abgeraten: „Nicht jede Illusion hat im Kofferraum eines Fiat Tipo Platz.“ War es nicht das, was unsere Romantiker, Schlegel und Novalis, mit ihrem Ideal des unendlichen Augenblicks meinten? Erstaunliche Korrespondenzen täten sich da auf. Egal. Jedenfalls ist aus solchen illusionspragmatischen Gründen eine Anhän-gerkupplung am PKW unverzichtbar. Denn „eine stabile Illusion braucht Raum.“ Nicht auszudenken, hätten Robespierre, Fourier, Marx und all die anderen Großillusionisten der Welt dieser Weisheit genug Beachtung geschenkt.

Aber auch die Eleganz der Werkstoffe ist zu berücksichtigen, insbesondere bei Blumentöpfen, die aus einem Zaubererumhang herausgebeutelt werden können. Denn „jede Illusion muß auch eine Seele haben.“ Und die gründet sich seit Marx aufs Material. Diese Seele kostet bei hochwertigen Blumentöpfen mit vielen bunten Federn 2.700 Mark. Ist dieselbe Illusion aber gebraucht, schrumpft ihr Wert auf 1.550 Mark. Eine schwarze Kiste zum multiplen Durchsägen einer x-beliebigen Person kostet gar 25.000 Mark, Second hand aber gibt es diese dekonstruktivistische Illusion „zum Aktionspreis“ von 9.900 Mark. Und das, obwohl Blutspuren nicht zu sehen sind.

Tricks verraten werden an diesem Tag der offenen Tür natürlich nicht, vorgeführt aber schon. Danny Daniels zeigt Close-up-Zauberei. „Danny Daniels! Ihn braucht man hier wirklich nicht vorzustellen“, charmesprüht der Conférencier. Tun wir aber dennoch: Close-up ist der weltweit gebräuchliche Fachterminus für flinke Taschenspielertricks am Tisch. Logischerweise sind sie nur für den kleinen Zuschauerkreis geeignet. „Bei Firmenfesten und Privatfeiern kann der dafür bis zu 1.000 Mark verlangen, muß aber auch einen langen Abend dafür durchschuften“, weiß ein Kollege. Münzen vervielfältigen sich oder verschwinden auf mysteriöse Weise. Denn Danny Daniels unablässiger Redestrom lenkt die Blicke des Publikums immer dahin, wo gerade nicht die maßgebliche Transaktion stattfindet. Eine originär politische Tätigkeit: Es geht um gezielte Irreführung der Aufmerksamkeit. Ebendas weiß natürlich der Bezauberte des ausgehenden 20. Jahrhunderts und stiert mißtrauisch dorthin, wo er eigentlich gerade nicht hinschauen sollte. Aber der Zauberer weiß, daß der Zuschauer das weiß, und kalkuliert die Schlaumeiereien seines Publikums in seine Verführungskünste mit ein. So wie der bessere Schachspieler muß er dem Kontrahenten immer einen Schritt voraus sein. Daniels Hände wuseln nervös über Jackettrevers, über Tischoberseite und Tischunterseite. Doch dann entspannt sich die Situation und der Zuschauer gleich mit und läßt einen schwachen Moment lang in seiner Konzentration nach. Es ist der ideale Augenblick für eine Münze, um – unter der Hand – von Ort zu Ort zu wandern. Nur die äußerste Spitze einer einzigen Fingerkuppe weiß von der geheimen Aktion, der Rest der Zaubererhände tut so, als wäre nichts geschehen. Handeln ohne Getue, das ist das Geheimnis. Und dem Zuschauer ergeht es wie so oft im Leben: Er begreift das Prinzip, – aber weiterhelfen tut ihm das nur manchmal.

Noch ein Stück ratloser wird er angesichts jener „Großillusionen“, die auf mehr oder weniger teurem Equipment beruhen. Da versteckt sich zum Beispiel eine gefesselte Frau in engem sexy Body hinter einem Vorhang. Lächerliche zwei Minuten später tritt sie ans Bühnenlicht hervor – und trägt über dem Body und unter dem Schnurgestrüpp ein Jackett. Tom Voss arbeitet bei diesem Trick vermutlich mit ähnlichen Sinnestäuschungsmanövern wie Danny Daniels. Bewegungen suggerieren „Tatsachen“, die es nicht gibt. Dynamisch schlingt er seine Stricke um die arme Frau, als seien sie unerbittlich wie Eisenketten. Doch wer weiß, ob sie nicht elastisch sind wie ein Unterhosengummi? Fest zieht er an jenen Knoten um die Hände, die vermutlich gar keine echten Knoten sind. Gesten simulieren Wirklichkeit.

Tom Voss über das Zauberhandwerk: „Wir sind alle keine Hochleistungssportler. Wir müssen trainieren, trainieren, trainieren. Um elf Uhr aufstehen, locker in den Tag hineinleben, das kann sich ein Mensch, der von der Zauberei leben will, nicht leisten.“ Wer hätte hinter dem trügerischen Spiel diesen protestantischen Eifer vermutet?

Etwa 50 Menschen, schätzt Voss, verdienen sich in Deutschland ihren Lebensunterhalt mit der Kunst der interesselosen Täuschung. „Für mich und meine Frau gibt es nur zwei Dinge: die Kinder und die Zauberei. Keine Partys, keine ausufernden Hobbys.“ Trotzdem: „So geschickte Finger wie Danny habe ich nicht. Doch das läßt sich ausgleichen durch zwei schöne Frauen auf der Bühne.“ Auch ein Dekolleté kann von der nackten Wahrheit ablenken. An diesem Ort erfährt man viel über das Leben ...

... aber wenig über die klassischen Tricks des Schwebens und Zersägens. Die Zauberer unter sich aber durchschauen sich gegenseitig vollkommen. Der Grieche Jorgos weiß, wie die Nummern von Tom Voss funktionieren, Tom Voss weiß, wie die Nummern von Jorgos funktionieren. „Unsere Shows variieren Klassiker, die zum Teil schon 20 Jahre alt sind. Ganz selten kommen neue Tricks dazu. Der Unterschied zwischen den Zauberern liegt in Feinheiten der Präsentation.“ Wer einen Zauberkasten erst einmal von innen kennt, weiß auch, wie er funktioniert. Nicht umsonst häufen sich in Sascha Freudlichs Reich Schilder mit der Aufschrift „Berühren verboten“. Nur bei Großmeistern vom Kaliber eines David Copperfield bleiben einige Fragen offen. „Im Prinzip wissen wir auch bei ihm, wie alles geht, selbst seinem Knüller, dem Fliegen.“ – „Aber das Prinzip ist eben nicht alles. Bei den Details ist uns einiges unklar“, ergänzen sich Jorgos und Voss. Alles letztendlich eine Frage des Equipments. Tom Voss taxiert das seinige auf 50.000 Mark. Bei Copperfield mutmaßt er Beträge im siebenstelligen Bereich und darüber.

Dort kommen wohl auch geballte Hightech und komplizierte Computerberechnungen zum Einsatz. Die meisten Betriebsfeier-Zauberer aber verzichten auf solchen Schnickschnack. „Fast alles funktioniert rein mechanisch“, meint ein Star-Magic-Mitarbeiter. Kein Cyberspace. Kein Multimedia.

Wer nun aber glaubt, die Welt der eintrainierten Wunder sei heil, der täuscht sich. Die Tücken der Informationsgesellschaft gingen auch an ihr nicht spurlos vorüber. Jüngst wurde die Branche von unerwünschten Offenbarungen überrollt. Eine Buchpublikation, eine Show auf Sat. 1 und selbst Kindersendungen verraten heutzutage, wie es geht, wie man Leiber zersägen kann ohne Schädigungen der Gesundheit in Kauf zu nehmen. In Amerika reagiert man auf solche unliebsamen Entzauberungen wie üblich mit juristischen Mitteln. „Doch das Durchkämpfen von Patentrechten ist erstens langwierig, zweitens unerschwinglich“, meint Sascha Freudlich. Er und seine Kunden vertrauen lieber auf eine spezielle Fähigkeit des Menschen: die Gabe des Vergessens. „Erklären Sie heute einem Kind einen Trick, staunt es zwei Wochen später schon wieder Bauklötze darüber.“

Keine Frage: Zauberer sind weise. bk