piwik no script img

Bann für die Verrätersprache

■ Algerien plant demnächst ein Verbot aller französischen Zeitungen. Die wehren sich jetzt

Der Beauftragte der algerischen Regierung für die Arabisierung, Mohammed Benamar Zerhouni, hat entdeckt, wo die „Quelle allen Übels“ zu suchen ist, „unter dem das algerische Volk leidet“: in der „französischsprachigen Presse“ nämlich, „die in keinerlei Zusammenhang zum algerischen Volk steht“.

Die meistgelesenen Tageszeitungen des nordafrikanischen Krisenlandes sind für den Regierungsvertreter sämtlich Sprachrohre der „Harkis“. So nannte man im Unabhängigkeitskrieg die Landsleute, die mit der französischen Kolonialarmee kolaborierten. Spätestens ab dem kommenden 5. Juli, dem Nationalfeiertag, könnten all diese Zeitungen „verfassungswidrig“ sein, kündigte der Arabisierungsbeauftragte an.

An diesem Tag schlägt Zerhounis große Stunde: Das bis heute dreisprachige Algerien wird nur noch eine Amtssprache kennen – Arabisch. Das Französische, immer noch Bildungssprache und zugleich das einzige Idiom, in dem sich die 25 Prozent starke Berberminderheit mit öffentlichen Stellen verständigt, soll aus den Ämtern und der Wirtschaft verschwinden, ebenso die Berbersprache Tamazigh. Geht es nach Zerhouni, werden alle nichtarabischen Sprachen auch aus den Kiosken und den elektronischen Medien getilgt. Die Regierung stützt sich dabei auf ein Gesetz von 1990, das nach langen Jahren in den Schubladen 1996 wieder ausgegraben wurde, um es jetzt umzusetzen.

„Wir sind zutiefst verärgert, traurig und beunruhigt“, heißt es in einem offenen Brief, den die Verleger von elf privaten Tageszeitungen, darunter drei arabischsprachige Publikationen, an Regierungschef Ahmed Ouyahia richteten, von dem sie eine Bestandsgarantie für ihre Blätter fordern. Die Arabisierung diene somit der „politischen Manipulation“, so die Verleger. Der einzige, dessen Unterschrift unter dem Dokument fehlt, ist Antar Charbal, der Herausgeber des ehemaligen Regierungsblatts El Moudjahid. Seine Zeitung folgt weiterhin der Regierungspolitik, und das, obwohl sie seit ihrer Gründung in der Sprache der ehemaligen Kolonialherren erscheint.

„Es fehlt nur noch, daß Zerhouni sagt, daß unsere Zeitungen im Auftrag des französischen Geheimdienstes arbeiten“, sagt der ehemalige Direktor des Staatsfernsehens ENTV, Abdou Benziane, sichtlich aufgebracht über den Vorwurf des fehlenden Patriotismus seiner Berufskollegen. Le Matin wirft Zerhouni gar vor, „all diejenigen Journalisten zu beleidigen, die ermordet wurden“. Dem Töten fielen seit dem Ausbruch des Konfliktes zwischen Armee und radikalen Islamisten immerhin 60 Berichterstatter zum Opfer.

„Damit sollen die fortschrittlichen Kräfte in ihrem Kampf für einen demokratischen Wechsel geschwächt werden“: So analysiert El Watan, die größte Tageszeitung des Landes, Zerhounis Vorgehen. Herausgeber Omar Belhouchet wurde erst vor kurzem wegen Beleidigung der Regierung zu einem Jahr Haft verurteilt. Und Liberté warnt vor den „Kräften, die sich der Demokratie und der Modernität widersetzen“.

In dieses Lager gehört auch Zerhouni, der Mitte der achtziger Jahre Informationsminister war. Viele der heutigen Zeitungsherausgeber machten bereits damals als Journalisten in der staatlichen Einheitspresse üble Erfahrungen mit ihm. Zerhouni verfolgte mit eiserner Faust jede noch so kleine Abweichung von der reinen Linie.

Das Kabinett von Premierminister Ahmed Ouyahia will sich in den nächsten Tagen der Frage, in wie weit die Presse arabisiert werden muß, annehmen. An der Sprachumstellung in Verwaltung und Wirtschaft will Ouyahia auf jeden Fall festhalten. Freilich war weder die Nationalversammlung, die 1990 das Gesetz verabschiedete, noch die, die es 1996 wieder hervorkramte demokratisch gewählt worden. Jetzt wo es seit letzten Juni erstmals ein gewähltes Parlament gibt, will die Regierung die Arabisierung auf keinen Fall erneut zur Diskussion stellen.

„Diese Politik führt zur Spaltung der algerischen Bevölkerung“, beschwert sich die Vorsitzende der Arbeiterpartei (PT), Louisa Hanoune. Und Khalida Messaoudi, die Nummer zwei der Berberpartei RCD, wird noch deutlicher. Sie spricht von „offener Apartheid“. Reiner Wandler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen