: American Dream Dick
Dirk Diggler. Oder. Irrfahrten und Erlösung eines Helden ■ Von Marlene Streeruwitz
Ob es um Lachen geht. Um Grölen. Um Kichern. Um Grinsen. Um Sich-Zerkugeln. Häufig. Meist. Eigentlich immer, wenn dem nachgegangen wird, was so Unterhaltung zu nennen ist, umstehen wir den Phallus. Müssen uns um den Phallus scharen. Müssen beobachten, wie der endlich oder auch nicht dahin findet, wo er meint hinzugehören. Der Phallus. Eine ewige Don Quichotterie. Dessen drolligen Abenteuern. Dessen Erfolgen. Dessen Mißerfolgen alle Aufmerksamkeit gelten muß. Vor allem den Mißerfolgen. Im Mißerfolg darf gelacht werden. Über die Einrichtung Phallus des Vaters. Sich erhoben. Schadenfroh dem Vater Menschliches nachgewiesen werden. Allzu Menschliches. Im Lachen, Sichamüsieren ist dann jene Entlastungsfunktion verborgen, die das Weitermachen so einfach und logisch erscheinen läßt. Und politische Fragen an dieses Lachen und das damit Verschleierte lächerlich macht. Mittlerweile. Mittlerweile ja wieder. Vaudeville feiert nur zu ganz bestimmten Zeiten Triumphe. Und wir sind eben wieder einmal da angelangt.
Selten wird diese, so sehr abendländische Lach-Phallozentrik besser illustriert als durch den Film „Boogie Nights“. Selten amüsanter. Und selten affirmativer.
„Boogie Nights“ ist ein Heldenepos. Und wie alle Heldenepen die Geschichte einer Anpassung. Einer Einpassung in diesem Fall. Denn: Der Held in diesem Epos ist ein riesiger und leistungsfähiger Schwanz, an den ein junger Mann angeschlossen ist. Eddie Adams (Mark Wahlberg alias Marky Mark). High-School Drop-out. Untere Mittelschicht. Gläubiger Anhänger amerikanischer Glaubenssätze wie „Wenn du es wirklich willst, kannst du es schaffen.“ Oder: „Jeder erhält von Gott zumindest ein Talent.“ Eddies Talent ist sein Schwanz. Und der wird ihm seinen amerikanischen Traum erfüllen. Wie alle Helden in allen Epen ist er darin unerschütterlich. Er weiß erst nur noch nicht wie. Zu Beginn des Films ist Eddie deshalb noch Tellerwäscher. Aber Jack Horner (Burt Reynolds), Pornofilmer mit künstlerischen Ambitionen, wird ihm den Weg zeigen.
Wir dürfen an allen Entwicklungsstufen des Helden teilnehmen. Ja. Wir bekommen am Anfang die psychologischen Formeln geliefert, nach denen wir dann die Geschichte entschlüsseln können. Und verstehen. Verständnisvoll verstehen. Denn. Die Männer hatten es schwer. Auch in den sexbefreiten 70ern. Noch immer war kein Platz für den Sex der jungen Männer. Noch immer gab es die „you loser“ kreischende Mami, die vor sexuellem Neid rasend dem jungen Helden die identitätsstiftenden Poster von der Wand reißt. Und noch immer gab es den schwachen Papi, der mit dem Sohn mitleidet, zuhört, aber nicht eingreift. Unter solchen Umständen muß der junge Mann das Haus verlassen. Schließlich muß er sein Recht auf Sexualität verteidigen. Also geht er. Der Pornofilmer wartet ohnehin auf ihn. Und er wird es seiner Mami zeigen. Die wird schon sehen. Und außerdem wird sie für alles Häßliche, was passieren wird, verantwortlich gemacht werden können. Ätsch.
Die Mamis, die ihren Söhnen die Waffen verweigern wollen, die haben in den Heldensagen nie eine gute Rolle. Was hat sich Herzeleyde angestrengt, kein Schwert in der Nähe des kleinen Parzival herumliegen zu lassen. Aber. Die Welt ist voller Kriegsspielzeug. Irgendwann kommen die kleinen Kerle dahinter, wie es geht. Und weil sie es nicht gelehrt bekommen, die lieben Knaben. Weil die Mamis sich darin verweigern. Verweigern müssen. Denken wir an das gute alte Inzestverbot. Taumeln die Helden von einem mißglücken müssenden Versuch zum nächsten.
Eddie Adams jedenfalls befreit sich von der bösen Mutter und zieht zu einem guten Vater, dem Pornofilmvisionär. Und zunächst nimmt der amerikanische Traum freundlich konkrete Konturen an. Eddie benennt seinen Schwanz und sich in Dirk Diggler um und wird Superstar des Pornokinos der späten 70er Jahre. Und. Er bleibt dem amerikanischen Leistungscredo treu. Wenn er bei den Oscarimitaten von Pornofilmpreisverleihungen jedesmal verspricht, noch bessere Filme zu machen und alle anderen ebenfalls auffordert, sich doch zu bemühen, dann ist er schon in dem Laufrad gefangen, das ihm zum Verhängnis werden wird.
Denn. Der amerikanische Traum. Der ist teuer. An allen Substanzen. Der kostet am Ende auch die Potenz. Denn der Held, der nicht brav immer schneller im Laufrad mitläuft, sondern trinkt und kokst und glaubt, unersetzlich zu sein, der muß aus dem Paradies hinaus. Der muß alleine herausfinden, wie es nicht geht. Im Scheitern. Natürlich.
„Boogie Nights“ wird, wie es sich für ein Epos gehört, allwissend erzählt. In diesem Fall sogar mehrwissend. Denn wir bekommen den Helden, Eddie Adams Schwanz Dirk Diggler, nicht zu sehen. Wir sehen nur immer, wie andere ihn sehen. Wie Jack Horner oder der Colonel oder der Kameramann ihn sehen. Wie sie in tagträumerische Ekstase verfallen. Die Augen bedeutungsvoll verdrehen. Schließen. Oder rollen. Die Männer im Publikum der Pressevorführung kichern auf. Und da stehen wir dann endgültig wieder um den Schwanz geschart. In dem Nichtsichtbarwerden des guten Stücks werden wir auf unsere eigenen Phantasien oder Bilder verwiesen. Männer, nehme ich an, auf ihren eigenen Schwanz. Und so bringt es „Boogie Nights“ dann auch noch mühelos in der Vermittlung von Pornogeschichte fertig, selbst ein Porno zu sein. Ohne noch etwas zeigen zu müssen. Diese Bilder sind ja längst gespeichert. Müssen nur abgerufen werden.
In dieser Geschichtsvermittlung bleibt „Boogie Nights“ im Abbilden. Das ist witzig, wenn eine nicht so lange zurückliegende Zeit in all ihrer exotischen Seltsamkeit ersteht. Das ist konventionell, wenn die Figurenzeichnung über die Geschlechterklischees nicht hinauskommt. So sind alle Frauen, hübsch. (Nur die Mami nicht.) Ein paar der hübschen Dinger werden sterben müssen. Koksüberdosis. Die Männer sind durchgehend häßlich oder alt und dadurch individuell gezeichnet.
Aber na gut. Ein Porno kann nur patriarchal restaurativ sein. Eine Heldensage ist das in jedem Fall. Die Heldensage eines Pornostars muß das zur Potenz erfüllen.
Und noch ein patriarchales Phänomen wird in „Boogie Nights“ besonders schön gezeigt. Das Männerkomitee. Im Film scharen sich um den Surrogatvater Pornoregisseur Jack Horner der stoische Kameramann, der geldbesorgende, kinderschändende Colonel, Produzent Little Bill. Sie verstärken den patriarchalen Blick auf Eddie, respektive seinen Schwanz. Sie sind die Gruppe von Männern, die Onkel, die das Patriarchat in die Tat umsetzen. Die Männer, die einmal in Gummistiefeln Menschen aus ihren schlammverschütteten Häusern ausgraben. Die, die den Boxer in der Garderobe besuchen. Vor dem Kampf. Die, die am Konferenztisch die Fusion beschließen. Und die Entlassungen. Die, die den Blechwannentisch der Folterung umstehen. Und immer ist es ein unpersönlich beobachtender Blick, den sie auf die Objekte ihrer Aufmerksamkeit richten. Eine Art Kennerblick. Ein Blick des „Es muß so sein“. Erbarmungslos. Und ohne große Emotion. Die Mitjäger.
Dieses Männerkomitee wird bis zum Ende des Films als Verstärkung der Vaterfigur Jack Horner auftreten. Little Bill wird seine überall und jeden fickende Frau, deren Liebhaber und sich erschossen haben. Aber dann kommt eben ein neuer Onkel. Der Colonel wird im Gefängnis sitzen. Wegen seiner Geschichten mit den sehr jungen Mädchen. Und im Gefängnis häßlich behandelt werden. Aber. Der neue Geldgeber ist schon lange da. Und das Komitee hat ja auch gleich einen anderen Pornostar, wenn es mit Eddie nicht mehr so läuft. Oder steht. Und den neuen Schwanz sehen sie mit dem gleichen Blick unverwandt an. Diese Unbeweglichkeit ermöglicht es dramaturgisch, Jack Horner als Figur plastisch zu entwerfen. Die patriarchale Schmutzarbeit der Zwänge kann an die Konstanz dieser Gruppe delegiert werden. Jack Horner bleibt so der sympathische Kerl, der mehr im Leben will.
Natürlich sehen wir weder den Vater noch die Onkel intim. Während alle, vor allem die Frauen, rundherum ficken und dabei gezeigt werden, bleiben die Agenten des Patriarchats sexuell ungefordert. Unangetastet. Sauber. Die Hierarchie wird einmal mehr bestätigt. Der Vater hat alle Rechte, und er muß keine Nachweise dafür bringen. Etwa in Form sexueller Leistungsfähigkeit. Und die Onkel schirmen ihn ab. Der Fürst und seine Vasallen. Der Jäger und seine Gehilfen. Der Vorstandsvorsitzende und sein Vorstand. Der Papst und die Kurie. Wie unsere Welt halt so organisiert ist.
Die dramatische Spannung bezieht „Boogie Nights“ aus dem Bruch zwischen zwei Zeiten. Aus einer Zeitenwende, durch die die Werte verdreht werden. Zeitenwenden wie die Erfindung des Schießpulvers, des Buchdrucks, die Erfindung von Viagra haben hier im Siegeszug des Video ihre Entsprechung. Der technische Fortschritt zerstört einmal mehr die zarte Pflanze edle Phantasie. Jack Horner muß die teuren Handlungspornos, seine Pornoantwort auf James Bond, die Serie Brock Landers, aufgeben und in die billigere und krudere Videoproduktion einsteigen. Die 80er haben begonnen. Die 80er, die die Wahrheit über das Geld ans Tageslicht brachten. Die lassen Ernüchterung ausbrechen. Und keiner kann etwas dafür.
Endgültig affirmativ wird es dann, wenn sich zeigt, daß Auflehnung gegen das Schicksal nichts bringt. Alle Figuren versuchen das irgendwie. Horner will keine Videos machen. Eddie versucht sich als Sänger. Als Stricher. Als Räuber. Amber (Julianne Moore) möchte wieder Mutter sein. Rollergirl (Heather Graham) will mit Horner Filmgeschichte machen und gerät nur an ihr High-School- Ekel. Nichts gelingt. Erst in der Videoproduktion finden sich alle wieder und nehmen die Handlungsfäden da wieder auf, wo sie vor ihren Ausbruchsversuchen gewesen waren. Und die Idylle kann wieder beginnen. Oder weitergehen. Der Vater ist wieder der Vater. Die Onkel gruppieren sich um ihn. Die Frauen lächeln wieder. Etwas weh. Und Rollergirl wird ihren High-School-Abschluß nachholen. Eddie darf sich ein Zimmer mit ihr teilen. Eigentlich hätte er auch zu Hause bleiben können. Da hatte er sogar ein eigenes Zimmer. Und – sehr amerikanisch, sehr moralisierend – alle haben etwas gelernt. Haben sich dem Gelernten gebeugt, passen sich an. Fröhlich so.
Spätestens da gibt es Entzugserscheinungen bezüglich Gesellschaftsrelevantem. So viele einzelne so brav in einem Gesamten beim Funktionieren beobachten zu dürfen? Die Pornotangente reicht bei soviel historisierender Nostalgie nicht aus, die süßliche Einseitigkeit zu verdecken. Aber das ist so. Beim kapitalistischen Realismus. Da herrscht gnadenlose Anpassung. Ein bißchen sentimental. Moralisierend rührend an manchen Stellen. Sehr gut gemacht. Und sehr unterhaltsam in der auch wieder gnadenlosen Heterosexualität. Aber da sind wir wieder am Anfang angelangt. Zufrieden lächelnd kann das Kino verlassen werden. Männer und Frauen haben sich brav grinsend um den Phallus geschart. Ein Märchen mehr wurde erzählt. Wie es sein hätte können. Und es wurde nur ein bißchen gelogen. Denn. So nett wird das alles nicht sein können. So reizend. So sauber. Das Pornogeschäft. Und so harmlos. Aber vielleicht muß man Paul Thomas Anderson (Buch & Regie) gerade diese Phantasie hoch anrechnen. Immerhin handelt es sich um ein sanftes, sensibles Patriarchat. Patriarchat schon. Aber. Wie gesagt. Kapitalistischer Realismus ist Verkaufshilfe. Auch von sich selbst. Und ein Heldenporno. Der kann gar nicht anders.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen