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Klassenfahrt ins Ungewisse

Eine Überfallserie auf Schulausflügler in Brandenburg versetzt die Hauptstädter in Angst. Berlin debattiert den Sinn von Klassenfahrten. Und der Innenminister des Nachbarlandes rät: Nicht ohne Handy in die Wallachei  ■ Von Barbara Bollwahn

Berlin (taz) – Sie will den Teufel nicht an die Wand malen. Aber das Dutzend an Angriffen, die Berliner Schüler im Umland der Großstadt erlebten, kann Annemarie Füger nicht ignorieren. Also geht die Berliner Grundschullehrerin am Montag mit gemischten Gefühlen auf Klassenfahrt. Unter den 18 Sechstkläßlern der Integrationsklasse, mit denen sie in der Nähe der Belziger Landschaftswiesen den Schulstreß vergessen will, sind ein türkisches Mädchen und lern- und körperbehinderte Kinder. Bevorzugte Opfer gewalttätiger Rechtsextremer in Brandenburg.

„Eigentlich kann man nicht mehr fahren“, sagt sich die Lehrerin nach „Heil Hitler“-Grüßen, Pöbeleien und Schlägen gegen Berliner Schüler und Abiturienten in den letzten Wochen. Dennoch tritt sie die Reise entschlossen an. Denn „man muß dem etwas entgegensetzen“. Doch Annemarie Füger weiß auch: „Bei mehr ausländischen Schülern in der Klasse würde ich das nicht machen.“

An den Berliner Schulen wird eine heftige Diskussion darüber geführt, ob man noch nach Brandenburg fahren kann, dem Bundesland, das nach dem jüngsten Verfassungsschutzbericht den Spitzenplatz bei rechtsradikalen Straftaten bundesweit einnimmt. Der Rektor der Borsig-Realschule in Kreuzberg, Roland Merkel, hat nach dem letzten Überfall auf Schüler seiner Schule Ende Mai Konsequenzen gezogen: Wie andere Schulen hat er sämtliche Fahrten ins Umland gestrichen.

„Der Grund ist ganz einfach Angst“, sagt der Rektor. Am 25. Mai hatte eine Clique Einheimischer einen türkischen Schüler an einer Bushaltestelle bei Rheinsberg angegriffen. Sie schlugen ihn mit dem Kopf gegen einen Bus. Ein dunkelhäutiger Mitschüler bekam Fäuste ins Gesicht. Nach einer weiteren Attacke hatte der Lehrer die Fahrt der Siebtkläßler abgebrochen. Das ist bereits der zweite Vorfall, den Borsig-Schüler erlebt haben. Ein Jahr zuvor waren nach Angaben des Rektors türkische Schülerinnen beim Besuch des KZ Sachsenhausen von Einheimischen angepöbelt worden. Mit der gebotenen Vorsicht, zur Erkundung gewissermaßen, sind derzeit wieder zwei Klassen der Schule im Umland unterwegs.

Beim Berliner Landesschulamt wurden im letzten halben Jahr 10 bis 15 Fälle angezeigt. Die Schulverwaltung rät trotzdem weiterhin zum Ausflug ins Brandenburgische. „Wir können den Rechtsextremisten doch nicht einfach das Feld überlassen“, meint die Sprecherin der Berliner Schulbehörde, Rita Hermanns.

Der Betreiber des Feriendorfes „Dorado“ bei Ruhlsdorf (Barnim), in dessen Nähe Ende Mai Berliner Schüler beim Grillen von 20 bis 30 Jugendlichen mit dem Ruf „Berliner raus!“ überfallen worden waren, fordert Lehrer auf, weiterhin in den Berliner Grüngürtel zu kommen. „Diejenigen, die gerne ins Umland fahren, sollen beherzt sein und das weiter tun“, sagt Winfried Mikeska. Der Anteil Berliner Schulklassen unter seinen Feriengästen liegt bei 70 Prozent. Mikeska versichert, daß in seinem Feriendorf das „Bestmögliche“ für die Sicherheit getan werde. Eine Garantie könne er aber nicht geben. „Das kann keiner.“ Wer die offiziellen Campingplätze nutze, habe „Ruhe und Frieden“. Mikeska ist dagegen, das Feriendorf in ein „Ghetto“ zu verwandeln, das „einlädt, Grenzen zu überschreiten“. Genausowenig setzt er allein auf Landesregierung und Polizei. „Jeder steht in der Verantwortung.“ Die Anlässe für die Auseinandersetzungen sind oftmals schwer nachzuvollziehen. Ein 17jähriger, gegen den die Staatsanwaltschaft Neuruppin wegen des Überfalls auf die beiden Schüler der Kreuzberger Borsig- Schule vor wenigen Tagen Haftbefehl erließ, hat seine Motivation mit den Worten begründet, der farbige Jugendliche habe ihn „so angeschaut“. Der türkische Jugendliche habe ihm zudem den erhobenen Mittelfinger gezeigt.

Das Brandenburger Innenministerium kann besorgten Berliner Lehrern oder Eltern keine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen: „Das muß jeder für sich beurteilen“, sagt der Sprecher Manfred Füger. „Man kann niemandemsagen, fahrt unbesorgt da hin.“ Der Pressesprecher rät den Lehrern zumindest, nicht ohne Handy „allein in die Wallachei“ zu fahren. Desweiteren appelliert Füger, Anzeigen sofort und vor Ort zu erstatten. Es sei zwar verständlich, daß Betroffene sofort nach Hause wollten. Doch „je früher ein Vorfall gemeldet wird“, so Füger weiter, „um so größer ist die Möglichkeit der Aufklärung“.

Füger verweist auf die Tätigkeit der im Februar gegründeten „Mobilen Einsatzgruppe gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit“ (MEGA). „Doch die können auch nicht überall sein“, merkt der Pressesprecher an. Ziel von MEGA ist es, Gewalt vor Ort zu bekämpfen und in der Szene präsent zu sein – ein Ansatz, dem der Verfassungsschutz durchaus positiv gegenübersteht. Viel schwieriger hat es dagegen das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, das im Mai vergangenen Jahres mit dem Ziel ins Leben gerufen wurde, Menschen zu erreichen, die wegsehen, und Strategien zur Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas zu entwickeln. Das Bündnis aus Kirchen, Gewerkschaften und Landessportbund wurde in der Vergangenheit mehrfach als „Feigenblatt“ der Landesregierung kritisiert. Vor wenigen Tagen hat der Vorsitzende Leopold Esselbach Anlaufschwierigkeiten eingeräumt. Niemand könne erwarten, daß ad hoc die Zahlen der Übergriffe zurückgingen. Das Anliegen, „vor Ort mit denen zu sprechen, die solche Diskriminierungen dulden“, sei nicht in Zahlen meßbar.

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