: Caesar, Comics, Cicero
Die lateinische Sprache ist „schwierig“, aber ist ihr Erlernen auch nützlich? Über Pro und Contra des Lateinunterrichts informiert ■ Christine Holch
„Delirant isti Romani.“ Die spinnen, die Römer. Asterix auf lateinisch gehört zu den Schman-kerln des Lateinunterrichts. Das macht es Eltern und Kindern aber auch nicht leichter, sich am Ende der 6. Klasse für oder gegen Latein als zweite Fremdsprache zu entscheiden – Latein gilt als schwierig. Es gibt zwar gängige Urteile über die Vorzüge, aber die täuschen zum Teil, meint Detlev Kahl. Er ist Referent für die Gestaltung fremdsprachlichen Unterrichts bei der Schulbehörde und selbst Lateinlehrer.
„Latein braucht man fürs Studium“, ist solch ein gängiges Kriterium. Wer GymnasiallehrerIn werden will für Englisch oder Deutsch, muß tatsächlich an vielen Unis das kleine Latinum vorweisen. Doch für Jura sind, außer in Bayern, fast nirgendwo Lateinkenntnisse erforderlich. Und für Medizin ist das Latinum zwar von Nutzen, aber nicht vorgeschrieben. Soll die Elfjährige sich also mit Latein plagen, nur weil sie, seit sie den Hamster hat, Tierärztin werden will? Nachholen läßt sich das Latinum immer noch – auch wenn es dann „ein ziemlicher Schlauch“ ist.
Da steht schon das nächste Argument parat: Latein hilft beim Erlernen anderer Sprachen. „Das stimmt nicht in dem Sinn, wie es oft verstanden wird“, sagt Detlev Kahl. Über Eselsbrücken könne man sich zwar ähnliche Wortstämme in romanischen Sprachen erschließen, aber dann könnte das Kind auch gleich Spanisch lernen. Daß sich LateinschülerInnen später tatsächlich mit modernen Fremdsprachen etwas leichter tun, liege vor allem daran, daß sie vorher „ganz schön dicke Bretter gebohrt haben“.
Aber Fremdwörter versteht man doch viel besser! Nun ja, sagt der Fremdsprachen-Referent, bei „deprimiert“ sei das ja noch vorstellbar: deprimere = zusammendrücken. Aber wer denkt schon bei „konfus“ an das lateinische konfundere = zusammengießen?
Dafür schult Latein das logische Denken – diesem Argument wird er doch wohl zustimmen? „Das stimmt und stimmt auch nicht“, Kahl wiegt den Kopf. Latein schule das sprach-logische Denken. Einen juristischen Text auf seine Bedeutungsmöglichkeiten hin abzuklopfen, das gelinge Lateinern wohl leichter. Latein also als Hilfsfach für Textarbeit im allgemeinen. „Und wir gehen doch dauernd mit Texten um.“ Im Lateinunterricht, und das sei sein wirklich nützlicher Aspekt, setze man sich mit einer Modellsprache auseinander. „Da kann man sehen, was Sprache kann, und wo man selber interpretieren muß.“
Aber lohnt das den Aufwand von vier Jahren bis zum kleinen Latinum? „Wenn Sie eine Kompetenz erwerben, nämlich den Umgang mit schwierigen Texten, und dazu Kenntnisse über die Kultur, auf der wir beruhen, dann lohnt der Aufwand“, meint Detlev Kahl entschieden. Schließlich seien die Texte ja inhaltlich nicht ohne: Fast alle großen Menschheitsprobleme wurden in der Antike vorgedacht, zum Beispiel der Widerspruch zwischen Grundrechten und Staatsräson.
Vor jedem Nachdenken über Nutzen und Nutzlosigkeit von Latein sollten sich Eltern jedoch diese Frage stellen: Wofür ist mein Kind eigentlich besser geeignet? Während man Französisch lernt, um in der fremden Sprache kommunizieren zu können, redet man im Lateinunterricht nicht in der Sprache, sondern über sie, also vor allem über ihre grammatische Struktur.
Möchte das Kind sich vor allem mitteilen, und das auch in einer fremden Sprache, oder spricht es gar nicht so gern in der Fremdsprache, tüftelt dafür um so lieber in Ruhe über einem Text? Das spräche für Latein, da das eine durchnormierte und stilisierte Sprache ist, die sich nicht so leicht erschließt wie eine moderne Fremdsprache.
Latein ist „schwierig“, gibt Detlev Kahl unumwunden zu. Immerhin ist der Unterricht heute spannender als vor 20 Jahren: Das reine Übersetzen wurde zurückgedrängt zugunsten des Sprechens über Inhalte. Und Caesar ist nicht mehr „der“ Autor. Statt dessen liest man auch Texte über das römische Alltagsleben. Oder Senecas Gedanken über das Massenphänomen Sportplatz (Gladiatorenkämpfe!). Und in der Oberstufe hat Kahl auch schon mal die Pillen-enzyklika des Papstes übersetzt – „aber die war sauschwer“.
Eltern sollten sich also auch fragen, ob ihr Kind gerne eintaucht in die Geschichte, in ganz fremde Welten. Schließlich sollen LateinschülerInnen schon im dritten Jahr klassische Autoren lesen – „und das sind keine Jugendbuchautoren, sondern hochstilisierte Texte, zum Beispiel von Cicero“.
Latein liegt mit Mathematik ganz vorn in der Nachhilfestunden-Statistik. Beide Fächer verlangen eben einen gewissen Abstraktionsgrad, und beide haben recht Fremdes zum Gegenstand. Die Argumente für Latein überzeugen daher immer weniger Eltern: Bundesweit sinkt seit Jahren die Zahl der LateinschülerInnen. In Hamburg dagegen sind die Zahlen „ziemlich stabil“, sagt Kahl: Etwa 25 Prozent entscheiden sich für Latein, die anderen für Französisch. „Latein hat im Moment sogar einen ganz leichten Aufwind.“ Das freut den Lateinlehrer, erklären allerdings kann er es sich nicht.
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