: Kein Respekt vorm Naturpark
Trotz gesetzlichen Schutzes sind Nagelrochen und Stör schon aus den Wattenmeeren verschwunden. WWF beklagt störende Eingriffe des Bundes ■ Aus Hamburg Sven-Michael Veit
Sie surfen und segeln, sie schießen mit Granaten und bohren nach Erdöl, sie düsen mit Motorbooten hindurch und mit Militärjets darüberweg. Touristen, Energiekonzerne und die Bundeswehr sind die natürlichen Feinde der fünf deutschen Küsten-Nationalparks an Nord- und Ostsee. Diese „bittere Bilanz“ veröffentlichte der World Wide Fund For Nature (WWF) in Hamburg zum heutigen Internationalen Tag des Meeres.
„Gravierende Mängel“ in der Umsetzung von Naturschutzrecht offenbart die 32seitige Studie über „Bilanz und Perspektiven“ der Küsten-Nationalparks, die der WWF ausarbeiten ließ. Anspruch und Wirklichkeit klafften erheblich auseinander, beklagt WWF-Geschäftsführer Georg Schwede. Viele Tiere wie die Kegelrobbe, die Zwergseeschwalbe oder der Schweinswal in Nord- und Ostsee sind stark bedroht; Stör und Nagelrochen, Armleuchteralge und Baltischer Enzian sind bereits ausgestorben. Selbst in den besonders geschützten Kernzonen lassen Campingplätze in den Dünen, an Seehundbänken vorbeibretternde Schnellfähren und militärische Tiefflüge über Vogelrastgebieten keine ungestörte Entfaltung der Tier- und Pflanzenwelt zu.
Die Studie untersucht den faktischen Zustand der Ostsee-Nationalparks Jasmund (östlich der Insel Rügen) und Vorpommersche Boddenlandschaft (zwischen Rügen und dem Darß) in Mecklenburg-Vorpommern sowie der drei Wattenmeer-Schutzgebiete an der Nordsee, die zwischen den Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen geteilt sind. Überall, so der WWF, fehle „der Respekt vor der Natur“ und „der politische Wille, sie nachdrücklich zu schützen“.
Im Nationalpark Schleswig- Holsteinisches Wattenmeer zwischen Sylt und Elbe kommen weitere extreme Bedrohungen hinzu: Die Erdölförderung durch den Energiekonzern DEA/RWE und Schießübungen der Bundeswehr sind, so Hans-Ulrich Rösner, WWF-Projektleiter Wattenmeer, „mit Sinn und Zweck von Naturschutz nicht vereinbar“. Die Verantwortung dafür liege in den meisten Fällen bei der Bundesregierung, die häufig mit Ausnahmeregelungen die Landesnaturschutzgesetze unterhöhle.
So erließ der Bundesverkehrsminister eine neue Befahrensregelung für Motorboote, wonach im Flachwasserbodden vor Darß und Zingst wieder gerast werden darf – „mitten im Rastgebiet von 40.000 Kranichen“, empört sich Alfred Schumm, Projektleiter Ostsee beim WWF. DEA/RWE bohrt nach Bundesbergrecht, die Bundeswehr ballert und jettet „im nationalen Interesse“, wie es die Bonner Hardthöhe definiert.
Um die Natur, „die noch da ist“, dauerhaft zu sichern, müßten all diese Gefährdungen umgehend beseitigt werden, fordert der WWF. Die vier zuständigen Bundesländer Hamburg, Schleswig- Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern sollten außerdem in die Betreuung der Touristen investieren. 95 Prozent der Deutschen wünschen sich mehr Nationalparks, das ergab eine repräsentative Umfrage der MeinungsforscherInnen von Emnid für den WWF. Jeweils rund drei Viertel dürstet es nach „mehr naturkundlichen Informationen, Lehrpfaden und Info-Zentren“. Die Touristen seien „interessiert an intakter Natur“.
Sie bringen zudem viel Geld in diese Regionen, doch betreut werden sie kaum. Im 240.000 Hektar großen niedersächsischen Wattenmeer-Nationalpark betreuen gerade mal sechs Angestellte die Besucher und sichern die Ruhezonen der Tiere. Im hamburgischen Teil rund um die Insel Neuwerk vor Cuxhaven arbeitet nur eine „Rangerin“. Stoßseufzer über „die Haushaltslage, Sie verstehen“, dringen auf Nachfrage aus den Umweltministerien in Hamburg, Hannover und Kiel. Im Prinzip aber, versichert Wolfgang Götze, Sprecher des schleswig-holsteinischen grünen Umweltministers Rainder Steenblock, „spricht der WWF uns aus dem Herzen“.
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