Schmerz und Trauer überdecken alles

Nach der ICE-Katastrophe von Eschede wurden Notfonds für Angehörige eingerichtet. Doch finanzielle Ansprüche werden bis jetzt kaum angemeldet. Das wird sich aber bald ändern, glauben die Experten  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Jeweils eine Million Mark haben die Deutsche Bahn AG, der Bund und die Länder Bayern und Niedersachsen gleich nach dem Zugunglück von Eschede zur Verfügung gestellt, damit den Opfern der Katastrophe und deren Angehörigen zumindest finanziell unbürokratisch geholfen werden kann. Und Dietmar Langer, der im Sozialministerium in Hannover das Telefon der „Opferhilfe Eschede“ betreut, soll eigentlich vor allem für die Weiterleitung des niedersächsischen Hilfsgeldes sorgen. Doch bisher haben unter der Telefonnummer der Opferhilfe Eschede vor allem trostsuchende Angehörige angerufen.

Da habe man dann einen verzweifelten Vater am Telefon, der bei dem Unglück seine Frau und zwei Kinder verloren habe und einfach jemanden zum Reden brauche, sagt Dietmar Langer. Noch am vergangenem Freitag hätten Angehörige, die Gewißheit über das Schicksal ihrer Verwandten suchten, in ihrer Not jede Stelle angerufen, von der sie sich irgendwie Hilfe erhofften.

Über die ersten Anträge auf finanzielle Unterstützung werde man erst heute entscheiden, sagt der Beamte aus dem Sozialministerium. Dabei gehe es um Kosten für die Überführung der Opfer oder auch um Reise- und Hotelkosten für Angehörige, deren Kinder oder Eltern hier in Hannover im Krankenhaus liegen. „Schmerz und Trauer überdecken bei allen noch die finanziellen Probleme, die eine solche Katastrophe für die Opfer oder deren Angehörige mit sich bringt“, sagt auch die Sprecherin des niedersächsischen Sozialministeriums.

Für Ministeriumssprecherin Andrea Weinert bedeutet das aber nicht, daß eine finanzielle Soforthilfe überflüssig ist. Natürlich seien die allermeisten finanziellen Schäden durch Versicherungen abgedeckt, sagte Weinert.

Doch auch berechtigte Ansprüche seien in der Regel nicht sofort durchsetzbar. Die finanzielle Soforthilfe solle die Zeit bis zur endgültigen Schadensregulierung überbrücken.

Inzwischen vermittelt das Sozialministerium auch die Adressen von Rechtsanwälten, die die Opfer kostenlos rechtlich beraten und ihnen bei der Durchsetzung ihrer Schadenersatzansprüche helfen wollen. Die Rechstanwälte haben sich wie andere Bürger, die von sich aus Hilfe anbieten, von sich aus im Sozialministerium gemeldet.

Natürlich übernimmt auch die Deutsche Bahn AG, die in Hannover ebenfalls nach dem Unglück vier Beratungstelefone geschaltet hatte, für Angehörige Reise- und Übernachtungskosten.

Zu dem Staatsakt, der Anfang der nächsten Woche in einer Kirche in Celle stattfinden soll, wird die Bahn die Angehörigen der Opfer einladen. Endgültig steht der Termin für diesen Staatsakt, bei dem nach den bisherigen Planungen Bundespräsident Roman Herzog sprechen soll, noch nicht fest. Zunächst müsse die Identifizierung der 98 Opfer abgeschlossen sein, heißt es in der Staatskanzlei in Hannover.

Den Unglücksort bei Eschede werden allerdings schon bald wieder Züge passieren. Die Gleise dort waren schon gestern einigermaßen wiederhergestellt.

Allerdings durchsiebten an der Unglücksstelle immer noch Helfer das Erdreich, um keinen Gegenstand und keine Spur verlorengehen zu lassen. Mit der Wiederaufnahme des Zugbetriebs auf der ICE-Strecke rechnet die Polizei für heute nachmittag und Mittwoch morgen.