: Die Wende kommt – im Westen
Arbeitslosenzahlen gehen im Vergleich zum Vorjahr zurück – aber nicht überall. In den südwestlichen Bundesländern gibt es mehr Jobs, im Osten weniger ■ Von Barbara Dribbusch
Berlin (taz) – Die Zahlen sind auf den ersten Blick so erfreulich für die Bundesregierung, daß sie von Arbeitgebervertretern und CSU-Politikern schon am Montag ausgeplaudert wurden: Im Mai sank die Gesamtzahl der Arbeitslosen in Deutschland erstmals seit August 1995 wieder unter den Wert des Vorjahresmonats. Daß weniger Menschen beim Arbeitsamt vorsprachen, ist im Westen auf die günstige Auftragslage in der Industrie zurückzuführen. Im Osten sorgten die befristet aufgelegten ABM-Stellen und Zuschußprogramme für die mildere Statistik.
Rein saisonal bedingt war im Mai ein Rückgang der Arbeitslosenzahlen gegenüber dem Monat April zu erwarten. Was die Koalitionspolitiker jedoch schwärmen läßt, ist die Verminderung gegenüber dem Vorjahresmonat Mai 1997. Im Vergleich zum Mai vergangenen Jahres gab es diesmal 58.300 Arbeitslose weniger – der erste positive Trend dieser Art seit fast drei Jahren. Die Arbeitslosenquote sank gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,2 Prozentpunkte auf 10,9 Prozent. Gegenüber April 1998 ging die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland um 223.000 auf 4,197 Millionen zurück, teilte die Bundesanstalt für Arbeit (BA) gestern mit.
„Das Zünden des Investitionsmotors und die Schaffung von Arbeitsplätzen gehen jetzt Hand in Hand“, jubelte Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP). „Das ist nicht nur eine Trendwende, das ist der arbeitsmarktpolitische Durchbruch, den wir erleben“, frohlockte Josef Siegers, Arbeitgebervertreter in der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Die Wende findet aber nur im Westen statt – in bestimmten Regionen.
In den alten Bundesländern registrierten die Arbeitsämter im Vergleich zum Vorjahresmonat 119.000 weniger Erwerbslose. In den neuen Ländern hingegen zählten die Arbeitsämter 60.500 Erwerbslose mehr als im Mai 1997. Im Westen entwickelten sich zudem die regionalen Arbeitsmärkte sehr unterschiedlich, hieß es bei der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Die sogenannte konjunkturelle Belebung kam vor allem den Industriejobs in den südlichen Bundesländern zugute. In Baden- Württemberg und Bayern ging die Arbeitslosigkeit binnen Jahresfrist überdurchschnittlich stark zurück, nämlich um sieben bis neun Prozent. Ungünstiger dagegen war die Entwicklung in Schleswig-Holstein und Berlin.
Die Arbeitslosigkeit in den vielbeschworenen Dienstleistungsberufen nahm zu. Insgesamt registrierten die Statistiker im ersten Vierteljahr 1998 jedoch einen leichten Anstieg der Beschäftigten im Westen.
Die Aufstockung bei AB-Maßnahmen und anderen Zuschußprogrammen spielte in der West-Statistik für den Monat Mai keine entscheidende Rolle. Anders im Osten: Dort waren im Mai im Vergleich zum April insgesamt 38.000 Menschen mehr in AB-Maßnahmen oder den sogenannten Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) beschäftigt, also in Lohnkostenzuschußprogrammen.
Die Arbeitsmarktpolitik wurde zu dieser Jahreszeit „wesentlich stärker als in den letzten Jahren" ausgeweitet, hieß es bei der Bundesanstalt für Arbeit. Bündnis 90/ Die Grünen sprachen von einem „durchschaubaren Schachzug“, vor der Wahl die AB-Maßnahmen vor allem im Osten hochzufahren.
Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnete den Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Mai als „sehr erfreuliche Entwicklung“. Es zeige sich, daß die Reformen greifen. Nach einem Wirtschaftswachstum im ersten Quartal von 3,8 Prozent, der höchsten Wachstumsrate seit der Wiedervereinigung, sei er sicher, daß die Quote bis zum Jahresende eher bei drei als 2,5 Prozent liegen werde.
Auch vor der Bundestagswahl 1994 hatten sich die Arbeitsmarktzahlen in den Monaten vor dem Wahltermin verbessert (siehe Graphik). Während zuvor die SPD in der Wählergunst vorne lag, hatte sich die Stimmung dann zugunsten der Regierung gewandelt. Barbara Dribbusch
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