: Sex-Anzeige mit Folgen
■ Frau erlitt Nervenzusammenbruch / Aussage vor Amtsgericht blieb ihr erspart – vor Berufungsgericht nicht
„Unerfahrenes Au-pair-Mädchen sucht erotisches Abenteuer – gern mit älteren Männern.“ Die Anzeige, die im Oktober 1994 in dem Kontaktanzeigenblatt „privat mit Herz“ geschaltet wurde, trieb eine damals 21jährige Frau zur Verzweiflung. Unzählige Männer klingelten an ihrer Haustür. Die Frau erlitt einen Nervenzusammenbruch und zog aus ihrer Wohnung aus. Ihr Ex-Freund wurde im März vom Amtsgericht wegen Beleidigung und Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 7.200 Mark verurteilt. Das Gericht hielt es für erwiesen, daß er die Anzeige aufgegeben hatte. Doch während der Frau in erster Instanz die Aussage vor Gericht erspart blieb, muß sie jetzt in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht erscheinen und ihrem mutmaßlichen Peiniger unter Umständen in die Augen sehen. Der Verteidiger des 27jährigen Mannes hat in der gestrigen Berufungsverhandlung darauf bestanden, die Frau zu laden. Obwohl der Richter die Frau lieber „geschont“ hätte, konnte er dagegen wenig ausrichten. Nach Paragraph 244 der Strafprozeßordnung kann ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn er unzulässig ist, nachweislich der Prozeßverschleppung dient oder offenkundig überflüssig ist.
„Du mußt mir Deinen Saft in den Mund spritzen, denn nichts ist geiler als Sperma zu schlucken“, hatte der Angeklagte nach Auffassung des Amtsgerichtes an die Männer geschrieben, die auf die Anzeige geantwortet hatten. Der Brief mit der vollständigen Adresse seiner Ex-Freundin war auf dem fotokopierten Bild einer nackten Frau abgefaßt. Der Angeklagte läßt durch seinen Anwalt erklären, daß er die Tat nach wie vor bestreite. Das Amtsgericht hatte ihn seinerzeit aufgrund einer „geschlossenen Indizienkette“ verurteilt. Die Speichelprobe auf einen Briefumschlag an einen der Männer, die auf die Anzeige geantwortet hatten, stammt laut Gutachten zu 97 Prozent von dem Angeklagten. Auch eine Schriftprobe kommt zu dem Schluß, daß er mit hoher Wahrscheinlichkeit den Auftrag an den Verlag geschrieben hat. Darüber hinaus wurden in seiner Wohnung drei Briefe von Männern gefunden, die auf die Anzeige geantwortet hatten. Auch ein Antwortschreiben des Verlages wurde sichergestellt.
Warum der Angeklagte trotz dieser „dichten Indizienkette“ den Prozeß weiterführen wolle, will der Richter wissen. Auf dem Briefumschlag sei noch eine weitere Probe gefunden worden, argumentiert der Verteidiger. Das könne auch der Fingerabdruck einer Dritten Person sein, die den Brief in der Hand gehalten habe, entgegnet der Richter. Die Frau hätte seinerzeit zwei Männer im Verdacht gehabt, so der Verteidiger weiter. Sie müsse gehört werden, um herauszufinden, wer der zweite Mann sei. „Und der soll dann auch am Briefumschlag geleckt haben?“ fragt der Richter sichtlich gereizt. Selbst wenn die Frau den zweiten Mann angebe, würde „die Indizienkette“ nicht reißen, meint auch die Staatsanwältin. Er hätte die Frau eigentlich „schonen“ wollen, versichert der Verteidiger. Aber wenn das Gericht „keine andere prozessuale Möglichkeit“ (einen Freispruch aufgrund von Zweifeln) in Betracht ziehe, sehe er keinen anderen Ausweg. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, muß sein Mandant nicht nur 7.200 Mark Geldstrafe , sondern auch die Verfahrens- und Gutachterkosten von mehreren Tausend Mark zahlen. Die Staatsanwältin kann dem Verteidiger nicht folgen: „Von Schonung kann man nicht sprechen. Das wird doch jetzt alles wieder hochgekocht.“ Der Prozeß wird fortgesetzt kes
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