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Die zwei Seiten der Migration

Deutsche in der Türkei, Türken in Deutschland – eine Fotoausstellung in Essen. Bilder zum Leben in wohlhabenden Istanbuler Vierteln und in deutsch-türkischen Freundschaftsclubs  ■ Von Andreas Milk

Der Mercedesstern steht über der polierten Motorhaube; in ihr spiegeln sich Gesichter mit dunklen Schnurrbärten – „Türkentraum“ nennt mild-ironisch der Fotograf sein Bild: Nobelkarosse als Symbol geglückter Integration im Ruhrgebiet? Ortswechsel: In einem Haus in Istanbul steht eine Tonbandkassette mit den „Brandenburgischen Konzerten“ auf dem Regalbrett neben Aufnahmen eines Mannes mit Namen Levent Yüksel, dem Cover nach zu urteilen ein Unterhaltungskünstler: Hier wohnen Migranten aus Deutschland – haben sie Zugang gefunden zur Kultur des Gastlandes, oder bleiben sie letztlich isoliert?

Anne Dietrich vom Essener Zentrum für Türkeistudien hat ein klares Ziel vor Augen: eine binationale Ausstellung unter dem Titel „Übersetzung. Türkisch-Deutsche Fotografien von Migrations(t)räumen“.

Die Sozialwissenschaftlerin nahm dazu Kontakt zu dem Fotografen Sedat Mehder auf – in Person ein Paradebeispiel in Sachen Eingliederung: Er war zwei Jahre alt, als seine Eltern nach Deutschland zogen; heute studiert er Foto-Film-Design an der Fachhochschule Dortmund. „Mit acht machte ich mein erstes Foto, einen Fotoapparat bekam ich mit zwölf. Und mein erstes Geld habe ich mit Portraits verdient“, sagt er – Portraits von türkischen Kindern aus dem Ghetto, in dem Mehder groß wurde. Eine seiner Arbeiten zeigt eine ältere Frau in buntem Rock und Kopftuch, neben ihr auf dem Sofa eine junge Polizeibeamtin in Uniform: Mehders Mutter gemeinsam mit seiner Schwester. Die hat einen Ausweis mit Bundesadler drauf.

Die deutsche Seite der Migration von hier in die Türkei hat Anne Dietrich dreifach besetzt: Sie holte Michael Klöpfer, Heiko Tiemann und Volker Kratzsch – alle studieren Kommunikationsdesign an der Essener Gesamthochschule und sind für ihre Beiträge erstmalig in die Türkei gereist, genauer: nach Istanbul. Klar, daß sich während einer solchen Stippvisite nur eine weit oberflächlichere Sicht auf das Leben von Landsleuten fern der Heimat erschließt, als sich dem Türken Sedat Mehder bietet, wenn er „seine“ Leute in Deutschland durch die Linse beobachtet. So sagt denn auch Anne Dietrich: „Mehder erlaubt einen Einblick in die türkische Gemeinde in unseren Städten.“ Deren kulturelles wie religiöses Leben spielt sich längst auch öffentlich ab und wird von deutschen Miteinwohnern registriert. In Istanbul hingegen gründeten emigrierte Deutsche im vorigen Jahrhundert eine abgeschottete Kolonie – und die gibt es noch heute: Leben bei Fremden, aber in der Nische.

Und so, wie sich die „Bosporus-Germanen“ als Deutsche verstehen, nennt sich der Dortmunder Designstudent Mehder einen Türken – wie sonst? Was die „Integrationsträume“ angeht, hat Sozialwissenschaftlerin Dietrich so ihre Erfahrungen gemacht in den vergangenen Monaten, als es darum ging, Bilder zu sammeln und zu sichten: „Träume outen sich manchmal als Symbiosewünsche.“ Miteinander leben, voneinander profitieren, ohne einander nicht sein können – aber die Eigenheiten wahren: So soll es sein, das Integrationsparadies. In neuer Umgebung wird Vertrautes rekonstruiert, das Fremde vorsichtig betrachtet und angenommen. Vielleicht.

Und auch dies macht die Bilderauswahl deutlich: Die Migration Deutscher in die Türkei und die Migration von Türken nach Deutschland sind nicht vergleichbar – zahlenmäßig nicht, im Hinblick auf die Motive auch nicht. Hier „Gastarbeiter“, dort Akademiker, die ihre Karriere antreiben möchten.

„Übersetzung“ – wer wandert, muß mitunter übersetzen, wenn da Flüsse sind. Übersetzungen von einer Sprache in die andere sind nötig zur Verständigung. „Die sogenannte Lichtschreibkunst macht das übersprachlich“, freut sich Anne Dietrich.

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