■ Nato-Einsatz im Kosovo mit oder ohne UN-Mandat?
: Intervention für die Menschenrechte

Eigentlich will in Westeuropa gar niemand mehr offen bestreiten, daß ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft im Kosovo, auch mit militärischen Mitteln, notwenig ist. Daß nach den Erfahrungen mit dem Krieg in Bosnien, nach Srebrenica, es wieder zu ethnischen Säuberungen kommt, hat nachhaltiges Erschrecken ausgelöst. Wer die Menschenrechte schützen will, muß gegen diese Verbrechen auftreten. Der Maßstab für politisches Handeln muß das Schicksal der Menschen vor Ort sein.

Mag sein, daß die Regierungen nicht nur von diesen, sondern auch von anderen Motiven getrieben sind und in den wichtigsten Aufnahmeländern Deutschland, der Schweiz und Österreich die Sorge um neue Flüchtlingsströme im Vordergrund steht. Die Unterstellung, daß in den USA erneute ethnische Säuberungen nur deshalb nicht hingenommen werden, weil dieser Vorgang sehr viele Folgekosten für die einzige Supermacht der Welt mit sich bringt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Und dennoch ist nichts dagegen einzuwenden, wenn sich in der Frage der „Flüchtlingsproduktion“ die Interessen von Menschenrechtlern und die von Regierungen wichtiger Staaten decken. Es geht also nicht um eine abstrakte Diskussion über mögliche Motive.

Immerhin sind in den letzten Wochen einige Regierungen zur Erkenntnis gelangt, daß es eine Illusion ist, Slobodan Milošević weiterhin als stabilisierendes Element in den balkanischen Wirren zu betrachten. Das Ende der Fahnenstange sei erreicht, heißt es in Washington, London, Bonn und der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo. Deshalb verlangt Washington nicht mehr von der Führung der Kosovo-Albaner, um jeden Preis und jeder Zeit mit Belgrad zu verhandeln.

Der Entscheidungsdruck bringt den Westen in Gegensatz zu den Weltsicherheitsratsmitgliedern Rußland und China, deren Regierungen aus Eigeninteresse „Interventionen für die Menschenrechte“ ablehnen und an dem Diktum der „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten“ festhalten. Es geht bei den Diskussionen der letzten Tage deshalb vor allem darum, ob und wie die UNO und damit Rußland und China in den Entscheidungsprozeß miteinbezogen werden. Muß der Sicherheitsrat für eine Militäraktion der Nato sein Plazet geben, ist es sinnvoll, vor allem Rußland auszuschließen oder einzubinden? Kann im Interesse der Menschen im Kosovo ein Kompromiß gefunden werden? Oder handelt man besser auf eigene Faust, weil die Aktionsfähigkeit der UNO durch diese beiden Mächte blockiert wird?

Das Argument, eine Militäraktion der Nato müßte völkerrechtlich abgesegnet sein, ist gewichtig. Sonst könnte jede regionale Macht oder Mächtegruppe beschließen, in Nachbarländern zu intervenieren. Die Konstruktion des Weltsicherheitsrates – vor allem das Vetorecht – erweist sich jedoch wieder einmal als Hemmschuh, übergeordnete Interessen, nämlich die der Menschenrechte, gegenüber den Interessen einzelner Staaten durchzusetzen. Der Kosovo-Konflikt zeigt wie die Massaker und Kriege in Ruanda, im Sudan, in Kurdistan und anderswo erneut die Notwendigkeit, die Entscheidungsprozeduren bei den Vereinten Nationen zu reformieren, ja die gesamte Weltorganisation auf neue Füße zu stellen. Darauf können aber die Menschen im Kosovo nicht warten.

Auch bei der „Kontaktgruppe“, die nach dem Versagen der UNO als „Ausweichgremium“ während des Bosnien-Krieges geschaffen wurde, zeigen sich ähnliche Probleme, da Rußland Teil der Kontaktgruppe ist. Der Gedanke, die Nato könne unabhängig handeln und bräuchte für ihre Aktion nicht das Plazet beider Gremien, ist naheliegend, er wird durch US-Außenministerin Albright und US-Verteidigungsminister Cohen sowie von SPD-Politikern bereits formuliert. Wenn man den „ethnischen Säuberungen“ Einhalt gebieten will, ist er zu unterstützen. Allerdings müßte die geplante Aktion im Kosovo endlich der Anlaß sein, in nächster Zeit die gesamte UN-Entscheidungsprozeduren zu entrümpeln und den neuen Bedingungen der Weltpolitik nach 1989 anzupassen. Die Verteidigung der Menschenrechte müßte dann als der höchste Wert der UNO festgeschrieben und institutionell abgesichert werden. Im Kosovo aber muß sofort gehandelt werden. Erich Rathfelder