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Zwischen allen heiligen Stühlen

Der 93. Deutsche Katholikentag hat versucht, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Zwischen Amtskirche, Verbänden, Reformern und Bewahrern werden die Unterschiede aber immer größer  ■ Aus Mainz Annette Kanis und Bernhard Pötter

Der Veranstaltungsort ließ Närrisches erwarten. Doch auf der Bühne im Kurfürstlichen Schloß, wo jedes Jahr die Karnevalisten ihren großen Auftritt haben, präsentierte Hans Langendörfer nichts zum Lachen. „Bei den Institutionen, die heute Werte vermitteln“, sagte der Jesuitenpater, als Sekretär der Bischofskonferenz einer der strategischen Köpfe des deutschen Katholizismus, „steht die Kirche an letzer Stelle – hinter der Polizei.“

Gleichzeitig trubelte rund um das Schloß der 93. Deutsche Katholikentag. Mit einem Aufwand von 13 Millionen Mark, 40.000 Besuchern, 1.200 Veranstaltungen und geballter Medienpräsenz propagierte die katholische Kirche Deutschlands ebendiese Werte. Der Widerspruch, als Vertreterin von 27 Millionen Katholiken die Wertedebatte entscheidend mitprägen zu wollen, aber damit wenig Resonanz zu finden, zeigte das Charakteristikum dieses Treffens – den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen den Flügeln der Kirche, zwischen theologischer Theorie und alltäglicher Praxis.

Der rote Faden von Mainz war das Fehlen eines roten Fadens. Das 579seitige Programm mit dem Flipper-Logo verhieß jedem etwas, verzichtete aber weitgehend auf Schwerpunkte. Das Thema Arbeit prägte trotz 4,2 Millionen Arbeitsloser und der Bundestagswahl nicht das Gesicht der Veranstaltung. Einmischung in die Politik wurde auf den Diskussionspodien gefordert, vom Katholikentag aber nicht betrieben. Das Thema Deutsche Einheit sowie die Probleme Ostdeutschlands und Europa fielen fast gänzlich unter den Tisch.

Zwei große Themen beherrschten als Grundstimmung das Treffen: die innere Reform der Kirche und die Frage nach dem zukünftigen Verhältnis von katholischer Kirche und Gesellschaft in Deutschland. Das Reformthema war den Institutionen von Basisgruppen und der „Kirchenvolksbewegung“ aufgezwungen worden. Bei der Frage nach Frauen im Priesteramt oder dem Ende des Zölibats blieben die Fronten unverändert. Der Konflikt um die Schwangerenberatung, der zu Beginn des Jahres die Republik beschäftigte, war kein Thema. Erst auf Nachfrage bequemte sich der Vertreter der Amtskirche auf der einzigen Veranstaltung zum Thema Abtreibung zu der Aussage, man müsse für eine kluge Lösung beten. Galten Katholikentage früher als „christliche Zeitansagen in die Gesellschaft“, las die Gesellschaft in Mainz den Christen von höchster Stelle die Leviten: Bundespräsident Roman Herzog, Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth und SPD-Chef Oskar Lafontaine forderten die Bischöfe auf, im Beratungssystem zu bleiben.

In einer Zerreißprobe steht die Kirche auch bei der Frage nach ihrem Einfluß auf die Wertediskussion. Bischofskonferenz und Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) als die Vertretung der nicht-geweihten Laien wollen auch mit Blick auf einen möglichen Machtwechsel in Bonn das Ende der Babylonischen Gefangenschaft mit der CDU. SPD-Vize und ZdK- Mitglied Wolfgang Thierse propagiert die Wertvorstellungen der Kirche, die „ein langes Gedächtnis und viel, auch leidvolle Erfahrung gesammelt hat“ und die in einer globalisierten Wirtschaft „zu bedenken gibt, daß der Mensch mehr ist als nur Konsument und Produzent auf dem Markt“.

Die grüne Kirchenpolitikerin Christa Nickels zählt auf die ethischen Werte der Kirchen als Kitt für eine immer schneller auseinanderdriftende Gesellschaft. Gerade gegen strategische Allianzen mit den Grünen formulierte sich in Mainz allerdings auch christkonservativer Widerstand. Es dürfe keine „Rosinenpickerei“ geben, nach der man etwa in Asylfragen zusammenarbeite, während „der Schutz des ungeborenen Lebens, das System der Kirchensteuer und die Gleichstellung der Homo-Ehe zwischen uns umstritten ist“, forderte Bernhard Sutor vom Landeskomitee der Katholiken in Bayern.

Unübersehbar blieb auch der Gegensatz zwischen einem Katholizismus, der sich als politisch begreift, und dem offensichtlichen Desinteresse der Gläubigen an politischen Themen. Nicht nur die Kirche von unten (siehe Text unten) bekam dies zu spüren; bei Veranstaltungen zum Asylrecht oder zur internationalen Politik saßen hochkarätige Experten vor ein paar Dutzend Zuhörern in leeren Zelten und Sälen. Überfüllt waren dagegen Angebote etwa im „geistlichen Zentrum“, die sich mit Spiritualität und persönlicher Lebensgestaltung beschäftigten. Auch hier wieder der Spagat: Einerseits sei die Gleichgültigkeit gerade junger Leute gegenüber diesen Themen gewachsen, analysierte der Paderborner Theologieprofessor Hans Eicher. Andererseits sei aber dadurch auch die Toleranz größer: „Die Leute treten heute nicht mehr wegen den Sprüchen des Fuldaer Erzbischofs Dyba aus der Kirche aus. Sie sagen: Laß den reden, wir machen etwas anderes.“

Für Eicher ist diese Entwicklung zum Dissens durchaus positiv. Sie zeige das Ende der „allwissenden, allmächtigen Kirche“ und die Abkehr von der „Faszination der Massenkultur“. Der Übergang von der „autoritären zur humanitären Religion“ bedeute den Wechsel von „Suchen zu Wissen und Selbstverantwortung statt Gehorsam“. Auch der vom Vatikan amtsenthobene kritische Bischof Jacques Gaillot aus Paris, in Mainz der heimliche Star, bekräftigte, es komme für die Kirche nicht darauf an, die soziale Entwicklung zu dominieren, sondern Partner für die richtigen Projekte zu finden.

„Ich fürchte, daß von diesem Katholikentag keine Botschaft ausgegangen ist“, zog der Sprecher der Kirche von unten, Tom Schmidt, seine Bilanz. Die Kirche sei „zu ängstlich“ bei politischen und theologischen Signalen, deshalb habe man ihr mit einem verbotenen ökumenischen Abendmahl Druck machen wollen. Der Mainzer Bischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Karl Lehmann, kritisierte das pflichtschuldig als „fahrlässig und eine Gefahr für die Ökumene“. Heftige Bewegung gefährdet das mühsam errungene katholische Gleichgewicht, weiß der Mainzer Bischof. Denn zwischen eigenen und fremden Ansprüchen, zwischen dem Vatikan, den deutschen Bischöfen, dem Kirchenvolk und der Öffentlichkeit ist Lehmann schließlich der Meisterturner.

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