: „Entschlossener Falke“ ohne politisches Konzept
■ Gestern demonstrierte die Nato mit ihrem Manöver Aktionsbereitschaft im Kosovo-Konflikt. Um wie in Bosnien Erfolg zu haben, bedarf es zusätzlich eines klar formulierten politischen Ziels
Sarajevo (taz) – Zuerst hört man nur das Geräusch der Düsenaggregate. Wenn sich der Blick zum Himmel richtet, um die Herkunft des Geräusches auszumachen, sind die modernen Kampfflugzeuge schon längst am Horizont verschwunden. So mag es gestern vielen Albanern und Bewohnern von Makedonien gegangen sein. Denn die Nato hat bei ihrer Operation „Entschlossener Falke“ die modernsten Kampfflugzeuge der Welt eingesetzt. Vom Flugzeugträger „Wasp“ in der Adria aufgestiegen, rasten vier Kampfflugzeuge vom Typ Harrier AV-8B sowie die 80 Maschinen anderen Typs in Minutenschnelle über die Zielgebiete in Albanien und Makedonien hinweg. Über dem Gebiet, um das es eigentlich geht, dem Kosovo, kreisten sie nicht.
Die Aktion sollte die militärische Stärke und vor allem den Willen der Nato zeigen, gegebenfalls mit militärischen Mitteln vorzugehen. Die Führung in Belgrad unter Slobodan Milošević sollte verstehen, um was es geht. Denn der Einsatz von Nato-Kampfflugzeugen hat schon im bosnischen und kroatischen Krieg durchaus Wirkung gezeigt.
Im Februar 1994, nach dem Massaker auf dem Marktplatz in der eingeschlossenen Stadt Sarajevo, zeigten sich die Kampflieger in Bosnien-Herzegowina. Der ohrenbetäubende Lärm bei ihrem Start, um anschließend im Sturzflug auf Artilleriestellungen der serbischen Belagerer niederzugehen, verfehlte seine Wirkung nicht. Die Eingeschlossenen schöpften Hoffnung, die Angreifer blickten ängstlich gen Himmel. Auch wenn damals nur Aluminiumfolien abgeworfen wurden, wichen die Belagerer schließlich zurück. Die Artillerie wurde aus einem Ring von 20 Kilometern um die Stadt zurückgezogen.
Allein der Wille zur Aktion reichte aus, etwas zu erreichen. Weil aber damals die internationale Gemeinschaft über das weitere Vorgehen tief gespalten war und die Oberbefehlshaber der UNO-Truppen in der Folgezeit alles versuchten, um ein ernsthaftes Vorgehen der Nato zu verhindern, kam es zu dem serbischen Angriff auf Goražde in April 1994 und schließlich zu dem Massaker von Srebrenica und Žepa im Juli 1995. Die Enklave Goražde blieb 1995 vor Angriffen verschont, weil wieder Ernst gemacht und Nato-Angriffe angedroht wurden.
Aus diesen Erfahrungen weiß man, daß mit einer festeren Haltung der internationalen Gemeinschaft und der Androhung von Einsätzen der Nato-Flugzeuge die Massaker damals hätten verhindert werden können. Milošević hatte seine Truppen sofort zurückziehen lassen, als es brenzlig wurde. Die Erfahrung lehrt, daß sowohl ein einheitlicher politischer Wille wie auch die Androhung und, wenn nötig, Anwendung von militärischen Mitteln, zum Erfolg führen. Die Quittung für Srebrenica, die Offensiven der kroatischen und bosnischen Armeen im August 1995, die von Nato-Kampfflugzeugen unterstützt wurden, sind im Gedächtnis der serbischen Bevölkerung haften geblieben.
Anzunehmen ist dies auch bei den Machthabern in Belgrad. Wenn die westliche Welt im Falle Kosovo sowohl politisch wie auch militärisch geschlossen auftritt, können militärische Gesten erfolgreich sein. Die Nato muß aber nach Meinung militärischer Planer glaubwürdig bereit sein, nicht nur A, sondern auch B zu sagen. Der Druck dürfe nicht nachlassen, bis die wichtigsten Forderungen durchgesetzt sind. Doch hier drückt im Falle Kosovos der Schuh. Noch sind sich die politischen Instanzen der westlichen Welt über das politische Ziel uneinig. Soll die Aktion abgebrochen werden, wenn die serbischen Truppen zurückgezogen werden oder lediglich aufhören zu schießen? Soll die Autonomie wiederhergestellt werden oder Kosovo unabhängig werden? Welches politische Ziel soll letztendlich erreicht werden? Eine klare Stellungnahme ist für die nächsten Tage erforderlich. Erich Rathfelder
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