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Abschied von einem mutigen Freund

■ Türkische Journalisten begleiten einen Kollegen zum Gefängnis von Saray. Er muß wegen eines Interviews mit dem PKK-Chef zehn Monate hinter Gitter

Istanbul (taz) – Gestern haben wir von Ragip Duran Abschied genommen: ein paar hundert Journalisten vor dem Journalistenverband in Istanbul. In den Händen hielten wir Blumen. Die haben wir ihm zugeworfen, als er den Bus bestieg. In der thrazischen Stadt Tekirdag, berühmt durch die türkischen Frikadellen Köfte, ging Ragip noch ins Restaurant. Dann wurde er in dem Gefängnis Saray eingesperrt.

Ragip ist wegen eines Artikels, der vor vier Jahren erschien, zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Den Schuldspruch fällte das Staatssicherheitsgericht in Istanbul. Dort werden „Verbrechen gegen den Staat“ verhandelt. Genau dessen soll sich Ragip mit seiner Arbeit schuldig gemacht haben: Er veröffentlichte in der mittlerweile verbotenen Tageszeitung Özgür Gündem ein Interview mit PKK-Chef Abdullah Öcalan. Geht alles gut, wird der Journalist Ragip im nächsten Jahr wieder unter uns weilen. Doch weitere Verfahren warten auf ihn.

Seit zwei Jahrzehnten hat der 44jährige Ragip in Istanbul, Paris und London als Journalist gearbeitet. Er war bei der Nachrichtenagentur AFP und bei der BBC. Zuletzt arbeitete er als Korrespondent der französischen Tageszeitung Libération. Ragip war immer an Ort und Stelle, wenn es brannte. Der Junge aus gutem Hause – die Richter des Staatssicherheitsgerichtes, die ihn verurteilt haben, könnten gut Schüler seines Vaters, eines emeritierten Rechtsprofessors, sein – hat sich nicht dem von den Herrschenden in der Türkei verordneten Mainstream-Journalismus angepaßt.

Einer der wenigen, die nicht schwiegen, wenn Todesschwadrone ihr dreckiges Geschäft betrieben, wenn kurdische Dörfer abgebrannt und Zivilisten vertrieben wurden. Dafür wurden ihm mehrere Preise verliehen. Wir haben ihm eine golden glitzernde Plakette mit dem inkriminierten Artikel geschenkt. Human Rights Watch hat ihn mit dem Hellmann/ Hammet-Preis „Freedom of Expression“ ausgezeichnet. Und der türkische Staat hat ihn einfach mit Gefängnis bedacht.

„Die Tabus des Staates sind die Tabus der Medien“, hat Ragip, der auch Vorlesungen in Medienethik an der Universität Galatasaray hält, festgestellt. Die Perspektive der türkischen Medien ist die Perspektive des Staates: Die Kurden sind Separatisten, die Islamisten wollen uns ins Mittelalter zurückstoßen, Griechen und Armenier sind Verräter, unsere Armee ist heldenhaft und gut. Solche „Wahrheiten“ hat Ragip durch seine Berichterstattung angekratzt. Deshalb sitzt er heute hinter Gittern.

Das kleine Gefängnis Saray, in dem er seit gestern inhaftiert ist, kennt er aus früheren Jahren. Als der Journalist Isik Yurtcu dort eingesperrt war, besuchte er ihn. Ragip nutzte die Gelegenheit und plauderte mit dem für das Gefängnis zuständigen Staatsanwalt. Der war angenehm überrascht, daß Ragip ausgebildeter Jurist war. „Bis zum nächsten Mal, werter Kollege“, sagte er zum Abschied. Ein Streich der Geschichte – es gibt ein nächstes Mal: Doch jetzt ist Ragip nicht Besucher, sondern Häftling in Saray.

Sein Notebook hat er mitgenommen. „Analytische Texte werde ich wohl auch von drinnen schreiben können.“ Vielleicht wird er aber auch über Unrechtszustände schreiben. Die Rauschgiftdealer, die Politmörder, die Attentäter laufen frei herum. Diejenigen, die den Mut aufbringen, kritisch zu denken, kommen hinter Gitter. Ömer Erzeren

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