Investieren in gecremte Waden

■ Kaufkräftig und markenbewußt: Homosexuelle sind für Marketingfirmen längst interessant und jetzt auch für Tourismusmanager. Fragt sich nur, ob die Wahrnehmung stimmt Von Jens Rübsam

Von Jens Rübsam

Vor dem Kreuzberger Spreewaldbad steht ein schnittiger schwarzer Opel. An der Fahrertür lehnt ein gebräunter Adonis: smarte Fönfrisur, hellblaues Hemd, schwarze Anzughose. Aus dem Spreewaldbad eilt ein gestählter Jüngling heraus: leichte Locken, roter Body, weiße Stoffhose, er lächelt – beide lächeln sich auf diesem Werbeprospekt an. Man fragt sich, wohin die Häschen jetzt wohl fahren werden. In fetten Lettern steht über dem Anzeigenmotiv: „Opel Finkbeiner“, darunter sind Anschrift und Telefonnummer notiert. Seit September vergangenen Jahres wirbt Opel erstmals in Homo-Zeitschriften – mit einem deutlich schwulen Motiv. 27.000 Mark läßt sich Marketingleiter Thomas Schöngart die Kampagne kosten. Im Herbst wird sie auslaufen.

Mit den internen Querelen um die Anzeige habe das Ende der Kampagne nichts zu tun, sagt Schöngart. Eine „wahnsinnige Aufregung“ habe es bei Opel gegeben, als die Anzeige erstmals erschienen war. Mitarbeiter fanden, Werbung in Homo-Blättern passe nun wirklich nicht zum Image des Unternehmens. Die Firmenzentrale ließ wissen, man befürchte Einbußen bei den fußballbegeisterten Kunden. Noch immer gilt bei Opel: Lieber in stramme Waden als in gecremte investieren. Dabei weiß Marketingleiter Schöngart längst: Viele Homosexuelle verfügen über ein überdurchschnittliches Einkommen und sind konsumfreudige Kunden.

Das ist mittlerweile auch den städtischen Tourismusexperten aufgefallen. Als die Organisatoren des CSD im März dieses Jahres schwule und lesbische JournalistInnen aus aller Welt durch Berlin führen wollten und vor der Frage standen: Wie soll die Reise finanziert werden?, „haben wir bei den Tourismusverantwortlichen offene Türen eingerannt“, erinnert sich CSD-Sprecher Jürgen Bieniek. „Partner für Berlin“ und die Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM) übernahmen die Kosten. Berlins Tourismuspapst Volker Hassemer begrüßte höchstselbst die Gäste mit den Worten: „Berlin ist seit jeher eine Stadt, wo Lesben und Schwule gut leben können.“

Freilich, dieser Tage bezeichnete sein Parteifreund, Innensenator Jörg Schönbohm, das Hissen der Regenbogenflagge vor den Bezirksrathäusern als „schädlich für das Ansehen der Stadt“. Außerdem hatten Hassemer und Co eine Publikation veröffentlicht, in der erheiternde Details zu lesen waren – wie zum Beispiel: „Das SchwuZ ist in der Hasenheide“ (leider falsch). „Dennoch“, sagt Andreas Koepcke von „Sisters & Sons“, der Agentur für Homosexuelle Kommunikation, „ist Berlin auf dem Weg, zu erkennen, daß Schwule und Lesben ein Potential für die Stadt sind“.

Erstmals ist in der neuesten Ausgabe des Berlin Magazins, herausgegeben von der BTM, ein Artikel mit der Überschrift „Im Fummel zur Demo“ zu lesen. Informiert wird über die lesbisch- schwulen Feiertage, die heute mit dem Straßenfest beginnen und am nächsten Wochenende mit dem CSD enden. „Der CSD ist ähnlich der Love Parade ein Event geworden, den man nicht mehr so einfach ausgrenzen kann“, sagt Andreas Koepcke. Hotels und Pensionen, weiß der Sprecher der BTM, sind an den kommenden beiden Wochenenden überdurchschnittlich gut ausgebucht.

Von einer „hochwertigen Zielgruppe“ spricht Marketingprofi Koepcke, wenn er von Homosexuellen als Kunden redet. Homosexuelle Haushalte sind meist kinderlos und daher kaufkräftiger. Schwule sind empfänglich für prestigeträchtige Marken, sind schneller als heterosexuelle Männer für neue Dinge zu begeistern, sie sind Trendsetter, entdecken Sachen für sich, die später auch für die Allgemeinheit interessant werden. „Schwule um die 60“, weiß Koepcke, „kaufen sich auch noch einmal ein neues Auto.“

So recht kann Gerhard Hoffmann, noch 51, Inhaber vom „Anderen Ufer“, die von Marketingexperten versprühte Euphorie nicht teilen. Bei ihm am Tresen sitzen auch die arbeitslosen Schwulen und Lesben und StudentInnen, die aufs Geld achten müssen und für die sich keine Marketingfirma interessiert; bei ihm selbst hat sich die Rezession bemerkbar gemacht. „Viele Dienstleistungsbetriebe, gerade im gastronomischen Bereich, haben in den letzten Jahren erhebliche Umsatzeinbußen zu verzeichnen.“ Auch Schwule und Lesben müssen sparen, sagt Gerhard Hoffmann und fügt hinzu: „Das zeigt sich alljährlich beim Lesbisch-Schwulen Stadtfest.“ Zwar kommen stets Hunderttausende, „aber wieviel Geld geben die noch aus?“ Für die Organisatoren, die schwulen Wirte, bleibt meist nicht viel unterm Strich. Von einer äußeren und einer inneren Wahrnehmung der finanziellen Situation von Homosexuellen spricht Gerhard Hoffmann.

Die äußere: Anzeigen und Werbespots mit homoerotischem Touch, sogar „Jacobs“ wirbt in der „Siegessäule“ mit einem strahlenden Boy, das Hemd weit aufgeknöpft, darunter steht: „Typisch Kaffeetante“. Im KaDeWe tucken Schwule durch die „angenehme Atmosphäre mit vielen hochwertigen Markenartikeln“. In den Filialen von „Planet Berlin“ lassen Schwule bei einem Einkauf stets doppelt soviel wie heterosexuelle Männer. Die innere Wahrnehmung: Im Kreuzberger Café Anal sitzen allabendlich jene Lesben und Schwulen, die für Wein und Bier noch vernünftige Preise zahlen wollen und müssen. Kritiker sagen: Es gibt keine Gruppe, die wie die Schwulen danach kräht, in die Werbung und in die Öffentlichkeit zu kommen. „Peinliche Selbstinszenierung“ nennen sie das. Andere reden von Rachegelüsten: „Ihr habt uns jahrelang fertiggemacht, jetzt zeigen wir euch, wie stolz wir sind, schwul zu sein.“

Für den Schöneberger Opel- Marketingleiter Thomas Schöngart hat sich die Werbekampagne in den Homo-Zeitschriften ausgezahlt: „Aufgrund dieser Anzeigen habe ich zehn Autos verkauft.“