: Länder gegen Schleierfahndung
■ Der Bundesrat hält die geplanten neuen Befugnisse des Grenzschutzes für rechtlich problematisch. SPD bemüht sich um Kompromiß bei der Ausweitung der Personenkontrollen
Berlin (taz) – Der Bundesrat hat seine Bedenken gegen die neue Rechte für den Bundesgrenzschutz (BGS) deutlich gemacht. Durch die von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) gewünschten Personenkontrollen ohne konkreten Verdacht seien „massenhafte Grundrechtseingriffe“ gegen Bürger zu befürchten, so der Bundesrat gestern.
Derzeit wird eine von der Koalition eingebrachte Gesetzesnovelle zur sogenannten Schleierfahndung im Bundestag beraten, mit dem der BGS künftig jeden Bürger auf Bahn- und Flughäfen, Bahnanlagen sowie während der Bahnfahrten überprüfen kann.
Noch darf der BGS derartige verdachtsunabhängige Kontrollen nur entlang der staatlichen Außengrenzen bis zu 30 Kilometer ins Landesinnere hinein vornehmen. Die Koalition will die Änderung des BGS-Gesetzes in der kommenden Woche verabschieden. Sollte der Bundesrat seinen Einspruch gegen den Beschluß des Bundestages erheben, könnte das Gesetzesvorhaben bis nach der Bundestagswahl hinausgezögert werden. Vor allem die rot-grün regierten Bundesländer, Teile der FDP sowie Experten und Datenschutzbeauftragte haben sich gegen Kanthers Pläne ausgesprochen.
Welche Konsequenzen die Gesetzesänderung für den einzelnen haben wird, machte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, deutlich: Nicht nur müsse dann jeder Mann und jede Frau Ausweise vorzeigen, sondern auch das Filzen von Taschen und Autos – etwa vor Bahnhöfen – über sich ergehen lassen. Die schärfsten Worte fand in dieser Woche Professor Hans Lisken, Rechtsanwalt beim Oberlandesgericht in Düsseldorf und Ex-Polizeipräsident, bei einer Anhörung vor dem Innenausschuß des Bundestages. Durch derartige Kontrollen würden sich ältere Bürger „an den permanenten Ausnahmezustand im SS-Staat erinnert fühlen“.
Offen ist bislang die Haltung der SPD. Innerhalb der Bundestagsfraktion sucht der stellvertretende Fraktionschef Otto Schily nach einem Kompromiß. Wie der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski hält er eine Kompetenzerweiterung des BGS im Prinzip für wünschenswert. Kontrollen ohne jeden Verdachtsmoment, wie sie Kanther will, lehnen sie aber ab. Intern hat sich Niedersachsen gegenüber der SPD-Fraktion in Bonn dafür eingesetzt, die Befugnisse des BGS bei der Schleierfahndung von „Lagebildern“, wie sie auch bei der Polizei der Länder üblich sind, abhängig zu machen.
Konkret hieße das nach dem SPD-Modell: Der BGS darf nur dann eingreifen, wenn ihm spezielle Erkenntnisse vorliegen – etwa über Menschen- oder Drogenhandel an Bahn- oder Flughäfen. Auch wenn es nicht auf Bundesebene übertragen werden kann, wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf das bestehende niedersächsische Gefahrenabwehrgesetz verwiesen. Dies erlaubt der Polizei, Autos aus dem fließenden Verkehr nur dann herauszuwinken und zu kontrollieren, wenn der Verdacht auf Straftaten von „erheblicher Bedeutung mit internationalem Bezug“ vorliegt.
Bundesinnenminister Kanther hat sein Vorhaben mit zwei Argumenten abgestützt: Durch den Wegfall der östlichen Grenzsperren habe die Kriminalität seit 1989 deutlich zugenommen, und man müsse sich auf den Wegfall der Kontrollen an den Westgrenzen einstellen. Kritiker befürchten hingegen, daß Kanther durch die Aufwertung des BGS insgeheim eine eigene Bundespolizei aufbauen will. Dies sei schon allein personell nicht möglich, erklärte Kanther in dieser Woche. Schließlich gehörten dem BGS nur 30.000 Beamte an, die Länder hätten rund 200.000 Polizisten. Severin Weiland
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