Deckung! Trittin unter Sperrfeuer

■ Wahlschlacht gegen Grüne im Bundestag. Unter Beschuß: Parteisprecher Trittins Kritik am öffentlichen Gelöbnis. Fischer zeigt Verständnis für die Angriffe

Bonn (taz) – Drei Monate vor den Bundestagswahlen ist bei den Grünen neuer Grabenkrieg entbrannt. Auf höchster Ebene: Fraktionschef Joschka Fischer hat sich gestern im Parlament öffentlich vom Parteivorsitzenden Jürgen Trittin distanziert. Anlaß der Kontroverse ist Trittins Rede auf der Protestveranstaltung gegen das öffentliche Rekrutengelöbnis am 10. Juni in Berlin. Er hatte damals Verteidigungsminister Volker Rühe vorgeworfen: „Wer am Jahrestag von Lidice hier ein Gelöbnis veranstaltet und sich dabei auf Traditionen beruft, der stellt die Bundeswehr selbst in die Tradition der Wehrmacht.“ Das tschechische Dorf Lidice war 1942 von Gestapo und SS dem Erdbeben gleichgemacht, die Einwohner sind ermordet oder verschleppt worden.

Trittins Äußerungen beherrschten weite Teile der Debatte über die Verlängerung des Bosnieneinsatzes der Bundeswehr. „Dumm und würdelos“ sei der Auftritt gewesen, meinte Rühe. Sein Parteifreund Rudolf Seiters sprach von einem „schauderhaften Auftritt“ des „unsäglichen“ Sprechers Trittin und erklärte: „Diesen Auftritt muß sich die gesamte Fraktion zurechnen lassen.“

Genau das wollten die Bündnisgrünen nicht. „Ich teile diese Kritik, so wie sie vorgetragen wurde, nicht“, kommentierte Fraktionschef Fischer die Rede seines Parteivorsitzenden. Er zeigte Verständnis für die Angriffe auf die Opposition: „Daß sie das politisch zu nutzen versuchen, das würde ich an ihrer Stelle genauso tun.“ Er wehrte sich allerdings gegen die Verbindung des Themas mit der Bosniendebatte, wo die Soldaten „auf breite Unterstützung“ angewiesen seien.

Die Regierungsparteien hatten es jedoch auf genau diese Verbindung angelegt. Pünktlich erschien gestern in der Bild-Zeitung eine Anzeige: „Der grüne Trittin haßt die Bundeswehr. Wir danken unseren Soldaten. CDU.“ Das Parlament billigte einen Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen, demzufolge der Deutsche Bundestag die „diskriminierenden und beleidigenden Äußerungen“ von Vertretern der Grünen und der PDS verurteilt.

Über den Streit der Bündnisgrünen geriet fast völlig aus dem Blickfeld, daß auch eine Mehrheit dieser Fraktion gestern dem intern lange und heftig umstrittenen Verbleib der Bundeswehr in Bosnien zugestimmt hat. Die Abgeordnete Uschi Eid sagte in einer persönlichen Erklärung, Trittin habe nicht für sie gesprochen. Ihr Fraktionskollege Gerd Poppe forderte vor Journalisten dessen Rücktritt.

Auch Geschäftsführer Werner Schulz nannte im Plenum Trittins Rede „unangemessen“. Gleichzeitig verwies er jedoch in einem leidenschaftlichen Redebeitrag auf die Fragwürdigkeit enger Beziehungen von Helmut Kohl zu Politikern wie dem gestürzten indonesischen Diktator Suharto und dem ehemaligen KP-Funktionär Boris Jelzin. „Moral und Menschenrechte sind nicht teilbar. Glaubwürdig wäre Ihr Protest, wenn er nicht einseitig wäre!“ rief Schulz den Regierungsparteien zu. Die Antwort von Volker Rühe: „Was Sie vertreten, ist moralischer Rigorismus. Das mag persönlich liebenswürdig sein, aber es würde uns unfähig machen, Außenpolitik durchzuführen.“

Trittin selbst verteidigte sich auf einer Pressekonferenz: „Ich halte die Rede, so wie ich sie da gehalten habe, für richtig und würde sie immer wieder so halten.“ Er hasse die Bundeswehr nicht, sondern habe Kritik an der Regierung geübt. Die Kritik an seiner eigenen Person wollte er nicht kommentieren. Statt Worten ließ die Parteizentrale Taten folgen. Vor laufenden Kameras wurden die Porträts der grünen Führungsspitze von der Wand abgehängt, vor der Trittin wenig später Platz nahm. Statt dessen wurde ein neues Wahlplakat hereingetragen und aufgehängt: „Wähl grün, und du mußt nicht zum Bund“.

Das ZDF-Politbarometer sieht im übrigen stabile Werte für die Grünen: Wie im Mai liegen sie auch im Juni bei acht Prozent. Ob dieser Trend anhält? Bettina Gaus