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Angst vor der nächsten Hool-Attacke

■ Deutsche Polizei war vorab über die Reisepläne deutscher Hooligans zur Fußball-WM nach Frankreich informiert. Tätergruppen kamen aus ganz Deutschland. Französischer Polizist kämpft nach Kopfverletzung mit dem Tod

Hannover (taz) – Die Krawalle deutscher Hooligans, bei denen im französischen Lens am Sonntag ein 44jähriger Polizist lebensbedrohlich verletzt wurde, kamen für die deutschen Polizeibehörden nicht unerwartet. Sie befürchten für die nächsten Spiele der deutschen Nationalmannschaft weitere Ausschreitungen. „Die für dieses Spiel aus den deutschen Fußballstandorten mitgeteilten Aufklärungsergebnisse trafen im wesentlichen zu“, heißt es im nachhinein in einem Bericht des Düsseldorfer Landeskriminalamtes (LKA), in dem vor Fußballgroßereignissen die polizeilichen Erkenntnisse aus der Fanszene zusammenlaufen. Laut dem der taz vorliegenden LKA-Bericht besteht „für die weiteren Spiele der deutschen Nationalmannschaft in Frankreich dringender Bedarf an konkreten Erkenntnissen gleicher Qualität“.

Am Rande des Weltmeisterschaftsspiels Deutschland–Jugoslawien hatten sich in Lens zwischen Stadion und Bahnhof Hunderte von deutschen Hooligans Auseinandersetzungen mit der französischen Polizei geliefert. Dabei verletzten sie den Kameramann eines brasilianischen Fernsehteams. Danach schlug ein 27ähriger Hooligan aus Hannover einem französischen Gendarmen mit einem Knüppel oder durch Tritte den Kopf ein. Gestern lag der schwerverletzte 44jährige Familienvater noch immer im Koma.

Nach den Ausschreitungen wurden insgesamt 614 deutsche Hooligans als Personen identifiziert, die die deutsche Polizei in ihrer Datei „Gewalttäter Sport“ in der höchsten Kategorie C als hoch gewaltbereit gespeichert hat. Nach Angaben des LKA in Düsseldorf war man dort aus Berichten „szenekundiger Polizeibeamter“ vorab über die Reisepläne der Hooligans weitgehend informiert. Den französischen Behörden sei „ein zutreffendes Lagebild übermittelt worden“. Daraufhin seien in Lens die Polizeikräfte verstärkt, „der ursprünglich vorgesehene Kräfterahmen angepaßt“ worden, heißt es in dem LKA-Bericht. Dennoch überraschten die Militanz und der Organisationsgrad der Hooligans die französische Polizei. Die Randalierer, die beim Marsch durch die Stadt auch Naziparolen brüllten und den Hitlergruß zeigten, seien perfekt organisiert und mit Handys ausgerüstet gewesen, sagte der Präfekt der Region, Daniel Cadoux. Er sprach von organisierten Unruhestiftern, die sich mit Hilfe ihrer Handys rasch hätten zerstreuen und sammeln können.

Im Bericht des LKA Düsseldorf ist auch von „rechten Gruppen“ bei den Krawallen die Rede. Von diesen und deren Aktivitäten hätten sich andere gewaltbereite Hooligans jedoch in Lens distanziert, heißt es. Ein LKA-Sprecher zeigte sich gestern wenig überrascht über die technische Ausstattung der deutschen Schläger. „Internet, Handy und Konspiration sind für diese Gruppen an der Tagesordnung“, sagte Sprecher Holtkamp. Die Naziparolen der Hooligans erklärte Holtkamp wie die Prügeleien mit dem Bestreben, weltweit Aufmerksamkeit zu erregen.

Die 614 über die Gewalttäter-Sport- Datei in Lens identifizierten Hooligans kommen laut LKA-Bericht aus 30 verschiedenen Städten, größere Gruppen sind aus Hamburg (60), Hannover (50) und Köln (50) angereist. Weitere Tätergruppen kamen u.a. aus Berlin (30), Leverkusen (40), Essen (30), Düsseldorf (40), Chemnitz (20) und München (40). Der Hooligan, der dem Polizisten den Kopf eingeschlagen haben soll, war nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums zwar als gewalttätiger Fan bekannt, in der entsprechenden Datei aber nicht gespeichert. Der Deutsche Fußballbund warf den deutschen Behörden mangelnde Vorsorge vor. Das Bundesinnenministerium erklärte dazu, es seien alle möglichen Maßnahmen ergriffen worden.

Bundeskanzler Kohl hat die Ausschreitungen als „Schande für unser Land“ verurteilt. Bundestrainer Hans-Hubert Vogts sagte: „Mir wäre es lieber, wir hätten am Sonntag gegen Jugoslawien verloren, dafür aber wäre der Polizeibeamte noch gesund.“ Jürgen Voges Tagesthema Seite 3

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