piwik no script img

„Man kann sich ja ärgern“

HEW-Vorstand bleibt auf Atomkurs: Hauptversammlung freut sich über Dividende, Kritiker dürfen reden, Bürgermeister schweigt  ■ Von Heike Haarhoff

Die Stirn von Umweltsenator Alexander Porschke (GAL) legte sich in immer tiefere Falten. „Die Kernenergie“, hörte der Politiker und Aufsichtsrat der Hamburgischen Electricitätswerke deren Vorstandssprecher Manfred Timm sagen, „wird sicher nicht nach der nächsten Bundestagswahl sterben“. Wenn wirtschaftlich arbeitende Reaktoren stillgelegt würden, „machen wir Schadensersatz geltend“, egal unter welcher Bundesregierung und welchem Atomgesetz, drohte Timm gestern auf der Hauptversammlung der HEW-Aktionäre. Timm geht davon aus, „daß das Alter der Kraftwerke ihr Ende bestimmen wird, und das ist in 40 Jahren“.

Senator Porschke suchte den Blick von Bürgermeister Ortwin Runde (SPD). Laut Koalitionsvertrag will Hamburgs rot-grüne Regierung „mit Wirkung zum Jahr 2002“ zumindest das AKW Brunsbüttel stillegen. Doch Runde, zugleich Chef des HEW-Aufsichtsrats und Leiter der gestrigen Versammlung, guckte stur geradeaus.

Statt dessen fuhr Timm unbeirrt fort: Von „Vertuschung“ bei den verstrahlten Atommülltransporten könne keine Rede sein; „die atomrechtlichen Aufsichtsbehörden sind von uns informiert worden“, und das, rühmte sich der Firmenchef, „obwohl keine Meldepflicht bestand“. Folglich sehe er „keine Notwendigkeit“, die HEW-Informationspolitik zu verbessern. Im übrigen habe es „eine Gesundheitsgefährdung für das Begleitpersonal der Transporte und die Bevölkerung nicht gegeben“.

Das sitzt. Porschke steht auf und tippt den Bürgermeister auf die Schulter. Der erteilt „einem Aufsichtsratsmitglied das Wort“ – ein Novum: Nie zuvor hat sich ein Aufsichtsrat getraut, während der Versammlung den Vorstand anzugreifen. Trotz seiner offensichtlichen Wut gelingt es Porschke, nicht gleich loszubrüllen. Es gehe „um eine Frage des Vertrauens“, sagt er. Die HEW „spielen die verfolgte Unschuld“, ihre Informationen seien „nach wie vor unzureichend“. Weil die verstrahlten Transporte unbemerkt nach Frankreich rollen konnten, wirft er den HEW „Systemmangel“ vor. Ein verändertes „Kontroll- und Überwachungssystem“ müsse die „Konsequenz“ sein, fordert Porschke, wohlwissend, daß es die einzig realistische ist: „Es gibt keinen justitiablen Vorwurf an das Unternehmen“, erklärt er, weshalb die Entlastung des Vorstands zwingend ist und der Stadt Hamburg politisch die Hände gebunden sind – obwohl sie die Mehrheit der HEW-Aktien hält: „Das Aktienrecht zum Hebel des Atomausstiegs zu machen, ist schwierig“, gesteht er. Und politische Konsequenzen? „Da kann man schimpfen und sich ärgern.“

Bürgermeister Runde sah dafür gestern keinen Anlaß. Er dankt dem „Beitrag eines Aufsichtsratsmitglieds“, dann läßt er Vorstand und Aufsichtsrat entlasten. Manfred Timm bleibt weiter im Amt, weil er einen Rekordjahresüberschuß von 145 Millionen Mark erwirtschaftet hat und die Dividende von 20 auf 23 Prozent steigt. Trotz aller Rücktrittsforderungen der kritischen Aktionärsgemeinschaft AIDA.

Die hatten dem Konzernchef knapp drei Stunden lang am Vormittag wegen seiner „nicht zu überbietenden Überheblichkeit“, seines „verantwortungslosen Handelns“ und seiner „Unfähigkeit, die Öffentlichkeit zu informieren“, nahegelegt, „daß Sie hier fehl am Platze sind“, wie es Paul Grosse-Wiesmann formulierte. Minutenlangen Applaus erhielt die Aktionärin Gerda Wilke. „Seit 1987“, sagte die weise Dame mit dem schlohweißen Haar, „melde ich mich hier zu Wort. Inzwischen wurde ich 80 Jahre alt. Ich werde eine Energieversorgung ohne Atomstrom nicht mehr erleben. Denn Ihre Haltung ist starrer denn je.“

Für die Grüne Erika Romberg, als dritte Vertreterin der Stadt Hamburg neben Porschke und Runde seit gestern neu im Aufsichtsrat, ist das kein Grund zum Verzweifeln. Es sei „eine Riesenchance, im Aufsichtsrat zu sein“, beteuerte die 41jährige Ex-Vizebürgermeisterin von Berlin-Kreuzberg, „weil wir jetzt die Möglichkeit haben, mit dem Vorstand der HEW in Diskussionen zu treten“. Ein Hirngespinst, das ihr HEW-Chef Timm mühelos austreiben dürfte.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen