Ich hatte keine Entschuldigung! Von Holger Wicht

Jetzt ist es passiert. Ich habe eine Plüschmaus auf eine Bühne geworfen. Die Bühne stand im Berliner Veranstaltungszelt Tempodrom, und auf der Bühne stand die Boyband „The Moffatts“ („I'll be there for you“). An der Maus war ein Liebesbrief befestigt, der die Flugeigenschaften ungünstig beeinflußte. Ich glaube, die Maus ist trotzdem auf der Bühne gelandet. Ich hoffe sehr darauf, im Interesse dieses kleinen Mädchens in Hüfthöhe, das mir den Liebesgruß mit der Bitte um den Wurf überreichte. Nein, meine Maus war es nicht. Aber das ist auch schon alles, was ich an Entschuldigung vorzubringen habe.

„Ich habe eine Entschuldigung, ich arbeite hier“, verkündete grinsend der Barkeeper. Mein Kollege vom Homomagazin hatte auch eine: Er begleitete mich, aus Freundschaft. Ich hatte keine: Ich wollte partout zu den Moffatts. Wir hatten uns das so gedacht: Leicht verspätet würden wir unsere jeweils 192 Zentimeter Körperhöhe mit einem süffisanten Lächeln, das der Reife unserer jeweils 27 Lebensjahre entspringen sollte, durch das Meer der prä- bis vollpubertären Gören schieben, um in der ersten Reihe mittig Stellung zu beziehen, Auge in Auge mit Scott, Clint, Dave und Bob. So heißen die Moffatts nämlich. Sie sind allesamt Brüder: Drillinge, nur Scott ist ein Jahr älter. Er ist der Star, ein hinreißender Miniatur-Jon-Bon-Jovi, mit Army-Hosen, ohne Dreitagebart. Alle Moffatts haben einen vollendeten Stimmbruch vorzuweisen und beherrschen ihre Instrumente besser als die Rolling Stones. Ich sage das hier, um einmal eine junge Rockband mit einer älteren zu vergleichen. Das sind die Moffatts nämlich, eine echte Rockband, weniger eine Boyband, denn auf synchrones Gezappel geben die Moffatts genauso wenig wie auf Playback. Wie Hanson, die noch ein wenig erfolgreicher sind, als ihre Vorbilder jedoch die Moffatts angeben. Das haben die Moffatts auch verdient!

Aber zurück ins Tempodrom. Verschämt standen wir seitlich, ungefähr in Reihe 14. Ständig wurden wir gebeten, aus der uns zugänglichen luftigen Höhe über die Köpfe des Publikums hinweg Fotos zu machen und kleine Mädchen hochzuheben. Boyband-Verehrerinnen haben übrigens die häßliche Angewohnheit, sich gegenseitig und mir die Sicht zu verstellen, indem sie Papptafeln hochhalten: „Dave, I love you“, „Clint, you are so sexy“. Eines der Schilder war vor dem Hintergrund der Schwärmerei erstaunlich pragmatisch, da mehrfach verwendbar: Hinten drauf stand „Gil“. Gil ist auch so ein hansonatischer Jungstar. Wenn das Bob gesehen hätte! Bob, der sensible Schlagzeuger der Moffatts, der es in Sachen lange Haare am ehesten mit Gil aufnehmen kann.

Als ich jung war, galt die Lautstärke von Rockkonzertmusik als ohrenfeindlich. Heute ist es der Hochfrequenzjubel der Konzertbesucherinnen. Nein, ich werde mich hier nicht über diese euphorisierten jungen Dinger lustig machen. Schließlich hatte ich selbst erst kürzlich mit den Tränen der Rührung zu kämpfen, nur weil Eros Ramazotti bei „Wetten, daß...?“ auftrat. Und immerhin hatte ich selbst partout zu den Moffatts gehen wollen. Die wunderschöne Ballade „I miss you like crazy“ habe ich dann sogar mitgesungen. Und Clint hat mir dabei die ganze Zeit direkt in die Augen geschaut! Echt!