: Betr.: Ausschreitungen bei der WM in Lens
Auch Hamburger Hooligans waren an den schweren Ausschreitungen in der französischen WM-Stadt Lens beteiligt. Nach Einschätzung des HSV-Fanprojekts sind etwa 60 Hamburger Hooligans nach Frankreich gereist – zu erkennen an den selbstentworfenen T-Shirts mit der Runen-Aufschrift „Hamburg Ultras“. In ihrer Mehrheit „keineswegs arme Schweine, die von der Gesellschaft an den Rand gedrängt wurden“, sagt Dieter Bänisch, Geschäftsführer des Vereins Jugend und Sport, „im Gegenteil, manche sind vielleicht sogar zu sehr angepaßt.“ Die Hools stellten vielmehr einen „männlichen Mikrozensus der Gesellschaft“ dar, darunter Kaufleute, Studenten – sogar ein Pädagogikstudent –, Models, natürlich auch Arbeitslose.
Zur WM begleitet hat das HSV-Fanprojekt nur sieben sozial benachteiligte Jugendliche; die Hools haben ihre Anfahrt selbst organisiert. Vor Ort in Frankreich sind allerdings derzeit zwei MitarbeiterInnen des HSV-Fanprojekts. Der HSV selbst „verurteilte“ gestern „entsetzt die Vorkommnisse“. Die Ultras hätten im Volkspark Stadionverbot. Für den schwerverletzten Polizisten David Nivel spendet der HSV Supporters Club 1000 Mark. chon bei den vorbereitenden Gesprächen zwischen HSV-Fanprojekt und Hamburger Polizei war allen klar gewesen, daß es in Lens zu Randale kommen werde. Aber auf die konkret geplanten Aktionen haben die Fanprojekt-MitarbeiterInnen mit ihrer akzeptierenden Jugendarbeit wenig Einfluß, sagt Dieter Bänisch. „Wir haben auch nie versprochen, daß wir auch nur annähernd in der Lage sind, sowas zu verhindern. Man kann nur hoffen, daß man sie überzeugt, daß sie die Grenzen, die sie selbst nennen, auch einhalten. Anbinden können wir sie nicht.“ as Nachdenken über akzeptierende Jugendarbeit in Hamburg begann Mitte der 80er Jahre. 1983 war ein Bremer Fußball-Fan am Volksparkstadion von Hamburger Fans durch einen Steinwurf getötet worden; 1985 erschlugen Bergedorfer Rechte einen jungen Türken am Bahnhof Landwehr. In diesen Jahren begannen Neonazis verstärkt, im HSV-Stadion und in mehreren Stadtteilen Jugendliche zu rekrutieren. Als Antwort darauf entstand die akzeptierende Jugendarbeit. In Kirchdorf-Süd zum Beispiel kooperierten Straßensozialarbeiter mit den Pfadfindern, die Lagerfeuerromantik und Wochenendfahrten anboten. Auch in Bergedorf-Lohbrügge kümmerten sich StraßensozialarbeiterInnen verstärkt um gewaltbereite und rechtsorientierte Jugendliche. Und für die Fußballfans, darunter viele Hooligans und Skinheads, wurde das Fan-Projekt „off-side“ gegründet. So entstanden zwischen 1985 und 1995 zusätzlich über 100 Einrichtungen der Kinder- und Jugendsozialarbeit, vorrangig in belasteten Stadtteilen. Gemeinsames Motto dieser Projekte: Jugendliche mit ihren Problemen und Bedürfnissen zu akzeptieren, nicht aber ihre Anschauungen. ngesichts der Ausschreitungen auch von Hamburger Hooligans bei der WM in Frankreich sprach die taz hamburg mit vier ExpertInnen über Sinn und Zweck von akzeptierender Jugendarbeit: Dieter Bänisch, Geschäftsführer des Vereins Jugend und Sport, zu dem auch das HSV-Fanprojekt gehört; Lothar Knode, Straßensozialarbeiter in Bergedorf-Lohbrügge; sowie von der Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung Gudrun Pluschke, Referentin für Jugendschutz und Mobile Jugendarbeit, und Wolfgang Hammer, Leiter der Abteilung Kinder- und Jugendarbeit.
Christine Holch
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