piwik no script img

„Ein Vertrauensvorschuß für die Sender“

■ Medienwächter Hans Hege über den Freispruch für „Arabella“ und das Ende der großen Schmuddeldebatte: „Wir können mit Rechtsvorschriften keinen guten Geschmack verordnen“

Der Sender Pro 7 muß für seine Talkshow „Arabella“ keinerlei Sanktionen mehr befürchten, beschloß am Montag der Medienrat der Berliner Medienanstalt MABB. Allerdings erklärte sich der Sender bereit, einen sechsstelligen Betrag an ein Jugendprojekt zu überweisen. Noch vor Wochen galt „Arabella“ als Inbegriff des „Schmuddelfernsehens“. Der Moderatorin wurde vor allem vorgeworfen, sie behandle zu viele Sexthemen am Nachmittag. Zudem hieß es, sie habe Verbrechern allzu unkritisch ein Forum geboten. Der MABB lagen acht „Arabella“-Folgen vor, bei denen der Verdacht bestand, sie verletzten gesetzliche Jugendschutzbestimmungen. Hans Hege ist Direktor der MABB.

taz: Hat sich mit Ihrem Beschluß die große Schmuddeldebatte als gegenstandslos herausgestellt?

Hans Hege: Der Medienrat hat ja nicht gesagt, daß „Arabella“ unbedenklich ist. Er hat ein Verfahren eingestellt, weil er praktische Fortschritte für den Jugendschutz gesehen hat. Die intensive Prüfung der Sendungen unterschied sich freilich stark von der manchmal sehr flachen Diskussion in der Öffentlichkeit. Dabei ist herausgekommen, daß es durchaus Anlaß zu Beanstandungen gab – es war nicht alles in Ordnung bei „Arabella“. Bei unserem Beschluß kam es vor allem auf das praktische Ergebnis an. Wir können mit den Rechtsvorschriften keinen guten Geschmack verordnen. Wir wollten, daß Verantwortung und Sensibilität in der Redaktion gestärkt werden. Daran hat es in der Vergangenheit gemangelt. Pro 7 hat da in den letzten Wochen schon Konsequenzen gezogen. Zudem gibt es jetzt auch noch den Verhaltenskodex, den sich die Privatsender geben wollen. Das ist schon mehr Jugendschutz, als mit rechtlichen Regeln durchzusetzen ist.

Hätte es also Sanktionen gegeben, wenn es die Veränderungen nicht gegeben hätte?

Das nehme ich an.

Der Beschluß der Medienanstalten, Pro 7 mit einer Verlegung der Sendung auf den späten Abend zu drohen, ist damit vom Tisch?

Aus meiner Sicht ja. Wir haben den Beschluß von vornherein als Überreaktion bewertet. Er war eher eine publizistisch nach außen gerichtete Maßnahme als eine rechtlich durchsetzbare Sanktion.

Was sehen Sie denn für Veränderungen bei Pro 7, außer daß einige Sendungen einen weniger krassen Titel bekommen haben und häufiger ein Pieps über „böse Worte“ gesetzt wird?

Es sind die organisatorischen Vorkehrungen innerhalb des Senders gestärkt worden, damit die Themen des Jugendschutzes schon bei der Konzeption der Sendung stärker berücksichtigt werden. Das besonders in Fällen, in denen Kinder in der Sendung anwesend sind und in denen es um sensible Themen geht. Jetzt muß man sich die praktische Umsetzung ansehen. Unser Beschluß ist ein Vertrauensvorschuß für die Sender. Das Problem beschränkt sich ja nicht nur auf Pro 7. Ähnliche Probleme gibt es auch bei RTL und Sat.1 und selbst bei der ARD.

Der Verhaltenskodex, der ja noch nicht beschlossen wurde, reicht aus?

Er geht über den rechtlichen Rahmen hinaus. Aber ein Fernsehveranstalter hat auch eine weitergehende Verantwortung, zum Beispiel für den Jugendschutz. Beispielsweise muß er auch jugendgeeignete Sendungen produzieren. Da gibt es ja durchaus bei „Arabella“ auch positive Beispiele: Dort werden Themen angesprochen, die Kinder und Jugendliche berühren, und das in einer Art, die vielleicht bei manchen Politikern nicht so ankommt, weil sie aus dem Alter raus sind – die aber für das Publikum geeignet ist.

In der Debatte ist der Eindruck entstanden, es ginge vor allem darum, daß nachmittags nicht über Sexualität diskutiert wird.

Diese Richtung habe ich auch herausgehört, aber die Forderung ist natürlich nicht realistisch. Kinder setzen sich mit Sexualität auseinander, und wenn das gut aufbereitet ist, kann eine Sendung darüber nur positiv sein. Das ist natürlich in der Vergangenheit nicht immer geschehen.

Fanden Sie bei den Folgen, die Sie geprüft haben, jene bedenklicher, in denen es um Sexualität ging, oder jene, bei denen Arabella vorgeworfen wurde, daß sie die Kriminellen, die zu Gast waren, kritiklos vorführt?

Die Folge „Ich wurde terrorisiert“ war sicher jenseits aller Grenzen. Dort wurde kriminelles Verhalten in einer Weise verharmlost, daß sie zur Nachahmung anregt. Ein Problem bei der Bewertung war: Die Frage, wie Talkshows wirken, ist bislang kaum betrachtet worden. Man kann eine Talkshow, die gerade von Auseinandersetzung und verschiedenen Positionen gekennzeichnet ist, ja nicht mit einem Filmprogramm vergleichen, wo der Inhalt der Bilder im Mittelpunkt steht.

Talkshows sind bezogen auf den Jugendschutz also nicht die schlimmsten Sendungen?

Zumindest hat man die Talkshows schlechter gemacht, als sie sind. Es gibt immer Moden der Jugendschutzdiskussion, die dann auch wieder verebben, obwohl das Problem nicht verschwindet. Die Kumulation der Gewaltdarstellungen bleibt ein Problem. Auch die Boulevardmagazine, die gezeigt werden, sind oft problematisch. Da gilt die Verantwortung der Sender genauso. Interview: Lutz Meier

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen