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Das unsichtbare Geschlecht

Weltweit gibt es kein Regime, das Frauen und Mädchen so massiv aus dem öffentlichen Leben drängt wie das der Taliban in Afghanistan. Die Glaubenskrieger gelten als die extremste islamische Gruppierung. In Afghanistan haben sie den Kampf um die Vorherrschaft bislang für sich entscheiden können und bereits zwei Drittel des Landes erobert – mit verheerenden Folgen für das Leben der Frauen  ■ Von Thomas Ruttig

Mädchen aus der Mittelschicht erhalten privat in kleinen Gruppen Unterricht, und die Taliban sehen weg“, berichtete noch im März eine britische Zeitung aus Kabul. Vor wenigen Tagen schloß die ultraislamistische, extrem frauenfeindliche afghanische Kampftruppe auch dieses Schlupfloch, durch das pfiffige Afghaninnen und Afghanen das völlige Bildungsverbot für Mädchen und Frauen umgingen.

Nachdem die von pakistanischen Geheimdienstlern und reaktionären Petrodollarmonarchen gesponserten Taliban seit 1994 eine Stadt Afghanistans nach der anderen und schließlich im September 1996 auch die Hauptstadt Kabul einnahmen, gehörte die vollkommene Verschleierung sowie die Schließung aller Schulen und Universitäten für Frauen und Mädchen zu ihren ersten Maßnahmen.

Weitere folgten: Frauen dürfen nicht Fahrrad, Motorrad oder Auto fahren. Taxifahrern ist verboten, Frauen mitzunehmen, die nicht von einem Mann begleitet werden. Frauen dürfen nicht mehr außerhalb des Hauses arbeiten. Lehrerinnen werden ebenso nach Hause geschickt wie Ärztinnen und Krankenschwestern. Inzwischen sind sie – auf internationalen Druck hin – zumindest in reinen Frauenkrankenhäusern wieder zugelassen.

Besonders grausam aber ist das Arbeitsverbot für über eine halbe Million Witwen. Sie verlieren ihre Existenz, können sich und ihre Kinder nicht mehr ernähren, denn ein Sozialsystem gibt es in Afghanistan nicht. Geschlossen wurden auch die Frauenbadehäuser – einzige und letzte Möglichkeit für soziale Kontakte außerhalb der Familie. Die Einwohner Kabuls müssen ihre Fenster im Erdgeschoß und im ersten Stock verhängen, damit die Bewohnerinnen von der Straße aus nicht gesehen werden können. EhebrecherInnen werden öffentlich zu Tode gesteinigt.

Vor knapp einer Woche, Ende Juni, wiesen die Taliban alle Ärzte an, keine Frauen mehr zu behandeln, die ohne einen engen männlichen Verwandten Praxen oder Krankenhäuser aufsuchen. Selbst die Farben der Burka, der Ganzkörperschleier mit vergitterten Augenschlitzen, sind jetzt vorgeschrieben. Erlaubt sind nur noch gedeckte Farben, braun oder schwarz. Ausgrenzung, Bestrafung und öffentliche Demütigung der Frauen durchdringen alle Lebensbereiche.

Vergangenes Jahr verkündete der Radiosender der Taliban: „Modische Kleidung und Schmuck sind (arbeitenden) Frauen im Krankenhaus verboten. Frauen sind verpflichtet, sich würdevoll zu verhalten, sich leise zu bewegen und zu vermeiden, mit ihren Schuhen Geräusche auf dem Fußboden zu erzeugen.“ Denn dies könne die Männer vom Wesentlichen abhalten: der Konzentration auf Gott.

„Islamisch nicht korrekt“ gekleidete Frauen werden von der allgegenwärtigen Religionspolizei, die nach saudiarabischem Vorbild geschaffen wurde, öffentlich bestraft. Es wird mit allem geprügelt, was zur Hand ist – Knüppeln, Gürteln, Stahlseilen, Gewehrkolben. Amnesty International berichtete vom Fall einer Frau, die trotz Verbots Nagellack trug: Ihr wurden die Finger abgehackt; die Frau war gerade auf dem Weg zu ihrer Hochzeit. Emma Bonino, die für Humanitäres zuständige EU-Kommissarin, bezeichnete die Barbarei als „Gender Apartheid“.

Tatsächlich hat wohl weltweit noch kein Regime Frauen in dieser Systematik aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Die Taliban haben in den afghanischen Städten die Erfolge einer in den zwanziger Jahren durch Reformen von oben angestoßenen Frauenbewegung vollkommen zerstört. Bereits 1921 öffnete die erste Mädchenschule. 1928 entschleierte sich öffentlich die Frau des damaligen Königs Amanullah, Soraya. Parallel gingen die ersten Frauen zum Studium in die Türkei Atatürks und nach Europa. 1965 durften sie zum ersten Mal wählen. Vor dem sowjetischen Einmarsch – Weihnachten 1979 – waren 1,7 Millionen Afghaninnen berufstätig. Danach stieg diese Zahl weiter. Denn die Frauen begannen, in den Fabriken ihre entweder in der prosowjetischen Regierungsarmee oder bei den Mudschaheddin kämpfenden oder gefallenen Männer zu ersetzen.

Der sowjetische Einmarsch sorgte jedoch für den islamistischen Backlash, dessen Resultat die Machtübernahme der Taliban ist. Hilfsorganisationen liefern dramatische Berichte ab: Die Unterdrückung sämtlicher Lebensbereiche im Namen des Islam frustiere die Menschen, die sich dann zu Hause abreagierten. Die Gewalt in den Familien steige. Aber auch Selbstmord und Selbstmordversuche – in der islamischen Religion ein Tabu – nehme vor allem bei afghanischen Frauen dramatisch zu. Zudem habe sich die Zahl der Afghaninnen, die mit schweren Depressionen und Neurosen in psychiatrische Kliniken aufgenommen werden mußten, mehr als verdoppelt.

Masuma Ebtekar, Vizepräsidentin des Iran – eines Landes, das nicht gerade als Vorreiter der Frauengleichstellung bekannt ist – sagte bei einem Besuch eines Teils Afghanistans, den die Taliban bisher nicht erorbern konnten, über die Lage der Frauen: „Euer untragbarer derzeitiger Status wird von den Muslimen der Welt mit tiefer Besorgnis gesehen“.

Doch nicht erst mit den Taliban begann die Unterdrückung der afghanischen Frau. Auch unter deren Vorgängern – den Mudschaheddin – waren Afghaninnen massenhaft Übergriffen ausgesetzt. Schon im Dezember 1995 sprach Amnesty International von einer „Menschenrechtskatastrophe“ und berichtete über „willkürliche Inhaftierungen, Massenmorde, weitverbreitete Folter und Vergewaltigung von Frauen und Kindern auf seiten aller bewaffneten Gruppen“. Im Westen aber fand das kein Gehör. Waren doch die Mudschaheddin wegen ihres Widerstandes gegen die Sowjets als „Freiheitskämpfer“ zu wertvoll.

Vielen Afghanen und Afghaninnen galten die Taliban daher zunächst als Befreier. Mit der Machtübernahme schafften die Milizen die Straßensperren der Mudschaheddin ab, die Afghanistan alle paar Kilometer zerschnitten und an denen willkürlich geraubt, erpreßt und belästigt wurde. Doch nach den ersten Maßnahmen gegen Frauen änderte sich die anfängliche Zustimmung zu den Talibanmilizen: Die im Land verbliebenen Reste der gebildeten Mittelschicht flohen aus den Städten und versuchten von Nordafghanistan aus, über die GUS-Staaten und Osteuropa nach Westeuropa zu Verwandten zu gelangen. Allein in der Bundesrepublik leben legal über 50.000 AfghanInnen. Als Opfer eines klassischen Ost-West-Krieges brachten sie es in den achtziger Jahren zur höchsten Anerkennungsquote aller Flüchtlingsgruppen.

Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit etwa sieben Jahren werden in fast allen Bundesländern die Widersprüche von AfghanInnen gegen abgelehnte Asylanträge verschleppt oder verzögert. Ende vergangenen Jahres warf das Bundesverwaltungsgericht ihnen mit dem Urteil endgültig die Tür ins Gesicht: „Flüchtlinge aus Afghanistan haben in Deutschland keinen Anspruch auf Asyl.“ Begründung: Es gebe dort keine „staatlichen Herrschaftsstrukturen“, also auch keine staatliche Verfolgung.

Potenziert wird das Problem noch durch die fehlende Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe. AfghanInnen, die Bekanntschaft mit den „Tugendförderern“ der Taliban machen mußten, sehen das anders. Staatsgewalt sei „dann gegeben, wenn sie ein Territorium mit einer bestimmten Bevölkerung unter Kontrolle hat, Gesetze praktiziert, Streit- und Ordnungskräfte unterhält, ein Kabinett besitzt und sich im Ausland durch Botschaften vertreten läßt“, schrieben TeilnehmerInnen eines Seminars in Vlotho (Westfalen) an den Unterausschuß für Menschenrechte im Bundestag. „Dies alles ist in Afghanistan gegeben.“

Karola Schaff, bei Amnesty International Koordinatorin der Afghanistangruppe, kennt nur wenige afghanische Frauen, die vor den Taliban nach Deutschland fliehen konnten. Die wenigen, die es schafften, sind durch die Verfolgung im eigenen Land traumatisiert, durch die restriktive Haltung der deutschen Behörden verunsichert und werden oft von ihren männlichen Angehörigen abgeschirmt. An die Öffentlichkeit trauen sie sich nicht.

Auch vom Widerstand afghanischer Frauen ist wenig bekannt. Ende April demonstrierten in der pakistanischen Stadt Peschawar etwa tausend Afghaninnen gegen die frauenfeindliche Politik aller afghanischen Fraktionen. Dazu aufgerufen hatte die „Revolutionäre Vereinigung der Afghanischen Frauen“ (RAWA), eine der wenigen parteiunabhängigen Organisationen afghanischer Frauen. Sie wandte sich schon gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans und versucht, Bildungsarbeit unter afghanischen Flüchtlingsfrauen zu leisten und ihnen kostenlose gesundheitliche Betreuung zu vermitteln. 1995 organisierte sie erstmals eine Demonstration in Peschawar. Damals trugen die Frauen Banner mit der Aufschrift: „Tötet Hekmatjar! Tötet Rabbani! Tötet die Taliban!“ Die RAWA-Gründerin Mina Keschwar Kemal wurde 1987 ermordet, die Täter sind bis heute nicht gefunden.

Auch Fatana Ishaq Gailani wurde wegen ihrer Gesundheits- und Bildungsprojekte für Frauen in pakistanischen Flüchtlingslagern von Mudschaheddingruppen bedroht. Im Herbst wird die Vorsitzende des Rates afghanischer Frauen in Spanien einen der sieben diesjährigen Prinz-von- Asturien-Preise für internationale Zusammenarbeit erhalten.

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