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Bremen: Chancen für nachhaltige Entwicklung?

■ Thema 9: Umweltpolitik Einladung zur politischen Debatte: Eine parteiübergreifende Initiative präsentiert in der taz fachpolitische Konzepte als Angebot für öffentlichen politischen Streit

Seit dem Umweltgipfel 1992 in Rio de Janeiro ist es international anerkannt und damit offiziell: Kommunales Handeln vor Ort und die globalen Probleme von Umwelt und Entwicklung stehen in direkter Beziehung. Diese Aussage – inhaltlich eher banal – gewann vor allem durch die Unterschrift von über 170 Regierungschefs an Gewicht, und auch Kanzler Kohl unterschrieb das Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert. Nach dem Willen der Vereinten Nationen sollen die Kommunen die Beschlüsse von Rio, gesammelt in der Agenda 21, auf lokaler Ebene umsetzen.

Lokal handeln, um global zu verändern: Neu daran war vor allem der integrierende Charakter des Programms und die Beteiligung der BürgerInnen. Soziale, ökonomische und ökologische Themen sollten im Dialog mit den BürgerInnen vor Ort in ein lokales Aktionsprogramm eingehen und eine „nachhaltige Entwicklung“ einleiten. Nachhaltigkeit, eine Übersetzung des englischen Begriffs „sustainable development“, wurde zum Zauberwort der Umweltbewegten der 90er Jahre. Wertvolle, nicht erneuerbare Ressourcen schonen, die natürliche Artenvielfalt erhalten, die menschliche Gesundheit sichern, nicht auf Kosten anderer Menschen und Regionen leben und damit künftigen Generationen eine Überlebensgrundlage lassen – so lauten die Eckpfeiler dieses Konzepts.

Damit schien eine neue Perspektive in der Umweltpolitik eröffnet: Weg mit den Weltuntergangsszenarien der Ökos und mit der viel zitierten Politikverdrossenheit der BürgerInnen. Durch Konsultationen zwischen BürgerInnen, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltverbänden würde das Bewußtsein der einzelnen Haushalte geschärft, kommunalpolitische Programme, Leitlinien, Gesetze würden entwickelt und umgesetzt, so die Erwartung vieler Aktiver an die Lokale Agenda.

Lokale Agenda: Viel Verpackung – wenig Inhalt?

1996 holte Bürgermeister Dr. Scherf 27 auserwählte VertreterInnen unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessengruppen an einen 'Runden Tisch', um ein lokales Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert zu erarbeiten. Noch in diesem Jahr soll es der Bürgerschaft vorgelegt werden. Über 150 Personen, verteilt auf diverse Arbeitsgruppen, leisten die inhaltliche Zuarbeit – ein beachtliches Engagement.

Unter den etwa zwei Prozent der 16.000 deutschen Kommunen, die an einer Lokalen Agenda arbeiten, gilt Bremen bundesweit als fortschrittlich. So gibt es nicht nur eine offizielle politische Willensbekundung zur nachhaltigen Entwicklung, die „Bremer Erklärung“, sondern auch eine funktionierende Organisationsstruktur. Eine kommunale Geschäftsstelle mit einem zugeordneten Agendabüro im Hause von Umweltsenatorin Wischer koordiniert den Agendaprozeß. Ein BürgerInnen-Büro, getragen von Umweltverbänden und entwicklungspolitisch arbeitenden Gruppen, leistet öffentliche Basisarbeit.

Bürgermeister Scherf konnte sogar einen bescheidenen Etat loseisen. Mit vergleichsweise wenig Geld, 325.000 Mark verteilt auf drei Jahre, werden eine Reihe kleinerer Projekte angeschoben: Im Projekt „Wohnwege zur Weser“ bemühen sich z.B. BUND und ADFC um mehr urbane Aufenthaltsqualität in einem Wohnviertel in der Neustadt. Ehrgeiziges Ziel: Gemeinsam mit den Anwohnern aus zugeparkten Straßenzügen wieder lebendige Wohnstraßen machen. Das Projekt „KITA – Küche der kurzen Wege“ will die Kindertagesstätten mit frischen, saisonalen Produkten aus der Region versorgen, das Thema gesunde Ernährung für Kinder und Eltern aufgreifen und KöchInnen weiterbilden.

Doch vielerorts – und so auch in Bremen – zeigt sich, daß die Lokale Agenda weniger an fehlenden inhaltlichen Konzepten scheitern könnte als vielmehr an mangelnder Konsens- und Umsetzungsbereitschaft in weiten Kreisen von Politik und Wirtschaft. Das verlockende Bild eines Bootes, in das alle zusammen eingestiegen sind, um gemeinsam zu den Inseln der Nachhaltigkeit zu segeln, erweist sich in der Praxis als trügerische Vision. Die Interessenkonflikte offenbaren sich in der Detaildiskussion.

Nachhaltigkeit ist in der Bremer Politik auch zwei Jahre nach der Bremer Erklärung eher nachrangig. Das offenbart sich im Kleinen: Weder die Vertreter der Wirtschaft am Runden Tisch noch der Senat konnten sich etwa – trotz eines mehrheitlichen Votums des Runden Tisches – dazu durchringen, Coca Cola das flächendeckende Aufstellen von Dosenautomaten im öffentlichen Raum zu verwehren. Vorbildfunktion der öffentlichen Hand? Fehlanzeige!

Wachstum der Grenzen statt Grenzen des Wachstums?

Die „großen“ Probleme kommen erst gar nicht auf den Runden Tisch bzw. werden von dort auf die lange Bank geschoben: Weder das Stadtentwicklungskonzept nebst Gewerbeflächen- und Häfenpolitik noch wichtige Naturschutzfragen oder Mammut-Projekte wie Spacepark und Rhodarium werden im Rahmen des Bremer Aktionsprogramms für das 21. Jahrhundert bewertet.

Keine Frage, die auf Konsens basierende freie gesellschaftliche Vereinbarung, wie sie die Agenda vorsieht, ist eine völlig neue Form öffentlicher Beteiligung; sie muß von allen Beteiligten erst einmal erlernt werden. Dieser Prozeß braucht Zeit. Doch anstatt die Chance einer zukunftsorientierten Perspektivendiskussion zu nutzen, setzen weite Kreise der Bremer Politik auf den bisherigen Wachstumspfad nach dem Motto: „Wir müssen erst Geld verdienen, damit wir uns eine intakte Umwelt leisten können!“ Grenzen des Wachstums und Begrenztheit der Ressourcen existieren scheinbar nicht. Dazu nur zwei Beispiele:

– Obwohl es in Bremen bereits mehr als eine viertel Million PKW gibt, gilt in Kreisen der CDU der Neubau von Straßen immer noch als einziges Rezept gegen den drohenden Verkehrsinfarkt. Dafür sind auch Naturschutzgebiete wie das Hollerland nicht mehr tabu. Niemand scheint sich Gedanken darüber zu machen, ob es möglich, wirtschaftlich notwendig oder gar volkswirtschaftlich tragbar ist, jeden Fleck innerhalb Bremens verzögerungsfrei automobil erreichbar zu machen.

– Obwohl, den derzeitigen Flächenverbrauch hochgerechnet, die ca. 32.000 ha Bremens spätestens im Jahr 2100 komplett zugebaut sein werden, fordert das Stadtentwicklungskonzept des Bausenators zusätzliche 900 ha Gewerbefläche für die nächsten 12 Jahre. Ein Bedarf, errechnet aus utopischen Arbeitsplatzzuwächsen: 23.000 Stellen sollen entstehen. Solche Bedarfe haben uns schon frühere Wirtschaftssenatoren vorgegaukelt; geblieben ist es bei einem realen Verbrauch von ca. 25 ha pro Jahr für Gewerbe, ebensoviel wie in Hamburg. Dafür reichen die vorhandenen Flächenreserven von 500 Hektar noch mindestens 25 Jahre, auch ohne Hollerland.

Bremen fit zu machen für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts – das kann sich nicht allein auf wirtschaftliches Wachstum gründen. Perspektivisch werden in der Stadtentwicklung die 'weichen' Standortfaktoren an Bedeutung gewinnen, auch für die Wirtschaft. Dazu gehören Naherholungsgebiete in intakten Naturräumen, ein gut ausgebautes Nahverkehrssystem, ein gutes kulturelles Angebot, kurz, eine hohe urbane Aufenthaltsqualität, die auch dem Städtetourismus neue Perspektiven eröffnet.

Ganz abgesehen davon, daß genau diese Faktoren Bremen als Wohnort attraktiv machen, werden sich Arbeitsplätze nur durch intelligente Diversifikationsstrategien gewinnen lassen und nicht mit landschaftsfressenden und teuren Mammutprojekten à la Oceanpark, in dem ein Arbeitsplatz 500.000 DM kosten soll. Oder à la Spacepark, der nur durch Ausbluten der Innenstadt rentabel wird, indem in ihm zugleich ein zusätzliches Einkaufszentrum entsteht.

Arbeit und Umwelt – Dauer-brenner auf kleiner Flamme

Das Thema ,Neue Arbeit durch nachhaltige Projekte' wird in der Bremer Agenda weitgehend ausgeklammert. Kein Wunder: Die Wirtschaft läßt sich am Runden Tisch durch Handelskammer und Unternehmensverband vertreten, die sich dort als Bremser betätigen und mit ihren Positionen den Entwicklungen ihrer Dachverbände weit hinterherhinken. Nach ihren Vorstellungen soll die Bremer Agenda z.B. völlig ohne Leitbilder bleiben. Ein paar kleine Projekte – und gut!

Mehr Mut zu unkonventionellen Lösungen ist also gefragt, um den Markt der ungenutzten Möglichkeiten für zukunftsorientierte Arbeit zu eröffnen. Synergieeffekte werden bislang ebenso wenig erschlossen wie Chancen auf Bildung neuer Allianzen und Kooperationen zwischen den Akteuren. Daß so etwas möglich ist, zeigt eine Vereinbarung zwischen den Naturschützern und der Wirtschaft im Fall des Industrieparks West: Durch eine vertragliche Regelung konnten Belange von Wirtschaft und Naturschutz schnell und unbürokratisch abgestimmt werden.

Mehr Kreativität ist ebenfalls gefragt: Sogenannte win-win-Strategien für Ökonomie und Ökologie sind längst ein alter Hut – und angesichts langfristig steigender Energie- und Rohstoffpreise ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Bei Wassersparanalysen in diversen großen und kleinen Bremer Betriebs- und Behördengebäuden hat der BUND Einsparpotentiale von bis zu 30 Prozent ermittelt. Der Einbau der entsprechenden Technik könnte die Auftragsbücher vieler Fachbetriebe füllen. Das am häufigsten genannte Umsetzungshindernis sind die Amortisationszeiten für die erforderlichen Investitionen, in der Regel ca. drei Jahre. Das ist so manchem Unternehmen zu lang. Wen wundert es dann noch, wenn Unternehmen von einem Programm für das nächste Jahrhundert nichts wissen wollen?

Und warum gelingt es nicht, einen echten Umwelt-Technologiepark in die Hemelinger Marsch zu pflanzen, der neue Maßstäbe in Sachen Flächeneffizienz, Niedrigenergiebauweise und Grünflächengestaltung – bis hin zu einer klaren Kriterienliste für ansiedlungswillige Unternehmen – setzen könnte? Ein solches Gewerbegebiet würde ohne Zweifel mehr Profil entwickeln als der derzeitige Technologiepark an der Universität, in dem 40 Prozent der Unternehmen die Nähe zur Universität überhaupt nicht brauchen. Im Umweltbereich gibt es noch viele weitere Aktionsfelder für mehr Beschäftigung; Stichworte sind etwa Energiesanierung, Energiemanagement, integrierte Ressourcenplanung und Contracting.

Nachhaltiger Konsum – shopping for a better world?

Und die BürgerInnen? Das Wissen um die Probleme, die es zu lösen gilt, ist in den letzten 30 Jahren enorm gewachsen, zugleich aber auch das Gefühl der Hilflosigkeit angesichts zunehmender Unübersichtlichkeit. Die rasante technologische Entwicklung und die Internationalisierung der Wirtschaft sind hierfür nur zwei Stichworte. „Immer schneller“ und „immer mehr“ sind keine tauglichen Mittel zur Zukunftsbewältigung. Auch das wissen die meisten.

Der Münchener Astrophysiker Peter Kafka formuliert einen anderen Fortschrittsbegriff: Vielfalt statt einfältiger Größe, Gemächlichkeit statt rasender Beschleunigung und Selbstorganisation statt zentralistischer Macht. Doch bis dahin ist es noch weit.

Nur etwa 10 Prozent der BürgerInnen können mit dem Begriff der Nachhaltigkeit etwas anfangen. Und sechs Jahre nach Rio müssen JournalistInnen immer noch jeden Artikel mit langatmigen Erklärungen einleiten – siehe oben. Man gewinnt den Eindruck, daß allmählich das Interesse auch der Presse für das langfristige und prozeßhafte Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit erlahmt. Scheitert die Agenda an dem Faktor Zeit, die heute offensichtlich keiner mehr hat?

Sozialpsychologen kennen noch ein weiteres Element: Die/der Einzelne sieht in eigener Verhaltensänderung keinen sichtbaren Beitrag zur Lösung von Umweltproblemen. Vermutlich ist dies eine simple Erklärung dafür, warum bei fast allen Befragungen die Abfalltrennung als eigener Beitrag zum Umweltschutz angegeben wird. Dabei werden 57 Prozent des Bruttosozialproduktes direkt durch den Konsum gewonnen und damit durch unsere Kaufentscheidung beeinflußt. Diese Zahl verdeutlicht eindrucksvoll die potentielle Marktmacht der VerbraucherInnen und läßt erahnen, welchen Druck wir in Richtung eines nachhaltigen Konsums ausüben könnten.

Lebensqualität definiert sich heute immer noch weitgehend über materielles Wohlergehen und Erlebniskonsum. Für die Umweltverbände geht es künftig also darum, Akzeptanz für neue Handlungsfelder und Leitbilder zu schaffen und den Lustgewinn hervorzuheben, den eine neue Freizeitqualität bietet. Das Leitbild vom „Gut leben statt viel haben“ aus der Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ von BUND und MISEREOR ist bislang gesellschaftlich nicht akzeptiert, wohl auch deshalb, weil in unserer Wohlstandsgesellschaft der unmittelbare Handlungsdruck fehlt. Dem umweltfreundlichen Konsum haftet der Muff des Verzichts an.

Mangelnde Nachhaltigkeit im Konsumsektor vorrangig der Unwissenheit oder gar Bequemlichkeit der BürgerInnen zuzuschreiben, würde jedoch bestenfalls eine Teilerklärung liefern. Vielmehr lähmt eine tiefe Vertrauenskrise zwischen der Gesellschaft einerseits und Politik und Behörden andererseits das Engagement vieler BürgerInnen. 'Partizipation' – unmittelbare Beteiligung – lautet hierfür das Lösungswort in der Agenda; sie würde die BremerInnen vielleicht mobilisieren können.

Die Ökos wiederum müssen lernen, daß sie mit ihren Umweltanliegen keinen Schritt voran kommen, wenn sie die Gerechtigkeitsfrage ignorieren und nicht mehr Druck für eine andere Art des Wirtschaftens machen (können). Der Erhalt unserer Mitwelt ist keine Ressortaufgabe; sie muß vielmehr zu einem integralen Bestandteil jeder politischen und gesellschaftlichen Tätigkeit werden.

Dies ist vor allem ein Appell an die herrschende Politik.

Peter Willers

Georg Wietschorke

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