: Die Kinder vom Fox-Markt: süchtig
Schnäppchenmärkte locken mit kuriosem Angebot. Doch nicht jedes Schnäppchen ist eines. Billigangebote sind mit Vorsicht zu genießen, dennoch boomt das Geschäft ■ Von Kirsten Küppers
An Wühltischen mit Insektenkillern und Damenslips vorbei marschieren Inge Berg und Herta Steinert zielstrebig auf die Rolltreppe zu. Sie fahren zu den 99-Pfennig-Angeboten in den ersten Stock. „Jetzt geht's auf die Jagd“, verkündet die 62jährige Inge Berg und strahlt über das ganze Gesicht. Sie und ihre 78jährige Freundin sind Schnäppchenjägerinnen aus Leidenschaft. Täglich ziehen sie durch die Billigmärkte in Kreuzberg, Neukölln und Treptow, alles zu Fuß und nicht ohne vorher die BZ und die Bild-Zeitung nach den besten Sonderangeboten der Stadt durchkämmt zu haben.
Mit kritischer Miene mustern die beiden Rentnerinnen im Faltenrock jetzt das 99-Pfennig-Sortiment im Fox-Markt am Kottbusser Damm. „Nichts für unsern Geschmack heute“, Inge Berg rümpft die Nase. Der Lederbrustbeutel kostet hier zwei Mark mehr als in dem türkischen Import-Export- Laden um die Ecke. „Vergleichen ist alles, dann ist man am Ball“, umschreibt die rüstige alte Dame ihr Hobby.
Die bunte Welt der Schnäppchenmärkte lockt mit ihren „Superbillig“-Waren nicht nur alte Damen hinterm Ofen vor. Die meist schmucklos eingerichteten Läden überzeugen vor allem durch kuriose Spezialitäten aus der Elektro-Schnickschnack-Branche oder fallen durch billige Lebensmittel-, Textil- oder Plastikangebote auf. Wer kennt nicht irgendeinen „Überraschungs-Bazar“ an der nächsten Ecke und kann den mit neonfarbenen Pappschildern beworbenen „letzten Gelegenheiten“ widerstehen? Schließlich lassen elektrische Universalreiben, Saunahandtücher und Plüschpantoffel nicht nur die Herzen von Pfennigfuchsern höher schlagen.
Von der türkischen Nachbarin über den ausgeflippten Raver bis zum Schnäppchenjäger aus Dahlem sei alles vertreten, beschreibt auch Andreas Kemper, Geschäftsführer des Fox-Marktes, seine Kundschaft. Kein Wunder, schließlich lockt eine „Propagandistin“ per Mikrofon die Kundschaft zum Kauf von Tupperdosen, Billigjeans und Haarschneidemaschinen in den Laden.
Das Geschäft laufe gut, der Laden sei den ganzen Tag voll, berichtet Kemper. „Die meisten kommen ohne gezielten Kaufwunsch.“ Inzwischen habe sich jedoch auch rumgesprochen, daß man nirgendwo in der Stadt billigere Brautkleider fände. Auch ärmere Leute sollten schließlich „in Weiß heiraten können“, schildert Kemper die dahinterliegende Geschäftsphilosophie. Doch längst „kaufen hier nicht nur Leute mit schmalem Geldbeutel“. Der Fox- Markt sei inzwischen zum „Kultkaufhaus“ avanciert.
„Ich bin Fox-Markt-süchtig“, bekennt auch die Psychologiestudentin Anja F.. Mindestens zweimal am Tag kommt sie an Ständen mit Elektrozahnbürsten und Taucherbrillen vorbei. Den Billigangeboten kann sie selten widerstehen. „Ich gehe zumindest einmal am Tag gucken“, kichert sie verschämt.
Auch der Kroate Ivan Simiak landet regelmäßig in der Schnäppchenabteilung von Karstadt am Hermannplatz. Stolz präsentiert er seinen heutigen Fund: zwei Edelstahl-Butterdosen für schlappe 19,95 Mark das Stück, herabgesetzt von 39,95 Mark. Eine andere Kundin empfindet den Karstadt- Schnäppchenmarkt dagegen als „Falle“. Als „armes Opfer“ bleibe sie viel zu häufig an den Körben mit Puzzlespielen und Brötchenmessern „kleben“.
Vorsicht bei den Billigangeboten ist tatsächlich geboten. Nicht alles, was sich Schnäppchen nennt, ist auch ein solches: Wer nicht knapsen will, kann beim „Restposten-Markt“ in der Schönhauser Allee Lederwesten für 249 Mark erstehen. Billiger gibt es diese allerdings bei Karstadt am Hermannplatz: 99,95 Mark kosten sie hier. Ein Preisvergleich lohnt sich auch bei Porzellanpuppen. Ein Schnäppchenmarkt in der Schönhauser Allee bietet diese für 39,90 Mark feil. Die identischen Puppen sind bei Karstadt 27 Mark billiger.
Die Beispiele beweisen: Wer Schnäppchen jagt, braucht Zeit. Obwohl auf der anderen Straßenseite ein Aldi-Markt mit billigeren Angeboten lockt, kauft Katrin Heidvogel, 29jährige Diätassistentin, bei der Reichelt-Filiale auf dem Kottbusser Damm ein. „Reichelt ist zwar teurer, aber dafür gibt es auch frisches Fleisch und Käse. Da muß ich nur in einen Laden.“ Die Filialleiterin von Aldi trauert um solche Kunden nicht. „Wenn wir die Computer im Angebot haben, stehen die Leute wieder ab sechs Uhr früh Schlange vor der Tür.“
Doch nicht jeder Billigmarkt boomt. In manchen Ladenräumen auf der Schönhauser Allee versucht schon die dritte Schnäppchenmarkt-Generation ihr Glück. Selbst etablierte Ketten wie Conny's tun sich mitunter schwer: In der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg fanden sich keine Liebhaber für Rührschüsseln und Gymnastikbälle. Conny's machte im Frühjahr dicht.
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