: Kosmopolit auf der Schatzinsel
■ Der neue Band 190 der Literaturzeitschrift „die horen“ würdigt Thomas Bernhard / Ihr Verleger Johann Tammen wurde für die Reihe – mal wieder – ausgezeichnet
Er hat schon wieder einen Preis bekommen und übertrumpft, wenn er so weitermacht und sie so weitermacht, in der Zahl der erhaltenen Auszeichnungen bald die deutsche Nationalmannschaft. Er, das ist der 1944 geborene Herausgeber und Lyriker Johann P. Tammen aus Bremerhaven, und die Vierteljahresschrift „die horen“ ist seine literarische Weltbühne. Würde diese „Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik“ wöchentlich erscheinen, müßte man sie und ihren Herausgeber Tammen wöchentlich loben. So wie den „horen“-Band Nummer 190, der jetzt im 43. Jahrgang zum Thema „Dichter & Modell“ erschienen ist. Aber das mit dem Thema ist nicht so genau zu nehmen.
Zum wahllos gewählten Untertitel „Vom Handwerk des Schriftstellers / Konzepte und Figuren der Moderne“ tritt in Wort und Bild wieder eine illustre LiteratInnenschar auf. Wohlsortiert unsortiert geben sich die Damen und Herren Jelinek, Anderson, Bachmann, Wolf oder Orozco teils selbst, teils rezipiert die Klinke in die Hand. Den ganz jungen Deutschsprach-lerInnen eher abgeneigt, dafür hier aber kaum bekannten FremdsprachlerInnen sowie Raritäten und Miniaturen aus den Werken bekannter AutorInnen desto mehr zugeneigt, sind „die horen“ Nummer 190 wieder ein schön unmodisches Feuilleton.
Wer zum Beispiel wußte schon, daß Federico García Lorca „Canciones“ geschrieben hat, die noch nicht ins Deutsche übersetzt worden sind? Neun dieser bald zerbrechlich, bald nüchtern und immer erotisch wirkenden Gedichte hat Hans-Jürgen Heise übersetzt und stellt sie zum 100. Dichtergeburtstag (am 5. Juni 1998) in den „horen“ vor.
Ohnehin diese Jubiläen, Todesjahre, Geburts- und Jahrestage! Der Herausgeber Johann P. Tammen höchstselbst serviert im Todesjahr Gregor von Rezzoris ein „Trauerblatt“. Es ist zugleich ein lobend-hymnischer Nachruf auf den Schriftsteller und eine Attacke auf viele andere Feuilletons, weil die den „großartigen Erzähler“ (Tammen) so oft diskreditierten. Und wer's nicht schon wußte, erfährt, daß der Ezzelino von Wedel (von Radio Bremen) Sohn von Rezzori ist.
Einmal gar eilen „die horen“ den anderen Feuilletons voraus: „Kurz vor dem 10. Todestag“ Thomas Bernhards, der erst auf den 12. Februar 1999 fällt, kommt die Vierteljahresschrift mit einem Bernhard-, also Österreich-, also Haß-Schwerpunkt daher. In Ansatz und Niveau unterschiedlich, ergreifen sieben AutorInnen in Sachen Bernhard das Wort. Da würdigt Günther Nenning den Bernhard in einem geistreichen Essay. Oder da wird Bernhards Werk mit dem der Jelinek, des von Doderer, der Bachmann oder des Handke verglichen. Überhaupt, die letzten beiden Aufsätze: Prädikat sehr lesenswert.
Daß der Bremer Jürgen Dierking einen kleinen Sherwood-Anderson-Schwerpunkt hinzugesellt und zwischen Hemingway und Bukowski 23 Anderson-Lobe zitiert, liegt erstens daran, daß Dierking weiter an einer Anderson-Übersetzung arbeitet, und zweitens daran, daß Anderson gut ist. Diese Kombination aus Subjektivität und einem Streiten für Qualität kennzeichnet „die horen“. Und das Angebot, die Argentinierin Olga Orozco in deutscher Übersetzung kennenzulernen oder die Verbindung von Kunst, Nationalismus und Freiheitsdrang beim Georgier Otar Tschiladse zu entschlüsseln, macht die Vierteljahresschrift zu einer literarischen Schatzinsel.
Das fand auch die Hamburgische Kulturstiftung, die alle zwei Jahre den Karl-Heinz-Zillmer-Preis vergibt und jetzt Johann P. Tammen für sein verdienstvolles verlegerisches Handeln auszeichnete. Tammen erhält den mit 20.000 Mark dotierten Preis vor allem für „die horen“. Die Jury begründete: „Literaturzeitschrift und Edition ,die horen' engagieren sich seit vielen Jahren für die Vermittlung anspruchsvoller deutschsprachiger und europäischer Literatur aus Gegenwart und Vergangenheit.“ Tammen bezeichnete sie als literarischen Kosmopolit, der „dem Diktat des Marktes die Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen unbekümmert entgegenhält“. ck
„die horen“, Band 190, „Dichter & Modell“, 16,50 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen