Kämpferische Töne, dankbares Lachen

Joschka Fischer tourt durch Bayern. Keinem Mikro weicht er aus. Der Fraktionschef der Bündnisgrünen scheint in bester Stimmung. Am Abend allerdings gelingt es ihm weitaus besser als am Morgen, das Tempolimit zu verteidigen  ■ Von Bettina Gaus

Ganz so hatte sich Joschka Fischer seine Wahlkampftour durch Bayern wohl nicht vorgestellt. Die paar Tage, in denen er in der grünen Diaspora um Stimmen wirbt, sollten eigentlich in der noch relativ ruhigen Ferienzeit eine Art Generalprobe für die große Deutschlandtournee sein, die ihn von Anfang August an sieben Wochen lang quer durch die Republik führen wird. Aber von Ruhe kann keine Rede sein. Die Grünen beherrschen mal wieder die Schlagzeilen, und im Bus steht das Handy des Fraktionschefs von Bündnis 90/Die Grünen nicht still. Seine Stellungnahmen sind gefragt.

Das waren sie in den vergangenen Monaten öfter, aber bei vergleichbaren Gelegenheiten hat sich Fischer rar gemacht. Konnte er den Kameras und Mikrofonen nicht ausweichen, präsentierte er ein eher schlecht gelauntes Gesicht und ließ Gesprächspartner deutlich spüren, für eine wie große Zumutung er es hielt, mit Fragen belästigt zu werden.

In Bayern ist er wie ausgewechselt. Unermüdlich geduldig und freundlich beantwortet er Wünsche nach Interviews, widerstandslos läßt er sich fotografieren – beim Zeitunglesen, beim Telefonieren, bei Unterhaltungen. Klaglos erträgt er sogar kritische Fragen und Anmerkungen. Joschka Fischer will diese Bundestagswahlen gewinnen, und in diesen Tagen zeigt er, daß er eigentlich schon weiß, wie so etwas geht.

So solidarisch wie jetzt hat er sich bisher noch mit keinem Parteimitglied gezeigt, das ihn mit einem Interview in Erklärungsnotstand gebracht hat. Kein Blatt Papier paßt zwischen ihn und der Forderung von Gila Altmann nach einem allgemeinen Tempolimit auf deutschen Autobahnen. „Wir sind eine ökologische Partei, wir sind nicht die Partei des ADAC“, ruft Fischer ins Publikum auf dem Lorenzer Platz in Nürnberg und senkt dann seine Stimme, um ein „Geheimnis“ zu verraten: Die Niederlande hätten schon vor zehn Jahren die Ökosteuer eingeführt und ein flächendeckendes Tempolimit. Beifall, Gelächter. Landauf, landab lautet die Botschaft gleich: „Es läuft da eine Kampagne gegen uns. Es geht um unsere politische Existenz. Es ist der Versuch, uns unter fünf Prozent zu drücken und damit den Machtwechsel zu verhindern.“ Und: „Das Umweltthema soll gegenwärtig als das Angstthema gesetzt werden.“

Daß Joschka Fischer es vielleicht schwerfällt, sich ausgerechnet jetzt mit einer unpopulären Forderung ins Gespräch zu bringen, läßt er allenfalls in Halbsätzen durchblicken. „Viele von uns müssen noch lernen, daß man Menschen überzeugen muß“, sagt er in einer Rede. „Mit Forderungen kämpft man nicht“, äußert er auf einer Pressekonferenz. Bis zum 27. September sei „Wahlkampf angesagt.“ Bei anderer Gelegenheit wird er ein bißchen deutlicher. Einen Appell an Parteifreunde, sich angesichts der „Kampagne“ mit Interviews ein wenig zurückzuhalten, verbindet er mit dem Hinweis, es sei ein „Fehler“ der Kollegin gewesen, das Thema „in den Rang einer Koalitionsbedingung erhoben“ zu haben. Und immer wieder: „Die Priorität unserer Verkehrspolitik ist nicht das Tempolimit.“ Es gehe vielmehr darum, Arbeitsplätze durch den ökologischen Umbau der Gesellschaft zu schaffen. Der Name Gila Altmann fällt in diesem Zusammenhang niemals. Bloß keinen neuen Familienkrach heraufbeschwören.

Ohnehin scheint an der Basis das Verständnis für die Verkehrspolitikerin groß zu sein. Ein Tempolimit gehöre zu den Kernpunkten dessen, wofür Gila Altmann politisch kämpfe und stehe, meint ein Aktivist des bayerischen Landtwagswahlkampfs. „Soll die sich jetzt verdrehen und winden, nur weil die Bild-Zeitung anruft?“ Für Argumentationshilfe sind die Grünen in Bayern dennoch dankbar. Zwar haben in Bayreuth rund 500 Leute den Weg zu Joschka Fischer gefunden, und das hat nach Auskunft des als Zeuge unverdächtigen Saalbetreibers bisher nicht einmal Fraktionschef Wolfgang Schäuble von der Union geschafft. Bei nur etwa 70 Mitgliedern des Ortsverbandes ist es ohnehin ein sehr schöner Erfolg. Aber das öffentliche Interesse muß noch keine Stimmen bedeuten, und der Einzug in den bayerischen Landtag ist für die Grünen keineswegs gesichert.

Ein angriffslustiger Spitzenpolitiker hebt da die Stimmung, und Joschka Fischer ist kämpferisch. Am Abend noch weit mehr als am Morgen: Am Vormittag in Würzburg hat er das Thema Tempolimit eher beiläufig gestreift, am Abend in Bayreuth ist die Auseinandersetzung damit zu einem Kernpunkt der Rede geworden. Die demonstrative Solidarität mit der Forderung des Parteiprogramms nach einem Tempolimit scheint bei dem Fraktionschef von Kilometer zu Kilometer seiner Reise zu wachsen, ebenso wie seine Überzeugung, die Grünen seien Opfer einer Kampagne des Adenauer- Hauses und des Kanzler-Medienberaters Hans-Hermann Tiedje.

Er sei heute morgen von der Nachricht geweckt worden, die Grünen wollten die Autobahnprojekte der Bundesregierung überprüfen, berichtet Fischer seinen Zuhörern in Bayreuth. Worin denn da die Neuigkeit bestehen solle, will er wissen. Bis jetzt habe er angenommen, bei einem Regierungswechsel sollten alle bisherigen Pläne überprüft werden. Dankbares Gelächter, Beifall. „Ein Regierungswechsel ohne Politikwechsel, darauf können wir verzichten“, ruft er in den Saal, und auch wenn nicht alle Mitglieder an der Basis da bisher im Blick auf den Fraktionschef so ganz sicher gewesen sind, so hören sie die Botschaft doch erkennbar gerne.

Das Programm ist dicht gedrängt. Mehr als Versammlungssäle und -plätze bekommt Fischer auf seinen verschiedenen Stationen nicht zu sehen. Ein einziger Punkt wurde auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin noch eingebaut: „Wahnfried“, der Alterssitz von Richard Wagner in Bayreuth. Hier wurde die „Götterdämmerung“ vollendet. In einem Schaukasten findet sich ein handschriftliches Dokument des Komponisten zu den Verhältnissen am Theater in Riga: „Das, was wir unter ,Komödiantenwirtschaft‘ verstehen, tut sich vor mir bald in vollster Breite auf, und meine, in der Absicht, sie für diese Wirtschaft herzurichten, angefangene Komposition ekelte mich plötzlich so heftig an, daß ich alles beiseite warf.“

Joschka Fischer scheint derzeit nicht in Versuchung zu sein, alles beiseite zu werfen. „Es geht um viel. Es geht um die Regierungsmacht in der Bundesrepublik Deutschland.“