: Von den Grenzen der Schulpädagogik
■ Das Problem von Jugendtätern sind brutale Erwachsene / Hannoveraner Studie über Jugendkriminalität vorgestellt
Wenn 100 Erwachsene zusammentreffen, um über das Thema „Jugendgewalt“ zu diskutieren, kommen Forderungen nach härteren Strafen oder Kinderknast zunehmend schneller auf den Tisch. Nicht so am Dienstag abend im Schlachthof. Dort bilanzierte Moderator Ottmar-Willi Weber von Radio Bremen nach dreistündiger Debatte über „Erfahrungen mit Jugendgewalt“ aus der Schlachthofreihe „Tribüne“: „Schön, daß sich hier alle als Teil des Problems verstehen“.
Denn das Problem gewalttätiger Jugendlicher sind in der Tat die Erwachsenen. Solche die zuschlagen – und solche, die wegschauen. Das ergab eine Studie zur Jugendkriminalität des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover, die Soziologe Peter Wetzels einleitend vorstellte. Danach wurden in Hannover 52 Prozent repräsentativ befragter Jugendlicher zwischen 14 und 18 Jahren von ihren Eltern geschlagen. Rund zehn Prozent wurden dabei so massiv geprügelt, „daß man von Mißhandlung sprechen muß. Dazu zählen Faustschläge und Tritte ins Gesicht, Knochenbrüche und Verbrennungen“. Wer schwer mißhandelt wurde, ist unter den Tätern deutlich überrepräsentiert – mit einer Quote von 44 Prozent. Die Studie zeigt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen früherer Opfererfahrung und späterer Täterschaft.
Auch daß überdurchschnittlich viele Söhne nichtdeutscher Eltern unter den Tätern sind, belegt die Studie. Im Detail allerdings stellt sie eine klare Verbindung zwischen Armut, Schulbildung, eigener Gewalterfahrung und späterer Täterkarriere her: Wer ohne Sozialhilfe und ohne Gewalterfahrung aufwächst und noch dazu Schulen „von Realschule an aufwärts“ besucht, wird wesentlich seltener zum Jugendtäter als Kinder, denen eins dieser drei „Merkmale“ fehlt.
Wer macht was oder warum nicht? Um diese Fragen kreiste die Veranstaltung, nahm mal die Eltern, mal die Jugendlichen und öfter mal die Lehrer auf's Korn. „Wohl weil die Kinder die meiste Zeit in der Schule sind“, versuchte Moderator Weber am Schluß manchen harten Anwurf gegen „faule“ Lehrer auszubügeln – und rannte bei der stellvertretenden Schulleiterin der Allgemeinen Berufsschulen, Angela Feldhusen, offene Türen ein. Sie sei durchaus dafür, die Tabufrage nach der Lehrerleistung zu stellen. Auch hätten Schulen besonders damit zu kämpfen, „daß sich das Berufsbild des Lehrers schneller gewandelt hat als die dazugehörigen Menschen“. LehrerInnen – denen die Politik entsprechende Fortbildungen systematisch vorenthalte – reagierten angesichts von Gewalt „wie alle Menschen manchmal mangelhaft“.
Von einer Mangelerfahrung konnte die Pädagogin prompt berichten. An ihrer Schule war ein Krach zwischen zwei Schülern vor einigen Tagen zu einem Messerangriff eskaliert. Das Bemühen der Lehrerin auch um den jugendlichen Täter, der seine Familie und einen Rechtsbeistand informieren können sollte, habe die herbeigerufene Polizei aber abgelehnt. Dabei könne nur durch Kooperation aller Beteiligten die Situation bewältig werden. „Grundsätzlich ist Schule gefragt, schnell Stellung zu beziehen, ohne auf Richter und Polizei zu warten“, sagte Feldhusen. SchülerInnen einer Findorffer Schule, die bemängelt hatten, daß ihre Lehrer bei Konflikten in der Schule wegschauen, ermunterte sie: „Tragt die Diskussion in die Schule. Stellt Forderungen“ – und fragte dann selbst die grüne Bürgerschaftsabgeordnete Maria Spieker, die mit auf dem Podium saß: „Was haben die Grünen sich denn zum Thema überlegt? Wo wird investiert?“
Wenig konkret versuchte die Jugendpolitikerin den Ball zurückzuspielen: Es gebe keine Rezepte, aber viele offene Fragen – auch angesichts der Tatsache, „daß wir wissen, daß Pädagogik an ihre Grenzen stößt“. Doch könne Politik alleine die gesellschaftlichen Aufgaben nicht lösen.
„Sehr wischiwaschi“ sei das gewesen, rügte da sogar der Kriminologe Wetzels – und kassierte Applaus, als er im Hinblick auf besondere Einrichtungen für jugendliche Straftäter forderte: „Bevor irgendeine Einrichtung gebaut wird, muß das Personal vorhanden sein. Bei diesen Kindern geht es um Intensivbetreuung. Wenn man so ein Haus erst hat, werden sie weggeschlossen“ . ede
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