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Werden Schüler unheimlicher?

■ Eine länderübergreifende Studie stuft 175.000 Schüler als gewalttätig ein. Das Ausmaß der Aggressionen ist in Ost wie West gleichermaßen hoch. Mehr Präventionsräte sind vonnöten

Dresden (AP/taz) – Die schlechte Nachricht lautet, sehr verkürzt: Immer mehr Schüler sind gewaltbereit. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Technischen Universität (TU) Dresden, die gestern veröffentlicht wurde.

In Deutschland müßten drei bis vier Prozent der fünf Millionen Schüler über zwölf Jahre zum „harten Kern von gewaltbereiten Schülern“ gezählt werden, so das Ergebnis der TU-Forschungsgruppe „Schulevalution“. Der Vergleich zwischen Ost und West hat ergeben, daß das Ausmaß von Gewalt an den Schulen mittlerweise ähnlich hoch ist.

Um den Leiter der Studie, Wolfgang Melzer, gruppierten sich auch Forscher der Bielefelder Universität. Die empirische Untersuchung stützt sich auf Befragungen von jeweils 3.000 Schülern der fünften bis zehnten Klasse. Die Gespräche wurden parallel in Sachsen und Hessen zwischen 1995 und 1997 geführt. Man habe die 12- bis 17jährigen bewußt gewählt, sagte Melzer, weil in dieser Altersgruppe extreme Gewalt besonders häufig vorkomme. Der Ost-West-Vergleich ergab, daß das Ausmaß der Gewalt in beiden Landesteilen gleich stark ist. Vor vier Jahren habe Ostdeutschland hierin noch zurückgelegen, sagte Melzer.

Etwa jeder zehnte Schüler muß damit rechnen, einmal Opfer von Gewalt zu werden. „Wir haben festgestellt, daß Haupt- und Realschulen am stärksten von Gewalt belastet sind“, so Melzer. Der Befund klingt abstrakt. Individualisierung, so die Forscher, schafft mehr Freiheiten. Aber dem sind nur die Starken gewachsen. Haupt- und Realschüler werden zu Hause sehr viel mehr mit Arbeitslosigkeit und fehlender Lebensplanung konfrontiert als etwa Gymnasiasten. Sie flüchten in Aggressionen. Melzer beobachtet, daß Eltern ihre Kinder mit ungewöhnlicher Strenge erziehen. Dies wirke sich auf ihr Verhalten aus. Diffus bleiben die Forscher, wenn es um die Qualität der Gewalt geht. Die verbale Aggression komme am häufigsten vor, gefolgt von Prügelei, Vandalismus und sexueller Belästigung, heißt es. Seltener seien Erpressung und Waffengewalt.

Als Konsequenz der Untersuchung fordert Melzer die Einrichtung von Präventionsräten. In diesen Gremien sollen Eltern, Lehrer, Schüler und auch Angehörige von Polizei und Justiz mitwirken. Auch Pilotprojekte zur Vorbeugung von Gewalt an Schulen seien sinnvoll.

Ein großer Modellversuch zur Vermeidung von Gewalt an Schulen läuft seit Anfang des Monats. 32 Schulen aus fünf Bundesländern sollen per Internet ihre Erfahrungen mit Präventionsprojekten austauschen. Das Schulamt in Wetzlar hat die zentrale Koordination dafür übernommen. roga

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